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Naher Osten: Keine Alternative zur Gewalt-Dynamik

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Um die Voraussetzungen der gegenwärtigen Phase des „Friedensprozesses" im Nahen Osten zu verstehen, ist ein Blick auf die internationale Dimension des Konflikts erforderlich. Obwohl israelische und arabisch-palästinensische Interessen von Anfang an „sui generis" waren, versuchten die Protagonisten sich entlang von ideologischen Linien zu definieren, um sich den Weltgegensatz der Supermächte zunutze zu machen.

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Um die Voraussetzungen der gegenwärtigen Phase des „Friedensprozesses" im Nahen Osten zu verstehen, ist ein Blick auf die internationale Dimension des Konflikts erforderlich. Obwohl israelische und arabisch-palästinensische Interessen von Anfang an „sui generis" waren, versuchten die Protagonisten sich entlang von ideologischen Linien zu definieren, um sich den Weltgegensatz der Supermächte zunutze zu machen.

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Nach dem Zusammenbruch der UdSSR kann sich Israel nicht mehr als Vorkämpfer gegen eine sowjetische Bedrohung profilieren und die Araber haben eine potentielle Alternative zu den USA verloren. Dies wurde durch den Verlauf der Golfkri-se und des Golfkrieges bestätigt. Entgegen seinem traditionellen Selbstverständnis „durfte" Israel sich nicht gegen irakische Angriffe zur Wehr setzen, weil dies die westlicharabische Koalition gefährdet hätte. Derrelative Bedeutungsverlust Israels für die USA (siehe dazu Seite 13) fiel paradoxerweise mit der jüdischen Masseneinwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion zusammen.

Zu einem Zeitpunkt, da Israel eine Unterstützung durch die USA in erhöhtem Maße benötigte, sahen sich die Amerikaner gezwungen, andere Prioritäten zu setzen. Zwecks nachträglicher Legitimierung der Golfkriegskoalition, aus dem Wunsch, eine Region zu stabilisieren, die nun ganz unter amerikanische Kontrolle geraten ist und wegen innenpolitischer beziehungsweise ökonomischer Bedürfnisse, sah sich die US-Administration veranlaßt, Israel vor eine Entscheidung zu stellen: entweder die besetzten Gebiete oder die Unterstützung Washingtons zu behalten. Einwanderung oder Territorium, so stell-, te sich die Frage für die Regierung in Jerusalem. Eigentlich in der Absicht, beides zu erhalten, erklärte sich Israel schließlich zur Konferenz in Madrid (Oktober 1991), an der auch Vertreter der Palästinenser teilnahmen, bereit.

Paradoxerweise war es auch der Bedeutungsverlust der PLO, der die Palästinenser an den Verhandlungstisch von Madrid brachte. Die teilweise Diskreditierung der PLO-Füh-rung während des Golfkriegs zwang die Palästinenser auf sehr restriktive Bedingungen (kein Vertreter aus Ostjerusalem, von der PLO oder der Diaspora) einzugehen. Was sich zunächst als Nachteil ausnahm (da es keine andere Wahl gab), entpuppte sich als bedingter Vorteil: der Pragmatismus und die relative Unabhängigkeit der palästinensischen Delegation beeindruckten die interessierte Öffentlichkeit. Freilich hängt, wie schon so oft in der Geschichte des Konflikts, der Status und die Glaubwürdigkeit der Verhandlungsführer davon ab, daß sie einen minimalen Erfolg vorweisen können. Dies ist bisher - außer in der Sphäre der Symbolik - nicht der Fall. Das zentrale Anliegen, eine Beendigung der israelischen Landnahme in den besetzten Gebieten, konnte bisher nicht erreicht werden.

Noch kein Vertrauen

Die USA waren davon ausgegangen, daß die Verhandlungen selbst eine Dynamik auslösen würden. Der Prozeß würde gegenseitige Mythen zerstören und zu vertrauensbildenden Maßnahmen führen. Das ist bisher noch nicht eingetreten. Die Verhandlungsrunden drehten sich um Verfahrensfragen und erst jüngst kamen zwei - allerdings einander ausschließende - Autonomie-Pläne zur Sprache. Vorläufig reden die Delegationen nicht wirklich miteinander, sondern zu den Amerikanern. Jeder will in Washington Punkte sammeln. Die Annahmen der USA waren teilweise falsch und naiv: es ist nicht so, daß die Parteien einander nicht verstehen, sie verstehen sich nur zu gut...

Real bleibt die potentielle Möglichkeit eines Einsatzes der den USA zur Verfügung stehenden Druckmittel. Darum dreht sich das Verhalten sowohl der Israelis als auch der Araber. Bei den im Juni stattfindenden israelischen Wahlen wirbt die von Jiz-chak Rabin geführte Arbeiterpartei mit ihrem besseren Draht zu Washington.

Zwei aktuelle Beispiele können die Komplexität des Konflikts illustrieren. Da ist zunächst der israelische Vorschlag, Kommunalwahlen in bestimmten Gemeinden der besetzten Gebiete abhalten zu lassen. Die Absicht scheint durchsichtig: Reduktion des Stellenwerts der Nahost Verhandlungen, Image-Aufbesserung, im Westen, Signal an die israelischen Wähler, daß doch etwas versucht wird und anderes mehr. Dazu kommt, daß, wie inzwischen zu erfahren war, nur bestimmte Gemeinden in den Genuß dieses Privilegs kommen sollen und zwar ausgerechnet solche, in denen die islamische Widerstandsbewegung „Hamas" stark ist.

Dadurch könnte zweierlei erreicht werden: eine Schwächung der PLO durch eine (interne) Aufwertung ihrer Konkurrenten und die Förderung des Eindrucks, daß es sich bei den Palästinensern sowieso nur um fanatische Moslems handle. Charakteristisch ist aber auch, daß 4er Vorschlag von palästinensischer Seite entweder rundweg abgelehnt wurde oder für die Zeit nach der Errichtung einer (vorübergehenden) Autonomie für sämtliche besetzten Gebiete in Erwägung gezogen wurde. Dadurch wurde unter Umständen eine Gegenstrategie verworfen, welche die israelischen Vorschläge zum Anlaß eigener Forderungen genommen hätte, wie zum Beispiel: keine Wahlen ohne Freiheit der politischen Betätigung oder die Freilassung der politischen Gefangenen. Trotz der großen Reife der palästinensischen Führung in den besetzten Gebieten gibt es noch immer Spannungen zwischen einer Rigidität und einem prozeßhaften Verständnis von Politik.

Brisante Flüchtlingsfrage

Als zweites Beispiel ist die Erklärung eines amerikanischen Regierungssprechers zu verstehen, wonach eine Resolution aus dem Jahre 1948, welche den palästinensischen Flüchtlingen die Wahl zwischen Rückkehr und/oder Entschädigung zuspricht, weiter gültig ist. Praktisch das gesamte Spektrum der israelischen Politik (auch die Opposition) reagierte nahezu hysterisch auf diese Ankündigung. Einerseits wurde die vollkommene Ablehnung dieser Resolution betont, andererseits wurde darauf hingewiesen, daß das von Juden in arabischen Ländern zurückgelassene Vermögen größer wäre als die Verluste der Araber in Palästina. Als ob damals ein geplanter Bevölkerungsaustausch stattgefunden hätte!

Die Verdrängung der Araber aus Palästina war jedoch eine notwendige Folge zionistischer Politik. Die Vertreibungen 1948 erfolgten überdies in jene Nachbarländer, aus denen die späteren jüdischen Einwanderer gerade nicht nach Israel kamen. Die beiden Vorgänge sind unvergleichbar, werden aber bei sich bietenden Gelegenheiten gleichgesetzt. Dahinter steht die - berechtigte - Angst, daß Verhandlungen mit den Palästinensern in irgendeinem Stadium die Frage der Flüchtinge einschließen könnten. Die Ausgrenzung dieses Themas und der Ausschluß von Palästinensern aus der „Diaspora" war deshalb eine Bedingung, die Israel für die Teilnahme am „Friedensprozeß" gestellt hat. Die Hereinnahme dieses Themas würde bedeuten, daß der ganze Konflikt -und nicht erst der seit 1967 -zur Sprache kommt, das heißt

die Tatsache, daß die Entstehung und Existenz des Staates Israel durch eine Negierung der nationalen Rechte der Palästinenser ermöglicht wurde beziehungsweise daß eine Rückkehr der Flüchtlinge die Existenz Israels als jüdischer Staat unmöglich machen würde.

Andererseits können diese und ähnliche Fragen nicht ewig aus Friedensverhandlungen ausgeklammert werden. Nur wenn man den Prozeß fortsetzen will, muß man seine Vergangenheit tabuisieren oder rechtfertigen. Wenn der bisherigen Gewalt-Dynamik jedoch eine Dynamik der Ko-Existenz entgegengesetzt werden soll, dann muß dieser Prozeß beendet werden. Alle Fragen müssen auf den Tisch kommen.

Das Geheimnis ihrer Lösung besteht nicht im Ausklammern oder in Zahlenspielen, sondern im Streben nach einer grundsätzlichen Veränderung der Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern. Erst vertrauen sbildende Maßnahmen und ein verändertes Klima können gewährleisten, daß legitime Interessen einer Seite nicht zwanghaft als existenziel-le Bedrohung der anderen Seite empfunden werden.

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