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Digital In Arbeit

Keine heile Konjunkturwelt

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„Stabilisieren müssen alle”, sagte Präsident Benya dieser Tage vor dem Kongreß der Privatangestellten. Die Gewerkschaften werden sich bei den Lohnforderungen zurückhalten, dafür müssen aber auch die Unternehmer auf einen Teil ihrer Gewinne verzichten.

Goldene Worte fürwahr. Entsprechen ihnen die Taten? Die Metall- und Bergarbeiter haben vor einigen Tagen, auch diesmal als Avantgarde im Lohnkampf, einen Abschluß erzielt, der erfahrungsgemäß die Leitlinie für alle weiteren Abschlüsse sein wird, so daß mit einigen Kau- telen eine generelle Aussage über die anlaufende Lohnrunde schon möglich sein dürfte.

Die für den Metallsektor vereinbarte 12,5prozentige Effektivlohnerhöhung scheint im ersten Moment die lohnpolitische Zurückhaltung der Gewerkschaften zu bestätigen. Angesichts einer gut lOprozentdgen Inflationsrate in diesem Jahr stellt dies die niedrigste Bruttoreallohnsteige- rung seit langem dar, welche außerdem — trotz der Androsch’schen Steuersenkung — in den meisten Fällen von der Progression kassiert werden dürfte. Per saldo dürfte daher kaum ein Nettolohnanstieg übrig bleiben. Ein tristes, leider unvermeidliches Ergebnis der jahrelangen Inflationspolitik.

Daß die kollektivvertragliche Erhöhung 16,5 Prozent ausmacht, dürfte an dieser Tatsache wenig ändern: Die Effektivlöhne liegen in dieser Branche ziemlich generell über den Kollektivvertragssätzen. Im kommenden Jahr wird aber angesichts der sich verschlechternden Konjunktursituation die „wagedrift” — also die Tendenz der Effektivlöhne, den Kollektivverträgen davonzulaufen — zweifellos geringer sein. Die Chance der Arbeitnehmer, im Lauf des Jahres auch bei den Effektivlöhnen die kollektivvertragliche Zuwachsrate herauszuschlagen, dürfte weniger aussichtsreich geworden sein.

Also doch ein Beitrag der Gewerkschaften zur Stabilisierungspolitik? Man mag es so verstehen, nur — wird er ausreichen, um so mehr, als das Monsterbudget des Bundes seinen Beitrag schuldig geblieben ist?

Mit diesem Zweifel wird keines-

Was sich noch vor kurzem, euphorisch als dritte Kraft (schon mit der Betonung auf „Kraft”) stilisierte und als Nabel der österreichischen Innenpolitik sah, steckt heute in der Existenzkrise.

Die Gründe für den Niedergang der FPÖ sind vielfältig. Doch eines stheint uns dabei vor allem wichtig und festhaltenswert: Die Krise der FPÖ wurde nicht von innenpolitischen Konstellationen, nicht von anderen Parteien heraufbeschworen, sondern einzig vom Wähler. Kann schon sein, daß in wirtschaftlichen Krisenzeiten alle Wegweiser auf große Koalitionen zeigen — in Österreich, wo der Kanzler nach wie vor mit seinem ganzen Gewicht gegen iie große Koalition steht, haben nicht. Koalitionsgerüchte den Rechtsaußen in den Orkus des Stimmenschwun- des gestürzt, sondern umgekehrt: clie Krise der Kleinpartei verdichtet das Koalitionsklima.

wegs die Partei der Unternehmer ergriffen — diese können schließlich Kostensteigerungen um so leichter auf die Preise überwälzen, je inflationistischer das allgemeine Klima ist — sondern es geht um die Interessen der Sparer, sowie der Steuerzahler und Konsumenten — also mehrheitlich Arbeitnehmer und Pensionisten.

Wir dürfen nicht übersehen, daß ab 1. Jänner eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich in Kraft tritt, die einer weiteren Lohnerhöhung um mehr als 5 Prozent entspricht. Dadurch aber steigen die realen Stundenverdienste insgesamt bereits weit stärker als dies der Benya-Formel von 3 Prozent Reallohnerhöhung entspricht. War die Produktivitätszunahme der Industrie mit der realen Effektivlohnerhöhung 1 noch nicht ausgeschöpft, so ist sie unter Berücksichtigung der Arbeitszeitverkürzung bereits überkompensiert.

In Betracht zu ziehen ist des weiteren, daß zahlreiche Sektoren der Wirtschaft — speziell die Dienstleistungsbereiche — kaum Produktivitätszunahmen zu verzeichnen haben, den Kosteneffekt der voraussichtlich ungefähr gleich hohen Lohnsteigerungen also zur Gänze zu spüren bekommen. Aber auch im Fall der Industrie ist zu bedenken, daß mit der Produktivitätssteigerung noch ganz andere Kostenbelastungen aufgefangen werden sollen — nämlich die noch immer steigenden Vormaterialpreise, die inflationsbedingt weiter wachsenden Steuern, und nicht zuletzt die steigenden Kosten des U mweltschutzes.

Gewiß, auch die Unternehmer sollen auf einen Teil ihrer Gewinne verzichten. Aber dieser Gewinnverzicht wird nie durch Lohnerhöhungen erzwungen werden können, sondern nur durch Verringerung der Inflation und durch schärferen Wettbewerbswind — also durch Reduktion dessen, was man als Überkonjunktur bezeichnet. Dies aber wirkt sich nicht zuletzt dahingehend aus, daß die Unternehmer mit ihren Preisvorstellungen auf wenig Widerstand stoßen.

Die kraftmeierische Formulierung „Die Arbeitnehmer werden sich holen, was sie brauchen” täuscht eine heile Konjunkturwelt vor, welche nicht mehr existiert: Was die Arbeitnehmer am wenigsten brauchen, ist Inflation und deren unausweichliche Folge, die Arbeitslosigkeit. Immer deutlicher zeigt sich nämlich, wie falsch die Formel „Inflation oder Arbeitslosigkeit” ist. Die Realität lautet vielmehr: Inflation schafft Arbeitslosigkeit.

Es wäre höchste Zeit, daß die Verantwortlichen in den Parteien und in den Gewerkschaften der Bevölkerung endlich reinen Wein einschenken: Es ist auf die Dauer unmöglich, durch Lohnsteigerungen die Inflation zu kompensieren, ja zu überkompensieren. Wenn wir der Inflation und der Arbeitslosigkeit entkommen und auf längere Sicht wieder echte Reallohnsteigerungen erreichen wollen, gibt es nur eine Methode dazu: In der Stabilisierungsphase auf Reallohnsteigerungen, ja sogar auf volle Abgeltung der Inflation zu verzichten. Gewiß ein unpopuläres Konzept, aber ohne solche drastische Maßnahmen sind, die Folgen der skrupellosen Inflations- und Konjunkturüberhi’tzungs- politik der letzten Jahre nicht mehr abzuwenden.

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