6689880-1962_33_02.jpg
Digital In Arbeit

Kein Visum für den Kardinal

Werbung
Werbung
Werbung

Von Wien nach Krakau ist es nicht viel weiter als von Wien nach Salzburg, und auch nach Warschau wird man nicht viel länger fahren, als an den Bodensee. Eine Reise nach Polen ist also entfernungsmäßig kein Problem. Aber da gibt es ja noch die Politik, damit sie Probleme schaffe, wo von Natur aus keine sind. Trotzdem glaubte man aber hier in Wien, daß von allen Ländern hinter der großen politischen Scheidewand Polen noch von uns am leichtesten erreichbar wäre. Sind die Beziehungen Österreichs zu den Ländern des Ostblocks von korrekt-freundschaftlich bis sachlich-kühl einzustufen, so wurde bisher noch jeder Anlaß benützt, um das österreichisch-polnische Verhältnis als herzlich zu bezeichnen. Über alle Verschiedenheiten dler politischen Systeme und der Wirtschaftsformen gab es so etwas wie ein gemeinsames Fluidum, das Österreich mit Polen verband, besonders als nach dem Tauwetter, dem polnischen Oktober, auch das Verhältnis zwischen dem staatlichen Regime in Polen und der katholischen Kirche sich auf einen erträglichen Modus vivendi einzurichten schien.

Wer von Polen nach Wien kam -und es kamen sehr viele in den letzten Jahren, denn der Weg nach dem Westen führt für die Polen über Wien —, der konnte gewiß sein, hier Freunde zu finden. Über Wien sind auch immer die polmiisohen Bischöfe gefahren, wenn sie die Erlaubnis erhielten, nach Rom Zu reisen. Auch der Primas von Polen, Kardliinal Wyszynski, hat immer im Wien Station gemacht. Was war natürlicher, als daß er den Kardinal von Wien einlud, ihn auch einmal in Warschau zu besuchen. Für Mitte August war diese Reise vorgesehen. Zweieinhalb Monate vorher, Anfang Juni, wurde ordnungsgemäß bei der polnischen Botschaft in Wien für Kardinal König um ein Visum eingereicht. Nun ist Mitte August vorüber. Das Visum wurde nicht ausgestellt.

Kardinal König kann der Einladung des Primas von Polen nicht entsprechen. Einem Österreicher wird die Einreise nach Polen verwehrt. Warum? Keine Antwort. Es ist kein Visum da. Die Polen hatten in der Vergangenheit immer den Ruf, ein Volk von Lebensart zu sein. Mit der polnischen Herzlichkeit korrespondierte die polnische Höflichkeit. In diesem Fall war davon nichts zu spüren. Keine Verständigung, keine Erklärung. Es ist kein Visum da. Der Kardinal von Wien kann nicht nach Polen fahren. Das trifft nicht nur die Katholiken dieses Landes, die sich mit den polnischen Katholiken, und das ist noch immer nahezu das ganze polnische Volk, besonders verbunden fühlen Das trifft die Österreicher, deren Landsmann man hier warten läßt, als wäre er suspekt. Das kann auch nicht ohne Einfluß auf die polnisch-österreichischen Beziehungen bleiben. Das ist sehr schade, denn von uns aus war es ehrlich gemeint mit der Freundschaft über alle Schranken politischer und wirtschaftlicher Systeme hinweg. Aber diese Freundschaft sollte nicht an einem Visum für einen Österreicher scheitern — auch wenn er Dr. Franz König heißt und Kardinal von Wien ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung