Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Keine Angst vor Fremden
Freizügigkeit für Güter und Arbeitskraft ist die Parole der EG. Die restriktive Ausländerpolitik in Österreich und anderen Ländern steht dazu im Widerspruch. Ein Appell zur Neuorientierung.
Freizügigkeit für Güter und Arbeitskraft ist die Parole der EG. Die restriktive Ausländerpolitik in Österreich und anderen Ländern steht dazu im Widerspruch. Ein Appell zur Neuorientierung.
Einer der ausschlaggebenden Gründe für den unerwarteten Aus-gang der Wahlen vom 7. Oktober dürfte in der Ausländerfrage liegen. Obwohl Österreich in der Statistik mit nur 5,8 Prozent Ausländeranteil im unteren Feld des europäischen Durchschnitts liegt, wurde durch unsere ungeschickte Re-gierungspolitik (Fall Kaiserstein-bruch, Gerangel um Quotenregelung, Novellierung des Ausländergesetzes und so weiter) und durch bewußte Lügenkampagnen gewisser Medien und Kreise (50.000 Rumänen seien an der ungarisch-österreichischen Grenze, Touristenkriminalität und so weiter) die Ausländerfrage emotionell.ungeachtet der Warnung kirchlicher Kreise, so aufgeschaukelt, daß sie eine Art Angstpsychose bei vielen Österreichern auslöste.
Geschickt ausgenützt wurde dieser Umstand vom Obmann der FPÖ, der "die schlafenden Hunde der Volksseele" damit zu wecken wußte. Aus lauter Angst, Wählerstimmen zugunsten der Freiheitlichen zu verlieren, schlugen die großen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP in die gleiche Kerbe, indem sie die Visapflicht für manche Oststaaten mitten in der Wahlkampfzeit einführten und den vor einem Jahr endlich abgebauten "Eisernen Vorhang" mit Militärpatrouillen neu errichteten. Sie haben offensichtlich nicht bedacht, daß sie dadurch die Haltung der Freiheitlichen ihrerseits bekräftigen und die Ausländerfeindlichkeit weiter zementieren. Diese feige und "beschämende Haltung" (Bischof Weber) wurde vom Wähler nicht honoriert. Oder doch?!
Die in den letzten Jahren sich abzeichnende Wanderung in Europa dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so schnell zum Stillstand kommen. Mit Zwangsmaßnahmen schon gar nicht. Im Gegenteil: Alles deutet darauf hin, daß wir erst am Anfang einer Entwicklung stehen, die die größte Völker-wanderung der Weltgeschichte zur Folge haben wird. Viel zu groß ist das Wirtschaftsgefälle zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd, das eine gegenseitige Sogwirkung zwischen den reichen und den Entwicklungsländern entste-hen läßt. Hinzu kommt noch der fortschreitende Bevölke-rungsschwund der westlichen Kulturstaaten. Politiker und Wirtschaftsexperten aller Farben geben offen zu, daß Oster-reich mindestens 20.000, aber wahrscheinlich noch mehr Ausländer jährlich integrieren müßte (und könnte), sollte das gesunde Bevölke-rungs- und Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahrzehnten garantiert werden. Allein: Angesichts der Panikmache in der Ausländerfrage verfolgte unsere Regierung bisher nur eine kurzfristige, negativ-restriktive Ausländerpolitik: nämlich im Hinblick auf die nächsten Wahlen. Eine langfristige, gelenkte und in verantwortlichen Bahnen erfolgte positive Einwanderungspolitik ist aber mit der Zeit unumgänglich, will man eine illegale Ein- und Unterwanderung vermeiden.
Seit 1945 verfolgte Österreich als Brük-kenkopf und Dreh-scheibe zwischen Ost und West eine Ausländerpolitik mit Transitfunktion: Es war der große Umsteigebahnhof Euro-pas, von wo aus Hunderttausende die Reise nach Übersee angetreten haben, um dort ein neues Zuhause zu finden. Trotzdem -gleichsam gegen denWillen Österreichs - haben sich seit 1945 fast eine Dreiviertelmillion Ausländer, 300.000 Volksdeutscheund400.000 Fremdsprachige in Österreich nie-dergelassen und sind voll integriert. Die Transitfunktion Österreichs gehört seit einigen Jahren der Vergangenheit an. Nun wäre es an der Zeit, die Einwanderung nicht dem Zufall zu überlassen, sondern sie in kanalisierte Bahnen zu steuern. Eine positive Einwanderungspolitik ist überfällig.
Immer wieder hört man das Wort: Den Leuten soll geholfen werden dort, wo sie sind. Wenn sie das westliche Lebensniveau erreichen, bleiben sie dort und machen sich nicht auf den Weg ins Abenteuer.
Gewiß: Der Westen sollte durch große wirtschaftliche Solidarität alles daran setzen, daß die "Entwicklungsländer" in Ost und Süd den Anschluß an den Westen finden. Eine Auswanderung ist in der Tat, für den Wanderer, wie für das Auf nahmeland eine große Erschütterung, die möglichst erspart werden sollte. Allein: Entwicklungspolitik ist zu wenig! Immer wieder wird es auch Menschen geben, die, aus welchem Grund immer, eine neue Heimat suchen, wo sie sich besser einbringen können. Menschenrecht enthält auch das Recht auf eine menschenwürdigere Lebensweise. Die zur Zeit 400.000 im Ausland lebenden Österreicher sind der beste Beweis dafür. Österreich wird von einer positiven Einwanderungspolitik nur profitieren. Unsere zahlreichen Politiker, Wirtschaftsleute, Künstler und Sportler mit fremden Namen sind Garanten dafür.
Der Autor ist Nationaldirektor für die Ausländerseelsorge in Österreich.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!