Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Kein Vorbild für Afghanistan
Im Zusammenhang mit dem Vorschlag der Außenminister der neun EG-Staaten vom 19. Februar, als Ausweg aus dem Konflikt um Afghanistan diesen Staat zu neutralisieren und die afghanische Neutralität zu garantieren, ist das „österreichische Modell" ins Gespräch gekommen. Es stellt sich damit die Frage, ob und wieweit sich die 1955 gefundene Lösung des Österreichproblems auf Afghanistan übertragen läßt.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß Österreich bemüht war, den Anschein einer Neutralisation, d. h. einer von anderen Staaten mehr oder weniger unsanft auferlegten dauernden Neutralität, zu vermeiden. Österreichs Neutralitätsstatus wurde daher auch nicht im Staatsvertrag mit den „Großen Vier" verankert; Österreich wartete vielmehr, bis gemäß der Frist für den Truppenabzug im Staatsvertrag der letzte ausländische Besatzungssoldat am 25. Oktober 1'955 das österreichische Staatsgebiet . erlassen haben mußte.
Tags darauf, also am ersten Tag der wiedergewonnenen vollen Souveränität, erklärte der österreichische Nationalrat einseitig „aus freien Stücken" die immerwährende Neutralität Österreichs.
Der zweite Unterschied zu der für Afghanistan ins Auge gefaßten Regelung besteht darin, daß Österreichs dauernde Neutralität keineswegs durch die vier ehemaligen Besatzungsmächte garantiert ist. Eine derartige Kollektivgarantie war zwar in der Tat im Moskauer Memorandum, das am 15. April 1955 eine österreichische und eine sowjetische Regierungsdelegation paraphierten, vorgesehen. Wegen der damit verbundenen Eingriffsmöglichkeiten der Schutzmächte, war Österreich jedoch an einer Einlösung dieser Zusage nur wenig gelegen.
Eine Garantiemacht kann nämlich auf ihren Schützling Druck auszuüben suchen, um ihn von einem bestimmten Verhalten abzubringen, das nach Ansicht des „Großen Bruders" den Garantiefall herbeiführen könnte.
Da das Moskauer Memorandum zwar den entscheidenden Durchbruch zum „Paket" des österreichischen Staatsvertrags und der immerwährenden Neutralität darstellte, es sich aber dabei um keinen völkerrechtlichen Vertrag, sondern um rechtlich nicht verbindliche Absichtserklärungen handelte, bedeutete die Nichteinlösung der Garantiezusage auch" keine Völkerrechtsverletzung.
Neben diesen juristischen Aspekten gilt es außerdem, einen Blick auf wesentliche politische Voraussetzungen zu werfen, unter denen 1955 das große Tauschgeschäft der Wiedererlangung der Unabhängigkeit durch Österreich gegen die Verpflichtung zur dauernden Neutralität zustande kam. Österreichs geostrate-gische Lage ließ die Kontrolle über sein Gebiet als zwar bedeutsam, aber für die westlichen Besatzungsmächte und die UdSSR, zwischen denen in Mitteleuropa ein ausreichendes Machtgleichgewicht bestand, unter der Bedingung verzichtbar erscheinen, daß sich auch die Gegenseite daraus zurückzog.
Dieser gemeinsame Abzug wurde durch einen kurzen Abschnitt des „Tauwetters" in den Ost-West-Beziehungen in der Mitte der fünfziger Jahre entscheidend gefördert. Ferner bot die 1955 vereinbarte Lösung der österreichfrage der UdSSR, die an sich die geringste Neigung zur Räumung ihrer Besatzungszone an den Tag legte, besondere Vorteile. Vom militärischen Standpunkt bilden nämlich die Schweiz und Österreich einen dauernd neutralen Keil, der die Verbindung zwischen den NATO-Mitgliedern BRD und Italien empfindlich erschwert.
Die Zustimmung zum „Österreich-Paket" ermöglichte der Sowjetunion zudem die Verbreitung eines positiven, friedfertigen Images an die Adresse westlicher Staaten wie auch der „Dritten Welt". Schließlich konnte die sowjetische Führung angesichts der inneren Stabilität und der klaren Ablehnung des Kommunismus in Österreich, wie sie der Fehlschlag des kommunistischen Generalstreiksversuchs 1950 unter Beweis gestellt hatte, nicht auf die Machtergreifung durch eine ihr ergebene Partei nach dem Vorbild osteuropäischer Staaten hoffen.
Alle diese Voraussetzungen sind in und um Afghanistan derzeit nicht erfüllt. Nur die UdSSR, die in jener Region ein erdrückendes militärisches Übergewicht besitzt, hält mit ihren Truppen ein direkt an sie angrenzendes Land besetzt und mißt dieser Kontrolle offenbar großen Wert bei. Erschwerend kommt hinzu, daß sich die Entspannung zwischen Ost und West in einem Wellental befindet. Die innere Zerrissenheit Afghanistans lieferte einen zusätzlichen Anreiz für das sowjetische Einschreiten.
Ob der vermutlich unerwartet heftige Widerstand der Afghanen und die Gegenmaßnahmen westlicher Staaten, aber auch von Entwicklungsländern die Regierung in Moskau zu einer außenpolitischen Neukalkulation und zur Annahme des Vorschlags der EG bewegen, muß derzeit wohl bezweifelt werden. Das Schicksal von Laos, das 1962 gleichfalls mit einem Seitenblick auf das „österreichische Modell" den Status der dauernden Neutralität erhielt, veranlaßt überdies zur Skepsis bezüglich des Bestandes einer allfälligen Neutralisierung Afghanistans.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!