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Kein zweiter Libanon

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In keiner der jugoslawischen Republiken zeigt sich die Partei so nervös wenn es um Oppositionelle geht, wie in Kroatien. Auch die Kirche zählt zu den Feinden des Regimes.

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In keiner der jugoslawischen Republiken zeigt sich die Partei so nervös wenn es um Oppositionelle geht, wie in Kroatien. Auch die Kirche zählt zu den Feinden des Regimes.

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Der Feind Nummer eins, an dem das Regime in Kroatien nach wie vor festzuhalten scheint, heißt „Kleronationalismus“. Bei jeder Gelegenheit bemüht sich die Partei zu beweisen, daß die katholische Kirche die „treibende Kraft“ hinter den in der Parteipresse fast täglich zitierten „nationalistischen Umtrieben“ ist.

An zweiter Stelle rangiert dann die Zusammenarbeit mit der „feindlich gesinnten Emigration“ im Ausland, wie im Falle des zur Zeit in Agram angeklagten pensionierten Richters Mirko Sunic. Es ist bemerkenswert, daß Richter Sunic just in dem Augenblick verhaftet wurde, als sein Sohn, ein Wissenschaftler an der Universität von Santa Barbara, in . den Vereinigten Staaten um politisches Asyl bat.

Die geistige Liberalität, die heute unter den Intellektuellen in Serbien und Slowenien nahezu als eine Selbstverständlichkeit gilt, ist in Kroatien schlicht undenkbar.

Das zentrale Problem in dieser jugoslawischen Teilrepublik ist nach wie vor die heikle nationale Frage, zu der die Partei noch immer ein gestörtes Verhältnis zu haben scheint: Bereits das Tragen des kroatischen Wappens in der Öffentlichkeit wird oft mit mehreren Jahren Zuchthaus bestraft. Statt das nationale Problem — etwa durch mehr Liberalität im kulturellen Bereich - zu entschärfen, beging das Regime eine ideologische Flucht nach vorne: Durch eine in den siebziger Jahren vom Kulturminister Stipe Suvar durchgeführte Schulreform, die im Bereich der Kultur einen radikalen Marxismus zum Dogma erhob, wurde die nationale Frage lediglich mit marxistischer Propagandarhetorik überspielt.

Hinzu kommt noch die besondere verkehrspolitische Lage Kroatiens an der Verbindungsachse zwische'h Mitteleuropa und dem Mittelmeer: Vor allem seine zahlreichen Exporthäfen entlang der Adriaküste machen aus Kroatien' einen erstrangigen politischen Faktor, von dessen Entwicklung in der Zukunft in hohem Maße auch das Uberleben des Vielvölkerstaates abhängt. Diese geogra-fische Besonderheit sorgt auch im politischen Bereich für einen „Sonderstatus“.

In keiner der Teilrepubliken reagiert das Regime so gereizt, wenn es um Oppositionelle geht, wie in Kroatien. Aus derselben Überlegung heraus war auch die von Josip Broz Tito 1972 im Zusammenhang mit den oppositionellen Regungen in den Republiken verordnete Säuberung in Agram besonders umfangreich und reichte, im Unterschied zu anderen Zentren, bis in die unteren und mittleren Ränge der Partei. Auf diese Weise entstand in Agram ein politisches Vakuum. Die Szene beherrschen derzeit meist radikale politische Debütanten mit wenig Profil.

Auch die KP-Führung Kroatiens nimmt innerhalb der Föderation eine Sonderstellung ein: Da ist zunächst einmal die liberale Gruppe, bestehend aus Spitzenfunktionären wie Mika Spiljak, Josip Vrhovec und Ante Marko-vic, die angeblich den gemäßigten Kurs des verstorbenen kroatischen Parteichefs Vladimir Baka-ric verfolgen sollen. Zu den „Dogmatikern“ werden die aus Dalma-tien stammenden Spitzenfunktionäre wie der Kulturminister Stipe Suvar und der langjährige Parteichef Jure Bilic gerechnet. Dann kommt noch die Gruppe der aus Kroatien stammenden serbischen Funktionäre, wie Dusan Dragosa-vac oder Milutin Baltic, die keiner der beiden vorhin genannten Gruppen zuzuordnen wäre. Der ehemalige Gewerkschafter Milutin Baltic soll in Fragen der Wirtschaft Mika Spiljak unterstützen, ideologisch wäre er in die Nähe des ebenfalls aus Kroatien stammenden serbischen Parteiideologen Jovan Miric anzusetzen, der behauptet, „zentrifugale Tendenzen“ in den einzelnen Republiken seien der Hauptgrund für die gegenwärtige Krise in Jugoslawien.

Während in den anderen Republiken die Kritik am verstorbenen Präsidenten Tito immer lauter wird, präsentiert sich die Parteiführung in Agram als Gralshüte-riri von Titos Erbe. Mit einer betont titoistischen Politik wollen die Agramer Funktionäre Pluspunkte in der kroatischen Bevölkerung sammeln, indem sie hinter vorgehaltener Hand unentwegt betonen, der Abgang von Titos Modell würde eine Rückkehr zum Zentralismus groß-serbischer Prägung bedeuten. Gleichzeitig wird aber jede, auch parteiinterne Reformdiskussion abgewürgt, oft mit der fadenscheinigen Begründung, dem Vielvölkerstaat müsse das „Schicksal Libanons“ erspart bleiben. Dabei gab es in Kroatien noch nie so viele Prozesse gegen Gläubige, Priester und politisch Andersdenkende wie heute.

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