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Keine Feigheit vor dem Freund

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Vor 30 Jahren erschien die erste Nummer der FURCHE — mit dem Datum 1. Dezember 1945. Eine Zeitung, die damals ein Novum war und in mancher Beziehung bis heute einzigartig geblieben ist. Ein katholisches Blatt, das erfolgreich für das Recht der pJrotestantis'chen Theologen stritt, bei der Besetzung des Rektorpostens an der Wiener Universität berücksichtigt zu werden, weites das für gerecht hielt. Eine konservative Zeitung, die den konservativen Außenminister zum Rücktritt veranlaßte, weil sie ihn für nicht länger tragbar hielt: In dieser Beziehung ist sie sich treu geblieben: Sie hatte immer den Mut, sich unpopulär zu machen.

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Vor 30 Jahren erschien die erste Nummer der FURCHE — mit dem Datum 1. Dezember 1945. Eine Zeitung, die damals ein Novum war und in mancher Beziehung bis heute einzigartig geblieben ist. Ein katholisches Blatt, das erfolgreich für das Recht der pJrotestantis'chen Theologen stritt, bei der Besetzung des Rektorpostens an der Wiener Universität berücksichtigt zu werden, weites das für gerecht hielt. Eine konservative Zeitung, die den konservativen Außenminister zum Rücktritt veranlaßte, weil sie ihn für nicht länger tragbar hielt: In dieser Beziehung ist sie sich treu geblieben: Sie hatte immer den Mut, sich unpopulär zu machen.

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Im April 1945 ging ein Mann zu Fuß von Baden nach Wien. Russische Soldaten, erzählte er später, hätten auf ihn geschossen, aber sie haben es wohl nicht besonders ernst gemeint, sonst hätten sie ihn ja wohl getroffen, denn er kann nicht allzu schnell gegangen sein. Er war damals bereits 73 Jahre alt. Er hieß Friedrich Funder. Er hatte ein Lebenswerk hinter sich — und ein neues Lebenswerk vor sich.

Es gab im April 1945 im Osten Österreichs weder öffentliche noch private Verkehrsmittel. Friedrich Funder ging zu Fuß nach Wien, um die Gründung einer Zeitung in Angriff zu nehmen, die er sich im Konzentrationslager vorgenommen hatte. Es sollte eine Zeitung sein, in der er alle -Fehler, die er vor 1938 gemacht hatte, vermeiden und, wo immer möglich, wieder gut machen wollte.

Friedrich Funder war vor dem Zweiten Weltkrieg ein streitbarer und manchmal ein allzu streitbarer Mann gewesen. Aber er war auch ein Mann, der noch mit 73 Jahren zu neuen Erfahrungen, neuen Erkenntnissen, neuen Entschlüssen fähig war — heute würde man von Lernprozessen sprechen. Friedrich Funders Lernprozeß bekam einen starken neuen Antrieb, als er im Dachauer Konzentrationslager zwei Mithäftlinge traf, die er vor dem Einmarsch Hitlers nach Österreich in der von ihm geleiteten „Reichspost“ als Juden aufs Korn genommen hatte und die ihm im Lager seine Mitschuld an ihrem Schicksal vorhielten. Dabei war einer von ihnen gar kein Jude.

30 Jahre lang war und blieb die FURCHE ein österreichischer Kristallisationskern aller jener Kräfte, die sich zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden bekennen, und deren Toleranz gerade darum an jenem Punkt äußerst abrupt endet, an dem die Toleranz gegenüber dem Antisemitismus beginnt. Und sei dieser Antisemitismus noch so verkappt. Wir haben diese Linie durchgehalten, auch wenn sie zeitweise weniger populär war, weil man „diese Dinge“ für „bewältigt“ und „überwunden“ hielt. (Wir haben den Antisemitismus übrigens immer für ein Phänomen gehalten, das auch Perioden der Latenz überdauert.)

Aber die FURCHE hat sich niemals auf den Antisemitismus fixiert. Sit: hat in den letzten Jahren oft auf die Probleme der Slowenischen Minderheit in Kärnten hingewiesen, mehrere Beiträge zu diesem Thema stammten aus der kompetenten Feder von Wolf In der Maur. Die FURCHE griff diesen Komplex bereits seit Jahrzehnten immer wieder auf, lange, bevor andere sehen wollten, daß es hier ein Problem gab, das, wenn man es nicht löste, eines Tages drohen würde, uns über den Kopf zu wachsen. Auch die Problematik Südtirols scheint bereits in der allerersten Nummer auf — und wird im ersten Jahrzehnt der FURCHE-Existenz immer wieder behandelt. Denn wenn dieses Blatt eines Tages nach einem Motto suchen sollte, um es, wie eine große US-Zeitung ihr berühmtes „all the news that's fit to print“, regelmäßig auf die erste Seite zu setzen, müßte es wohl heißen:'„principiis obsta“ — wehret den Anfängen!

Viele konnten oder wollten die Kontinuität der FURCHE in der Absage an den Nationalismus in allen seinen Spielarten nicht verstehen. Sie sollte man vielleicht daran erinnern, daß die FURCHE bereits in ihren allerersten Nummern, und in einer Zeit, in der dies sehr unpopulär war, vor der Anhaltung von Personen in Arbeitslagern ohne richterliches Urteil warnte und für Milde und Verständnis für all jene Nationalsozialisten eintrat, die nur Parteimitglieder gewesen waren und sich keines sonstigen Vergehens schuldig gemacht hatten.

Viele Themen, die erst später „modern“ wurden, hat die FURCHE sozusagen entdeckt. Denn Friedrich Funder hatte zwar außerordentlich feste, mitunter selbst für seine engsten Mitarbeiter ungemütliche katholische Prinzipien, aber alles andere als einen Kirchturmhorizont. Der junge Friedrich Funder wurde — aus ärmlichsten Verhältnissen stammend — 1896 Redakteur bei der „Reichspost“ (damals ein langweiliges „Kaplamsblättchen“), 1900 ihr

Chefredakteur, später Herausgeber und Geschäftsführer des Hauses, und gehörte vor dem Ersten Weltkrieg zu den Vertrauten Franz Ferdinands und Luegers. Franz Ferdinand und Seipel waren vermutlich die einzigen Männer, die er verehrte und bewunderte.- Obwohl er dem Ständestaat eher reserviert gegenüberstand und Dollfuß vergeblich für eine Begnadigung des zum Tod verurteilten Sozialisten Weissei zu gewinnen suchte, war im Funder der Zwdschenkriegszeit, im Chefredakteur der eher judenfeindlich gestimmten „Reichspost“, der Gründer der FURCHE sicher noch nicht erkennbar.

Er ist eines der seltenen Beispiele für eine echte, tiefgreifende innere Wandlung aus Erkenntnis und, wie man hier ruhig sagen kann, Reue. Mehr als einmal sagte er: „Es wäre schrecklich für mich, alles noch einmal lesen zu müssen, was ich geschrieben habe!“ Gerade aus dieser Einsicht heraus wurde er zu einem der unbeirrbarsten Pluralisten, Moralisten und Demokraten, die die österreichische Publizistik hervorgebracht hat. Dabei war und blieb er ein Streitbarer, ein Schwieriger und oft Unberechenbarer, und ein Choleriker, der allerdings — wie viele Choleriker — überhaupt nicht nachtragend war. Und der sich prinzipiell in Gegenwart jener, die Zeugen einer Ungerechtigkeit geworden waren, bei dem, der deren „Opfer“ gewesen war, entschuldigte.

Friedrich Funder starb am 19. Mai 1959, 86 Jahre alt. Die Geschichte der

Fortsetzung auf Seite 20

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