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Keine Angst vor Feind und Freund

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Ein Opfer, ein Jude, übernahm die Verfolgung der Täter, die Österreich sich selber schuldig gewesen wäre und vor der es sich drückte. Wird er deshalb hier so gehaßt?

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Ein Opfer, ein Jude, übernahm die Verfolgung der Täter, die Österreich sich selber schuldig gewesen wäre und vor der es sich drückte. Wird er deshalb hier so gehaßt?

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Er hat ein Leben lang keine Ruhe gegeben, wo Ruhe den Teufelspakt mit der Unmenschlichkeit bedeutete, hat Schuld nach klaren Kriterien bewertet und dabei stets Augenmaß bewiesen. Zum Dank war er jahrzehntelang einer der verhaßtesten Männer Österreichs. Nun hat Simon Wiesenthal ein neues Buch geschrieben: „Recht, nicht Rache — Erinnerungen“.

Es gäbe all den Nachplapperern gängiger Vorurteile Gelegenheit, diese zu korrigieren — wollten sie das. Es ist keineswegs nur ein Buch über NS-Verbrechen und über die Jagd nach Tätern. Viele Österreicher haben nie erkannt, daß in einem Larfd mit über 600.000 Nazi-Parteimitgliedern die gerechte Bestrafung der Mörder und Sadisten nach dem Krieg ein Erfordernis der Selbstachtung war und auch die beste Möglichkeit dargestellt hätte, alle jene, die keine persönliche Schuld auf sich geladen hatten, in ein demokratisches Österreich zu integrieren.

Die Großparteien haben sich aber so verhalten, als gelte es, nicht einzelne Wähler, sondern ein nach wie vor geschlossenes Lager „umzudrehen“, nicht den einzelnen kleinen Ex-Nazi, sondern dessen Führerschaft zu gewinnen. Bruno Kreisky dürfte nie begriffen haben, was er Österreich antat, als er einen FPÖ-Chef, der über seine Dienstzeit in einer Spezialeinheit für Massenmord niemals überzeugend Auskunft gab, vor Wiesenthal in Schutz nahm und dabei nicht vor ebenso üblen wie unbeweisbaren Anschuldigungen zurückschreckte.

Wiesenthal schenkt in seinem Erinnerungsbuch Kreisky nichts. Aber, und das ist typisch für ihn: Er schenkt auch allen anderen nichts. Er kennt keine Feigheit vor dem Feind und keine vor dem Freund. Er kritisiert nicht nur die Nazis, sondern auch das Wegschauen der Welt in einer Zeit, in der Hitler längst als Mörder erkennbar war.

Er schenkt Waldheim nichts. Aber er schenkt auch jenen nichts, die den unbeweisbaren Vorwurf, Waldheim sei ein Kriegsverbrecher, aufrechterhalten. Als er Waldheim vor Vorwürfen in Schutz nahm, die nicht gerechtfertigt waren, kannte er das Risiko sehr genau. Viele seiner Freunde in anderen Ländern haben seine Haltung in Sachen Waldheim nicht verstanden. Er ist trotzdem nicht von ihr abgerückt.

Er schenkt den Amerikanern nichts. Ziemlich am Anfang seines Buches beschreibt Wiesenthal, wie er Anfang 1947 in einer Linzer Baracke sein Büro einrichtete und einen Dr. Wasyl Stron-cickij kennenlernte, der zwei Zimmer weiter eine Organisation für ukrainische Flüchtlinge aufbaute. Stroncickij hatte dreieinhalb Jahre in Konzentrationslagern verbracht. Trotzdem war er ein Massenmörder. Wiesenthal erfuhr es von ukrainischen Flüchtlingen, die Stroncickij von dieser Seite kennengelernt hatten. Ins KZ kam er, weil er in Konflikt mit einem österreichischen Oberleutnant, Johann Kroupa, geriet. Kroupa tat alles in seiner Macht Stehende, um den Juden des ukrainischen Städtchens Mo-sty Wielkie, wo er Stadtkommandant war, zu helfen, und Stroncik-kij denunzierte ihn wegen „Judenbegünstigung“. Kroupa konnte sich durchsetzen. Möglicherweise war Stroncickij an Offiziere geraten, die Kroupas Handlungsweise billigten...

Simon Wiesenthal arrangierte eine Gegenüberstellung Stroncik-kijs mit den Augenzeugen seiner Verbrechen und erwirkte seine Verhaftung, aber der US-Geheimdienst sorgte dafür, daß er freigelassen wurde und unbehelligt blieb, denn der Ukrainer wurde in den schmutzigen Niederungen des Kalten Krieges angeblich gebraucht. Wiesenthal sieht darin einen von mehreren Fällen, „die dazu beitragen sollten, die Selbstgerechtigkeit mancher Amerikaner in Fragen der Vergangenheitsbewältigung zu mindern“; und meint, wenn man von Waldheim rede, müsse auch von Oberleutnant Kroupa die Rede sein. Eine Bitte Wiesenthals an den Sowjetischen Hochkommissar in Österreich, General Swiridow^ Kroupa aus der Gefangenschaft zu entlassen, blieb unbeantwortet.

Simon Wiesenthal hat sich für Wehrmacht- und SS-Leute eingesetzt, die als Menschen gehandelt hatten. Dem biographischen Vorwort von Peter Michael Lingens ist zu entnehmen, daß er Zeugen für einen menschlichen KZ-Bewacher suchte, der in Dachau seiner Verurteilung entgegensah. Daß er sich in Israel Kritik aussetzte, indem er erklärte, die deutsche und österreichische Jugend sei nicht schlechter als die israelische und die Handvoll Gerechter, die das biblische Ninive vor dem Untergang bewahrten, gebe es auch bei den Deutschen — er kenne zumindest zwei und wisse von zahllosen anderen.

Wiesenthal ist ein Mann mit unbestechlichem Gerechtigkeitsgefühl. Wer das nicht weiß, obwohl er zu wissen glaubt, mit wem er es zu tun hat, sollte „Recht, nicht Rache“ lesen.

Aber auch, wer wissen will, mit welcher Art Justiz wir in Österreich leben. Welche haarsträubenden Untaten von Justizministern und Staatsanwälten dieses Landes übergangen, welche Stöße von Beweismaterial hier einfach ignoriert wurden. Österreichs Schande ist hier zu lesen, die Gleichgültigkeit einer Justiz, die im Interesse eines parteipolitischen Opportunismus alle ihre hehren Grundsätze zynisch vergaß. Das Material gegen einen Kärntner, der eine italienische Familie erschießen und in der Zentralheizung einer Schule verbrennen ließ, wurde von Justizminister Broda kommentarlos übergangen. Der Betreffende blieb Schuldirektor in Kärnten.

Das Buch rückt verbreitete sachliche Irrtümer zurecht, die Wiesenthals Organisation, Möglichkeiten und Methoden betreffen. Gewiß, er verfügt über ein trainiertes und durch die emotionale Bindung an die Lebensaufgabe motiviertes Gedächtnis und über ein detektivisches Naturtalent. Aber er ist ein Mann ohne Apparat, ein Einzelgänger mit minimalem „Stab“. Er ist jedoch weltweit die eine einschlägige „Anlaufadresse“. Wer etwas weiß, etwas ahnt, kommt zu ihm — auch mancher mit Gewissen aus dem Umfeld der Täter. Das ist sein „Geheimnis“. Er arbeitet eng mit den zuständigen Polizeistellen zusammen, die viel mehr Unterlagen haben als er und die er auf ihren Akten nicht einschlafen läßt — vor allem mit den deutschen.

Es stellt Österreich ein erschütterndes Zeugnis aus, daß Simon Wiesenthal auf der ganzen Welt ein positives Image hat - nur in Österreich nicht. Und daß die deutsche Justiz seinen Hinweisen auch heute nachgeht, während die österreichische jahrzehntelang stets abblockte. Vielleicht wurzelt der Haß gegen Wiesenthal im Bewußtsein, daß er tut, was man sich selbst schuldig war. Dies wäre noch die für uns schmeichelhafteste Lesart.

RECHT. NICHT RACHE - Erinnerungen, Von Simon Wiesenthal. Ullstein, Frankfurt/ M. 1988.156 Seiten, Ln., öS 343,-

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