6837637-1975_24_07.jpg
Digital In Arbeit

Keine Äquidistanz mehr

19451960198020002020

Im Organ der bundesdeutschen Sozialdemokraten, dem „Vorwärts“, wurde jetzt lakonisch konstatiert, die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und SPD seien vom Nullpunkt nicht mehr weit entfernt. Das Parteiblatt stellte damit fest, was in den Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und im Saarland bereits allerorts zu merken gewesen war, was aber aus wahltaktischen Gründen nicht erwähnt wurde. Denn in der Tat hat die Beziehung zwischen der SPD und der katholischen Kirche eine Entwicklung genommen, die mit „Entfremdung“ noch relativ freundlich umschrieben ist.

19451960198020002020

Im Organ der bundesdeutschen Sozialdemokraten, dem „Vorwärts“, wurde jetzt lakonisch konstatiert, die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und SPD seien vom Nullpunkt nicht mehr weit entfernt. Das Parteiblatt stellte damit fest, was in den Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und im Saarland bereits allerorts zu merken gewesen war, was aber aus wahltaktischen Gründen nicht erwähnt wurde. Denn in der Tat hat die Beziehung zwischen der SPD und der katholischen Kirche eine Entwicklung genommen, die mit „Entfremdung“ noch relativ freundlich umschrieben ist.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Kette von Ereignissen, die das Verhältnis zwischen beiden verschlechtert haben, ist lange. Sie beginnt noch in der Ära Brandt, in der lange Zeit hindurch intensiv um das katholische Wählerpotential vonseiten der Sozialdemokraten geworben wurde. Eine Abkühlung des freundlicher gewordenen Klimas trat vor allem ein, als die katholische Kirche in der Abtreibungsfrage eine unnachgiebige Haltung einnahm. Dies führte in der Regierungskoalition zu erheblichem Mißmut. Als die Entscheidung des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts gegen die Fristenregelung eine Niederlage für die Regierung und in gewisser Weise einen Erfolg für die katholische

Kirche brachte, setzte sich die Klimaverschlechterung erst recht fort.

Beide Partner trugen dazu nicht wenig bei. Die katholische Kirche, in der Bundesrepublik ohnedies nie derartig auf Äquidistanz zu den politischen Parteien eingeschworen wie in Österreich, sondern immer in enger Bindung an die CDU, deren Mitglieder auch noch heute zum überwiegenden Teil Katholiken sind, begann nach dem vorläufigen Ende des Abtreibungsstreits in der Frage des Ehescheidungsrechts eine harte Position einzunehmen. Sie wandte sich gegen eine Generalklausel, der-zufolge Ehen nach dreijähriger Trennung der Partner als zerrüttet angesehen werden sollen und dann

geschieden werden können. Unverhohlen ist man im Regierungslager über diese neuerliche ablehnende Haltung der katholischen Kirche gegenüber einem Regierungsvorhaben verstimmt.

Dazu kommt, daß die katholische Kirche in jüngster Zeit auch in ihren Erklärungen zu den Wahlen zwar verklausuliert, aber doch unverkennbar für die CDU Partei ergreift. Ferner schien der SPD ein Vortrag des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Julius Kardinal Döpfner, vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie eine weitere Bestätigung dafür, daß die katholische Kirche auf „Konfrontationskurs“ gehe. Döpfner sah Industrie und Kirche von den gleichen, nur vage beschriebenen und nicht beim “Namen genannten Kräften bedroht. Deutlich war aber die Absage an sozialistische und radikaldemokratische Pläne. In der SPD war man betreten, weil manche Passage der Döpfner-Rede an Vorwürfe der Unionsparteien und von Wirtschaftskreisen gegen die Regierungspolitik und die Absichten der Sozialdemokraten erinnerte.

Schließlich erließ der Zentralvorstand des Kolpingwerkes noch eine Art „Radikalenerlaß“ und stellte die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft bei Kolping und der Mitarbeit bei den Jusos, der NPD, DKP und der KPD fest. Mit diesem Entscheid des rund 200.000 Mitglieder zählenden Kolpingwerkes sahen sich die Jusos plötzlich mit radikalen, inoffiziell als

verfassungsfeindlich deklarierten Parteien auf eine Stufe gestellt. Der Kolping-Beschluß stellte auch für die SPD eine Herausforderung dar, da eine katholische Formation die Jugendorganisation ihrer Partei als unakzeptabel gebrandmarkt hatte.

All dies ereignete sich vor den Landtagswahlen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen. Die aufgeheizte Wahlkampfstimmung machte auf der einen Seite die SPD allergisch gegen alles, was nach Wahlhilfe für die Unionsparteien aussah. Auf der anderen Seite ließ aber auch das Erstarken der Union in den zurückliegenden Wahlen manchen Katholiken den Zeitpunkt für gekommen erscheinen, in dem es galt, der CDU endgültig zur Macht zu verhelfen.

Da aber die Wahlen in Nordhrein-Westfalen und im Saarland anders ausgingen als erwartet und sich die SPD/FDP-Koalition erstaunlich gut behaupten konnte, sieht jetzt die SPD den Zeitpunkt für gekommen an, ihre Position gegenüber der katholischen Kirche zu klären.

Dabei versäumt sie es nicht, der Kirche jetzt die Rechnung für das von der Warte der SPD aus gesehen „unfreundliche Verhalten“ zu präsentieren und etwa im Parteiblatt zu konstatieren, daß „der Nullpunkt in den Beziehungen bald erreicht“ sei.

Ohne in die Töne des SPD-Blattes zu verfallen, das der Kirche bereits attestiert, im Fall einer Unionsniederlage bei den kommenden Bundestagswahlen vor einem Scherbenhaufen zu stehen, wäre zu all dem doch zu bemerken, daß die katholische Kirche in der BRD ihre politische Haltung überdenken sollte. Ein fortgesetzter Rundumangriff gegen alles, was links von CDU und CSU ist, könnte auch ihr leicht zum Nachteil gereichen. Mit der Einbeziehung demokratisch legitimierter Parteien in die Ziele ihrer Angriffe, könnte sie sich auf Dauer tatsächlich in Schwierigkeiten begeben. Sie gefährdet damit vor allem auch ihre Position auf jenen Gebieten, die ihr ureigenstes Anliegen sein müssen, wie etwa vor einiger Zeit die Abtreibungs- und jetzt die Ehescheidungsfrage.

Für ein Näherkommen der zur Zeit distanziert zueinanderstehenden Institutionen Kirche und SPD wären die Chancen unter einem Kanzler Helmut Schmidt gar nicht so schlecht, zumal Schmidt schon mehrfach seine Sympathien für die Kirchen ausgedrückt hat — sich aber freilich auf Grund seiner hamfour-gisch-protestantischen Herkunft bisher eher an die evangelische Kirche hielt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung