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Keine fremden Nasen
Der 1. Mai, in anderen, glücklicheren Ländern als Feiertag mit Tanz und Gesang, mit Umzügen und Aufmärschen begangen, hat für Ulster, die gequälte nordirische Provinz, nichts anderes gebracht als eine Bestätigung der Hoffnungslosigkeit und Aussichten auf neue Gewalttätigkeiten immer größeren Ausmaßes. Die an diesem Tag durchgeführten allgemeinen Wahlen, die sechsten in Nordirland innerhalb der letzten drei Jahre, haben erneut das völlige Versagen demokratischer Methoden zur Lösung der nordirischen Krise bewiesen, und das Wunschdenken des britischen Nordirlandministers Rees dürfte sich sehr bald wieder der alten, blutigen Realität in Ulster gegenübersehen.
Der 1. Mai, in anderen, glücklicheren Ländern als Feiertag mit Tanz und Gesang, mit Umzügen und Aufmärschen begangen, hat für Ulster, die gequälte nordirische Provinz, nichts anderes gebracht als eine Bestätigung der Hoffnungslosigkeit und Aussichten auf neue Gewalttätigkeiten immer größeren Ausmaßes. Die an diesem Tag durchgeführten allgemeinen Wahlen, die sechsten in Nordirland innerhalb der letzten drei Jahre, haben erneut das völlige Versagen demokratischer Methoden zur Lösung der nordirischen Krise bewiesen, und das Wunschdenken des britischen Nordirlandministers Rees dürfte sich sehr bald wieder der alten, blutigen Realität in Ulster gegenübersehen.
Der überwältigende Wahlsieg der United Ulster Unionists, der protestantischen „Loyalisten“-Koalition, die in der neuen, von der britischen Regierung anvisierten Konstitutionellen Versammlung Nordirlands beinahe über eine Zweidrittelmehrheit verfügen werden, bedeutet das Ende aller Hoffnungen auf eine demokratische Teilung der politischen Macht zwischen Protestanten und Katholiken — die einzige Lösung, die von Großbritannien sanktioniert werden könnte. Diese nordirischen Loyalisten nämlich lehnen aus ihrer Position der Stärke heraus jede echte Konzession an die Kathollken entschieden ab, und selbst der gemäßigste unter den protestantischen Koalitionsführern, Harry West, erklärte in einer Rede nach den Wahlen, es könne keine Rede davon sein, den „Feinden des Staates“ Anteil an der Provinzregierung zu gewähren. Und der nichts weniger als gemäßigte Pastor Ian Paisley richtete an die nordirischen „Republikaner“ ebenso wie an die irische Regierung in
Dublin die unmißverständliche Aufforderung, „ihre Nasen nicht in die Angelegenheiten Nordirlands“ zu stecken.
Unter „Staatsfeinden und Republikanern“ verstehen die protestantischen Extremisten in diesem Fall die Sozialdemokratische und Labour-Partei von Ulster, die hauptsächlich aus Katholiken bestehende Oppositionspartei, die weniger als ein Viertel der abgegebenen Stimmen erringen konnte. SDLP-Parteiführer Gerry Fitt, der in seinem Wahlkreis von Belfast wiedergewählt wurde, richtete an die britische Regierung die Warnung, daß es bei künftigen Gewalttätigkeiten in Nordirland weniger zu Zusammenstößen zwischen Katholiken und Protestanten als zwischen Protestanten und den britischen Truppen in Ulster kommen werde.
Aber die SDLP schreibt ihr schlechtes Abschneiden bei den Wahlen mit Recht auch der geringen Wahlbeteiligung von rund 65 Prozent zu; diese ist nur zum Teil
der verständlichen Apathie vor allem der katholischen Wähler in Nordirland zu verdanken, zum anderen, größeren Teil jedoch der Kampagne der Sinn Fein, des politischen Zweiges der Terrororganisation IRA. Die Sinn Fein hatte zum Boykott dieser Wahlen aufgerufen, und Mitglieder der Provisorischen IRA haben, Meldungen zufolge, in der ganzen Provinz mit allen möglichen Einschüchterungsmethoden versucht, diesem Appell ihrer politischen Führung Gehör zu verschaffen. So war es zum Beispiel in Lon-donderry am Abend des Wahltages zu einem größeren Zusammenstoß zwischen britischen Truppen und über 200 katholischen Jugendlichen gekommen, die dort Kisten mit abgegebenen Stimmzetteln entführen wollten; bei dem fast zweistündigen „Gefecht“ kam es zu einer Reihe von Verwundeten auf beiden Seiten.
Ein schwacher Lichtblick war das relativ gute Abschneiden der nordirischen Alliance-Partei, die mit ihren aus Katholiken und Protestan-
ten bestehenden Mitgliedern als die einzige leise „Stimme der Vernunft“ in Ulster bezeichnet werden könnte, und die rund 10 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigte. Dieser Lichtblick wird aber wieder wettgemacht durch die schwere Niederlage der neuen protestantischen Unionspartei unter dem ehemaligen nordirischen Ministerpräsidenten Brian Faulkner; mit nur 6 von 78 Sitzen in der neuen Konstitutionellen Versammlung bedeutet dies eine Niederlage für die einzige gemäßigte Protestantengruppe in Nordirland, die zu einer Teilung der Macht mit den Katholiken bereit wäre.
Die Zukunft der von der britischen Regierung mit soviel Hoffnungen angestrebten neuen gesetzgebenden Körperschaft von Ulster, der Konstitutionellen Versammlung oder Konvention, dürfte kurz und schmerzvoll sein. Die ohnehin schon vorsichtige Schätzung des Nordirlandministers Rees, der eine vorläufige Sitzungsperiode von sechs Monaten für die Versammlung vorgesehen hatte, erscheint als unwahrscheinlich; die protestantischen Loyalisten haben bereits mehr oder weniger offiziell ihrer Auffassung Ausdruck verliehen, daß es sich dabei um ein totgeborenes Kind handle, das man sobald wie möglich be-
graben sollte. Kompromißvorschläge, Alternativen irgendwelcher Art haben sie allerdings nicht vorgebracht.
Der außenstehende Beobachter der Lage in Nordirland muß heute zu dem tragischen, aber unausweichlichen Schluß kommen, daß dort offenbar noch immer nicht genügend Blut geflossen ist, noch immer nicht genügend Menschen und Häuser in die Luft gesprengt wurden, dem jahrhundertealten Stammeshaß noch immer keine Sublimierung zuteil wurde. Der Ausgang der jetzigen Wahlen läßt erkennen, daß die Extremisten auf beiden Seiten des nordirischen Konflikts aus allen Schrecken der letzten Jahre nichts gelernt haben, und daß sie stärker sind als die Masse des zwischen ihnen liegenden Volkes, dessen Friedens- und Ruhebedürfnis keine Erfüllung finden kann. Diese Extremisten bereiten sich jetzt ganz offensichtlich auf eine neue Konfrontation vor, die, wie viele britische Politiker bereits befürchten, gefährlichere Dimensionen annehmen könnte als je zuvor. Und der weinende Dritte in dieser Katastrophe wird wiederum die britische Regierung sein, angegriffen und geschmäht von beiden Seiten, unfähig, eine Krise beizulegen, die sich anerkanntermaßen jeder rationalen Analyse entzieht.
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