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Keine Abkehr von den Vatern

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Einleitend eine fast schockierende Feststellung: Tradition spielt im Heer von heute praktisch gar keine Rolle. Warum ich das für bedauerlich halte, werde ich später zu begründen versuchen. Im Moment jedoch hat die Tradition als bewußter Bezug jedenfalls keinen Stellenwert.

Das Heer ist spätestens seit seiner Umformung zum Milizcharakter ein typenreiner Ausschnitt aus der österreichischen Gesellschaft. Und die hat - hat man uns in den verschiedensten Motivationen seit 1918 beigebracht - keinen Direktbezug zur eigenen Geschichte zu haben. Niemand hat

ihn auch erkennbar (übrigens so ziemlich als einzige in unserer politischen Umwelt).

Wenn aber die Frage nach ihr, der Tradition, auftaucht, dann re-det fast jeder am anderen vorbei.

Im Bundesheer der Zweiten Republik hat nur Minister Georg Prader uns einen Traditionserlaß beschert, demzufolge jedes Regiment und jedes Bataillon einen k. u. k.-Verband als Taufpaten zugewiesen bekam und jede Kaserne einen Namen — von Wallenstein bis zum Widerstandskämpfer Karl Biedermann.

Mein Gott, wie typisch: eine (Uni-)Form ohne Inhalt, und was wir Soldaten damit anfangen sollten, wurde vom Begriff her auch nicht definiert.

Jetzt aber Schluß mit Kritik und Spott. Ich bin sehr überzeugt davon, daß wir Tradition brauchen. Wir müssen nur wissen, was das für uns ist.

Das Konversationslexikon hilft da kaum, weil Tradition nicht nur der Bezug auf überlieferte Geschichte ist. Sie ist viel mehr. Sie soll aus dem Wissen uns formen. In unserem Anliegen natürlich als Heer in der Bewältigung einer gesellschaftstypischen Aufgabe.

Was ist denn eigentlich Tradition? So genau weiß das niemand. Aber ohne Zweifel ist sie die Uberlieferung eigener Geschichte, die im Ablauf vor uns und von uns - unseren Vorfahren - bewältigt wurde. Gut oder weniger gut. Salm und Starhemberg haben die

Türkennot abgewehrt - Benedek war ein Versager.

Man kann sich aus der Tradition doch nicht nur das aussuchen, was einen freut. Sie, die Tradition, ist eine Tatsachenüberlieferung, einschließlich des Verhaltensstiles der jeweiligen Generation, die diese, heute historische Herausforderung zu bestehen hatte.

Demnach scheint mir als der größte Unsinn das Verlangen nach einer heute zu gründenden Tradition. Keine Generation kann sich vom historischen Gestern abkoppeln und keine weiß, was unsere Nachfahren zu akzeptieren bereit sein werden: Man kann nur das Gestern verstehend werten und muß das Heute leben.

Und das Bundesheer? Ob es den heutigen Links- und Rechtsaußen paßt - es ist Erbe als Schutzwall Europas einer großartigen Leistungsvergangenheit. Die — sagen wir es doch offen — Barbaren des Ostens: Magyaren, Mongolen, Kurruzzen, Türken wurden von den Soldaten unserer Vorvätergeneration an unserer auch heutigen Ostgrenze zurückgewiesen.

Tradition für unser Bundesheer? Wenn Tradition Uberlieferung akzeptierten Geschichtsverhaltens ist, dann hat dieses Heer seinen Beitrag zu leisten, daß Europa das bleibt, was wir darunter verstehen: Das „Europa der Vaterländer“ (Charles de Gaulle) paßt da ganz gut hinein.

Ubernehmen wir uns da nicht? Ganz sicher! Aber die großartige Geschichte „traditioneller“

Schutzfunktion bleibe Auftrag vom Staat und seinem Heer. Der Uberlieferung, also der Tradition, entspricht das. Und einseitig ist das aus Geschichtserfahrung so lange, bis die Gefahr aus dem Osten vorbei ist.

So gesehen ist die traditionelle Pflicht des österreichischen Heeres, in unserem Raum Sicherheit

zu produzieren. Dabei können wir nicht nur, sondern müssen wir uns ausrichten nach den Normen, die aus der großartigen Geschichte vor allem der alten k. u. k. Armee zunächst für Österreich und in Folge für Europa ableitbar sind.

Diese Leistungen von Salm über Montecuccoli, Prinz Eugen, Laudon, Schwarzenberg bis herauf zu uns, haben für unser Bundesheer Vorbildcharakter. ,Weil sie nur auf unser Land bezogen waren. So gehört die Tragödie der Ersten Republik ebenso zur Tradition wie der Tod von Biedermann oder als Soldaten für Osterreich.

Nichts zu suchen in unserer Tradition hingegen haben soldatisch auch bemerkenswerte Leistungen im fremden, nicht österreichbezogenen Dienst. Auch wenn sich niemand ihrer zu schämen braucht, solange sie innerhalb der soldatischen Moral erbracht wurden. Natürlichen Leistungsstolz verbieten zu wollen, bringt gar nichts und schädigt nur den Leistungswillen. Aber zur österreichischen Tradition gehört das nicht.

Was also soll das Bundesheer mit Tradition? Sich zu dem bekennen, was seine Vorväter als österreichische Soldaten taten — mit erfülltem Schutz des eigenen Landes beizutragen, Europa zu bewahren. Das Bundesheer hat Recht und Pflicht, sich an Leistung und Erfolg der militärischen Geschichte unseres Raumes zu orientieren.

Genau das ist Tradition.

Der Autor. General i. R., war von 1973 bis 1981 Armeekommandant des österreichischen Bundesheeres.

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