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Kein Startzeichen für lokales Fernsehen?

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In den Landesstudios stehen die Mannschaften in den Startlöchern. Sie haben ihr Fitneß-Training hinter sich, sind mit mobilen Geräten ausgerüstet und haben einige Probeläufe absolvieren dürfen. Nun könnte das Startzeichen erfolgen. Man hat sie motiviert, der freie Wettkampf in der verheißenen TV-Disziplin könnte beginnen.

Aber beim Schiedsrichter-Kollegium stehen die Zeichen auf Sturm. War früher die rechte Reichshälfte dagegen und die Unke dafür, so hat sich das Blatt jetzt gewendet. Wer sich in kühnen Kabelträumen gewiegt und dann, jählings ermuntert, im drahtlosen Fernsehen via getrennte Sender die nächstliegende Chance erkannt hat, dem soll gezeigt werden, wo Bartl den Most holt.

„Spielwiese“ der Landeshauptleute?

Gut, eingesehen, die Haltung der Länder zum Erstangebot war nicht eben ermutigend. Der Denkzettel, im Licht parteilichen Denkens verfaßt, war weiter kein Wunder. Aber nun, da die Mehrheit gezeigt hat, wer den Takt schlägt, könnte sie wieder zur Sache kommen. Zumal sie sich bereits in fa-Kdenscheinigen Argumenten verfängt: Lokale TV-Programme als „Spielwiese“ der Landeshauptleute? Will man den Landesstudios nachsagen, für sie sei das Rundfunkgesetz ein Fetzen Papier? Sind etwa die zentralen Programme eine Spielwiese der Bundesregierung?

Die Gefahr der „provinziellen Verödung“? Ich fürchte, da sitzen wir mitsamt unserer Hauptstadt im Glashaus und sollten mit Steinen nicht werfen. Alle gemeinsam werden wir um so weniger provinziell sein, je eher wir jeweils dem anderen gestatten, seine eigene Mündigkeit zu betreiben.

Wer in Graz lebt, der kann überhaupt nicht einsehen, warum es gerade hier kein lokales Fernsehprogramm geben soll. Die fünf Finger reichen nicht aus, um die Schwerpunkte aufzuzählen, die einem heimischen TV-Programm Gewicht geben könnten! Da gibt es Theater, Galerien und Konzertsäle, vier Hochschulen und außeruniversitäre Forschungsstätten, den „Steierischen Herbst“ als Österreichs lebensfähigstes Kind einer zeitgemäßen Kulturpolitik, das Forum Stadtpark als beachtliche Garküche der Avantgarde und Graz als oft genannte Hauptstadt der neuen deutschsprachigen Literatur; da gibt es in der Politik das „steirische Klima“, vielfältige Kontakte mit dem Südosten, ein reges Wirtschaftsleben, Schwerindustrie und Bergbau, alle Arten der. Volkskultur und Probleme wie anderswo: in der Sicherung der Arbeitsplätze, im Straßenbau, in der Altstadterhaltung, im Fremdenverkehr, im sozialen und zwischenmenschlichen Bereich; Gesprächsstoff also, der täglich die Seiten von vier Tageszeitungen und acht Stunden lokales Radioprogramm füllt.

Soll dem Fernsehen also nicht recht sein, was dem Hörfunk billig ist? Was ist wöhl der Grand, daß die lokalen Radioprogramme über 50 Prozent der Hörer an sich gebunden haben? Ist nicht einzusehen, daß die unmittelbare Lebensnähe den Menschen mehr gibt als die Konserve aus fremder Hand? Ist es unerwünscht, daß das Fernsehen die schöpferischen Kräfte im unmittelbaren Einzugsbereich an sich bindet, ihnen Wirkungsmöglichkeiten bietet und damit das kulturelle Klima mitbestimmt und anregt? Ist es so abwegig zu glauben, daß das Fernsehen im überschaubaren Bereich die wesenlose Konsumhaltung durchbricht und durch die unmittelbare Beteiligung einmal Nutzen stiftet statt Schaden?

Gewiß, man kann kleinmütig kneifen, weil lokale TV-Programme einen erhöhten finanziellen und personellen Aufwand erfordern. Man kann sich mit der Behauptung aus der Affäre ziehen, daß die Föderalisierung des Fernsehens mit einer Vermehrung der Bundesländer-Beiträge in den beiden bestehenden Programmen zu erreichen sei. Allein, wenn man diesen Kurs steuert, wird der Run auf private Kabel-Lizenzen über kurz oder lang nicht mehr zu stoppen sein. Und wie wird es dann mit der „Spielwiese“ aussehen, mit dem Rückfall ins Provinzielle, mit den geschulten Fachkräften und der finanziellen Bedeckung?

Oder soll uns das alles nicht kümmern? Soll das TV-Chaos in Italien auch bei uns gelehrige Schüler finden?

Aber die politischen Gremien treten im müßigen Parteiengezänk auf der Stelle. Währenddessen häufen sich bedrohliche Fakten. Die Verkabelung von Städten und Dörfern schreitet munter voran. Die deutschen TV-Programme fressen sich, von den Empfängern willig aufgenommen, von Norden nach Süden,-von Westen nach Osten in unsere mediale Landschaft. Der Anschluß wird auf dem Weg über die Bewußtseins-Industrie stillschweigend vollzogen. Wer die Menta-litäts-Uberfremdung durch den Massen-Tourismus in Westösterreich kennt, mag sich ausmalen, was uns bevorsteht. Bereits jetzt berechnen die Hotels ihre Pensionspreise in DM, begehen die Dörfer ihren „Karneval“ mit der „Mädchengarde“, betrachten die Ängstlichen ihre Mitmenschen mit dem Argwohn von „Aktenzeichen XY“! Bald werden die geplanten Satelliten-Programme die Vervollständigung des Debakels ins Haus liefern.

Aus dieser Perspektive betrachtet, ist höchste Eile geboten. Wer bedenkt, daß der Österreicher pro Kopf und Nase tagtäglich zweieinhalb Stunden vor der Mattscheibe verbringt und dabei sein Bewußtsein speisen läßt, der kann nicht mit politischewMätechen weiteragieren. Die Sachlage erfordert klare Köpfe auf beiden Seiten und die notwendige staatspolitische Räson. Dem Massenansturm von der anderen Seite kann nur die Mobilisierung aller eigenen Kräfte entgegengesetzt werden. Je dichter das mediale Netz im eigenen Land abgesichert ist, desto weniger haben fremde Programme die Chance, die Menschen in ihren Sog zu ziehen.

Die Mitarbeiter in den Landesstudios erwarten das Startsignal. Wenn in den politischen Gremien keine Entscheidung fällt, holen sie sich kalte Füße. Wenn währenddessen der Zug abfährt, wird sie niemand mehr motivieren können, ihn einzuholen. Der Schaden wird aber nicht sie allein treffen.

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