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Kein Sturm auf das Winterpalais

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Die Puerta del Sol ist der bekannteste uniter den Madrider Plätzen. Aul einer Seite führen kleine Gassen zur Plaza Mayor, zum Zentrum der glorreichen spanischen Vergangenheit auf der anderen Seite beginnt die Gran Via mit ihren modernen Gebäuden, Hotels Cafes, Banken, Theatern, Restaurants und großen Geschäften. Das Hauptquartier des Sicberheitsministeriums befindet sich an der Puerta del Sol, und es wird bei Tag und Nacht bewacht. Hier führt die Calle de Correo vorbei, wo im September 1974 eine Explosion das Cafe Rolando demoliert, zwölf Personen getötet und weitere 71 verletzt hat. Seit dem Ende des Bürgerkriegs war dies der erste der-, artige Zwischenfall und er ereignete sich drei Tage nach der Veröffentlichung des „Demokratisierungs- und Fortschrittsplans“.

„Trotz des Attentats wird der Demokratisierungsprozeß fortgesetzt“, erklärte Ministerpräsident Carlos Arias Navarro im „Geiste des Februar“, der „eine breitere soziale Basis, ein weitreichenderes Spektrum des Pluralismus und eine politische Modernisierung“ versprach. Zwei Monate nach der Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Admiial Carrero Blanco hatte sein Nachfolger, der ehemalige Innenminister des Franco-Regimes, Arias, sein Programm verkündet. Nach dem September-Attentat hielt er dennoch am Fortschreiten der Demokratisierung fest und sagte: „Gewalttaten ändern nichts am Fortgang unserer Politik.“ Im Dezember 1974 wurde das Statut der politischen Organisationen publiziert, demzufolge die Gründung solcher Organisationen vom „Nationalrat der Bewegungen“ abhängt, der die Organisationen kontrolliert und gegebenenfalls auflöst. Ein Mitglied des Natianalrats gab seiner Auffassung dahingehend Ausdruck, daß es sich hier um „einen Pakt aus Furcht“ handle. Jedenfalls wirken sich die Beschränkunigsbestimmun-gen des Statuts so hemmend aus, daß die Gemäßigten, die großzügige Konzessionen erwartet hatten, alle Hoffnung aufgaben, aus der Franco-Ära ohne Obstruktion in die Zeit der „europäischen Zukunft“ hinüberwechseln zu können. Manche behaupten, Spanien sei ein „Vulkan“: „Die kommunistische Partei wartet begierig auf Francos Tod, um dann im Stil der portugiesischen Kommunisten in Aktion zu treten.“

Was hat Spanien von den Kommunisten zu erwarten? Ihr Führer, Santiago Carrillo, weilte kürzlich in Jugoslawien als Gast des dortigen Parteipräsidiums. Er wurde von Tito und Stane Dolenc empfangen und gab der Belgrader Tageszeitung „Borba“ ein Interview, in dem er, taktisch geschickt, für eine „friedliche und gewaltlose Liquidierung des Franeoismus“ plädierte, vorausgesetzt, daß „ultrarechte Elemente in Spanien keinen Coup versuchen“. Wörtlich: „Wir glauben nicht, daß das Franco-Regime wegen eines militärischen Aufstandes zusammenbrechen kann... Die spanische Armee ist eine Sache für sich!“ Und er fügte noch hinzu: „Franco ist kein Narr, eher ein außerordentlich schlauer Mann. Man sollte seine politische Initelligenz nicht in Frage stellen.“

Tatsächlich muß man die KP Spaniens als die bestorganisierte und stärkste Kraft der Opposition bewerten. Dazu Carrillo: „Unsere Partei weiß es, daß eine spanische Revolution mit keinem Sturm auf das Winterpalais wie im Rußland des Jahres 1917 beginnen kann. Wir wissen, daß wir unsere eigene Revolution organisieren und einen eigenen Weg zum Sozialismus suchen müssen. Die KPS muß die Avantgarde der Arbeiterklasse sein. Deshalb unterstreichen wir ihren nationalen Charakter. Wir glauben, daß nur eine starke national-kommunistische Partei etwas Gutes für ihr eigenes Land initiieren kann, das auch für die internationale kommunistische Bewegung von Vorteil wäre.“

Spanien,- mit seinen 34 Millionen Produzenten und Konsumenten, hat starke Bindungen zu Westeuropa. Spanien hängt an der EWG mit mehr als 50 Prozent seines Außenhandels und 90 Prozent des Touristenverkehrs und Spanien ist derzeit das führende europäische Touristenland. So droht mittelbar auch Spanien demnächst eine Krise. Der Redakteur eines Magazins in Barcelona meinte dazu: „Unsere Hauptkundschaft, Europa, leidet uniter einer Depression, und das schlechteste an 1974 ist, daß 1975 noch schlechter sein wird. Wenn die Kühe ■ mager werden und wenn es notwendig wird, die Gürtel enger zu schnallen, werden die politischen Systeme einem harten Test ausgesetzt. Wenn das Volk weniger ißt, protestiert es mehr!“

In Madrid rechnet man mit einem langsamen Demokratisierungsprozeß bis zum Tode des Generalissimus. Das Tempo dieses Prozesses wird von Prinz, dann König Juan Carlos zweifellos beschleunigt werden. 1974, während Francos Spitalsaufenthalt, amtierte Juan Carlos vorübergehend als Staatschef. Der intelligente und ernste junge Mann „hat keinen Mißgriff während der langen Jahre seiner Wartezeit getan“. Dennoch behaupten viele Spanier, daß die Mehrzahl der Bevölkerung für die Republik stimmen würde — wie die Griechen —, wogegen viele von den Anhängern der Republik sagen, daß sie ihrerseits für Juan Carlos stimmen würden, für einen Mann, der imstande ist, in der schweren Übergangsperiode Spanien zu führen. Zweifellos sehen zahllose Spanier die beste Lösung in einer konstitutionellen Monarchie, wie sie in Dänemark, Norwegen oder Belgien besteht.

Französische und amerikanische Kommenitatoren vergleichen gerne die politische Evolution in Spanien mit den Ereignissen in Portugal und vertreten die Ansicht, daß „der Beginn des Endes des Franeoismus schon angefangen habe“ und daß „sein Kollaps dramatischer sein werde als der des Salazar-CaetanoRegimes“. Sie betonen, daß die portugiesischen Stierkämpfer die Bullen nie töten. Die Spanier töten sie. Tatsächlich hat der portugiesische Staatsstreich bis zur Stunde noch keine Todesopfer verlangt. Es muß aber bedacht werden, daß Spanien ein viel stärkeres und besser organisiertes Land ist als Portugal, daß Spanien keinen Krieg führen mußte wie Portugal und daß es, im Gegensatz zu Portugal, einen Mittelstand hat.

Außerdem: In den vergangenen Jahrzehnten sind in Spanien die Fußballspieler viel populärer geworden als die Stierkämpfer ...

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