6798081-1971_20_05.jpg
Digital In Arbeit

Keine Freunderlwirtschaft?

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn in politischen Kreisen das in den Mehrheitsverhältnissen

Gespräch auf Österreichs größtes waren zwar immer möglich, doch der Bundesland kommt, dann sind sich Ruf N iederosterreichs als „Kem- vor allem die von Bruno Pittermann land” der rechten Reichshälte war als „Alpenösterreicher” bezeichneten nie wirklich gefährdet, westlichen Landsleute darüber einig, Mag sein, daß nicht alle, die in den daß dieses Land mit seinen stabilen Dezembertagen des Jahres 1969 ihre politischen Verhältnissen ein Phäno- Zustimmung zur Beschlußfassung men ist. Beginnen sich.in Vorarlberg über ein Raiumordnungsgesetz in, die Gemüter bereits an einer See- Niederösterreich gegeben haben, Uferstraße derart zu erhitzen, daß sämtliche tiefgreifenden Konse- man von einer schweren politischen quenzen dieses legislativen Aktes Krise sprechen kann; ist es in abschätzen konnten. Tatsache ist, Oberösterreich sogar unter einem daß man sich heute offen dazu be- Gleißner möglich, daß angeblich so kennt, elementare Entscheidungen solide Mehrheitsverhältnisse plötz- über die Struktur der Industrie, die lieh ins Wanken geraten; bedeutete Entwicklung der Landwirtschaft, im Burgenland allein die krankheits- die Schwerpunkte im Fremdenver- bedingte Wahlkampf abstinenz des kehr und die umfassende Materie VP-Spitzenkandddaten den Beginn der Gesundheitspolitik nicht mehr einer sozialistischen Ära, so zeigt selbst im kleinen Politikerkreis zu sich Niederösterreich selbst von so fällen, sondern sie ausschließlich der gewaltigen Erschütterungen wie dem Qualifikation anerkannter Experten „Müllner-Skandal” nahezu unbe- und Wissenschaftler zu überlassen, rührt und unbeeindruckt. Kleine, Das ist viel in einem Land, in dem eher unbedeutende Verschiebungen die Entscheidung über den Neubau einer Schule, den Einsatz von Förderungsmitteln oder die Errichtung eines Sesselliftes noch vor wenigen Jahren von der Hartnäckigkeit diverser Geibietsabgeordneter, vielfach aber auch von der Qualität und der anheimelndem Atmosphäre des Weinkellern irgendeines Bürgermeisters abhängig warn Auf jeden Fall aber von der subjektiven Haltung eines Politikers, der die Anliegen seines Wahlkreises zwangsläufig vor die umfassende Konzeption des gesamten Landes stellte.

Mit der Beschlußfassung über das Raumordnungsgesetz war auch die Gründung eines „Raumordnungsreferates” beim Amt der Landesregierung verbunden. Quellenstudium, das im Landhaus Jahre hindurch betrieben und dann in Schreifotischladen vergessen wurde, bekam plötzlich doch Sinn und Leben.

Spätestens seit der Aussendung des „Industriekonzeptes” an alle Ge meinden ist es in Niederösterreich jedem Funktionär und Mandatar klar, daß ein neues Zeitalter angebrochen sein könnte. Der Verordnungsentwurf, in dem jede einzelne niederösterreichische Gemeinde entweder als allgemeiner Eignungsoder Ausbaustandort für eine Industriegründung qualifiziert wird, regelt eindeutig auch das Ausmaß jener öffentlichen Förderung, die den Unternehmen in den einzelnen Orten gewährt werden kann. Der Freunderlwirtschaft und Interven- tionitis wurde dadurch der Garaus gemacht, denn entscheidend für erhöhte oder weniger hohe Förderung ist nicht mehr Gunst oder Mißgunst eines Politikers, Durchsetzungsvermögen eines Abgeordneten oder gar Atmosphäre eines Weinkellers, sondern ausschließlich die Meinung von Experten, und Wissenschaftlern, die die Grundlagen für dieses Landeskonzept erarbeitet haben.

Was für den Bereich der Industrieförderung bereits durchexerziert ist — die Begutachtungsfrist für Interessenvertretungen und Gemeinden war vor wenigen Tagen zu Ende — und überraschend positives Echo aus dem Kreis der Betroffenen auslöste, das wird in Kürze auch für den Sektor Fremdenverkehr, Landwirtschaft und Gesundheitspolitik durch- gefühirt.

Alle vier Konzepte gemeinsam ergeben sodann ein umfassendes Lan- desentwicklungsprogramm, das durch seine bindende Verankerung im Bereich der Exekutive zu einer modernen, zukunftsorientierten Ver waltungsunterlage wird, der kein anderes österreichisches Bundesland und nur wenige Gebietskörperschaften in Westeuropa vergleichbare Praktiken entgegensetzen können. Wenn mit der Fürhrung des neuen Raumordnungsreferates, das Infolge der bindenden Verankerung aller Bereiche der Landespolitik in der Konzeption — gewollt oder ungewollt — immer mehr zur eigentlichen Kommandozentrale wird, der junge Landesbeamte, Finanz- und Wohnibaureferent Siegfried Ludwig betraut wurde, so ist das nicht nur symbolhaft für den neuen Regierungsstil, sondern bezeichnend auch für das „G’spür” der unbestritten dominierenden Persönlichkeit der Landespolitik, des Trautmannsdorfer Bauern Andreas Maurer.

Nicht so konziliant wie Leopold Figl und nicht so egozentrisch wie Josef Krainer beherrscht der niederösterreichische Landeshauptmann Regierung und Legislative in einer Art und Weise, ‘die manchmal grob — aber nicht verletzend ist.

Auch Maurers sozialistischer Gegenspieler Czettel, der früher mehr durch politische Polemiken, „beinharte” Erklärungen und seine parteilichen Steherqualitäten bekannt war, kämpft nun mit wissenschaftlichen Gutachten und Konzepten seinen politischen Kampf auf Landesebene aus. So verfügt Niederösterreich, heute über Nacht im Schatten von Konzepten, über ein erstaunlich ausgeglichenes politisches Klima.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung