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Keine Herrschaft über ein anderes Volk

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Den Nahost-Friedensprozeß analysierte der frühere Israel-Botschafter unlängst in Wien. Hier ein kurzer Auszug.

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Den Nahost-Friedensprozeß analysierte der frühere Israel-Botschafter unlängst in Wien. Hier ein kurzer Auszug.

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Der Beginn des Friedensprozesses in Madrid und besonders die Osloer Wende haben die Welt von dem offenkundig leidenschaftlich empfundenen Bedürfnis befreit, den Israelis und den Arabern Ezzes zu geben. Ich hoffe, daß diese dramatische Änderung nicht die internationale Bereitschaft vermindert, den Staaten und Völkern des Nahen Ostens zu helfen, die schweren und komplizierten Schritte zu unternehmen, die jetzt vonnöten sind.

Unsere palästinensischen Nachbarn, deren Leben mit dem unseren unlösbar verflochten bleibt, auch wenn wir jetzt gemeinsam eine politische Trennung anstreben, werden hoffentlich im Laufe ihrer eigenständigen Entwicklung besser verstehen, daß sie nicht für alle ihre Schwierigkeiten und Mißgeschicke anderen die Schuld geben können. Im gesellschaftlichen Bereich, besonders in dem der Menschenrechte, werden palästinensische Behörden und Funktionäre nicht nur Beschwerden lüften dürfen, sondern sich auch verantworten müssen.

In Israel ist die landesweite und lautstarke Auseinandersetzung, die erwartungsgemäß dem Osloer Abkommen und dem Washingtoner Spektakel folgte, wohl keineswegs vorüber. Inzwischen erreichte sie ihr Crescendo in der dreitägigen Knesset-Debatte, die das Abkommen mit der PLO bestätigte. Bisher besteht der Eindruck, daß die Debatte viel kürzer und weniger schmerzvoll war, als allseits befürchtet wurde. Auch aus den Reihen der führenden Oppositionspartei, dem Likud, mehren sich die Stimmen derjenigen, die das Suchen der Regierung nach einer Lösung des 100jährigen Konflikts nicht pauschal ablehnen.

Der Leitstern israelischer Politik in dieser zukunftsträchtigen Zeit ist die Uberzeugung, daß Israel nicht über ein anderes Volk herrschen will, soll und kann; daß es gute Beziehungen mit den Palästinensern, mit Jordanien und mit seinen anderen Nachbarn anstrebt und in diesen Beziehungen ein wichtiges Element seiner Sicherheit sieht; daß die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der arabischen Welt große Vorteile für alle Beteiligten verspricht; daß die neue Konstellation auch hochwichtige Abmachungen über Abrüstung und vertragliche Kontrolle von Waffen der Massenvernichtung ermöglicht; und nicht zuletzt, daß wir bereit sind, mit unseren Nachbarn grenzüberschreitende Probleme im Bereich der Wassernutzung, des Umweltschutzes und des Rauschgifthandels anzugreifen. Die arabischen Staaten werden schnell ausfindig machen, daß Israel ihnen gegenüber eine Politik der guten Nachbarschaft führt aber auch imstande sein wird, auf Gegenseitigkeit zu bestehen.

Ein Thema, das nicht auf der Tagesordnung der jetzigen israelischpalästinensischen Verhandlungen steht, ist Jerusalem. Und doch macht diese Stadt den politischen, historischen, religiösen und emotionellen Mittelpunkt der nahöstlichen Verwicklung aus. Es wäre sinnlos und schädlich, heute unnötigerweise, das heißt außerhalb der erst in einigen Jahren stattfindenden Unterredungen, Modalitäten für die Zukunft auszutüfteln. In den anfangs November ausgetragenen Kommunalwahlen, in denen der Likud-kandidat Ehud Olmeit mit der massiven Unterstützung der Orthodoxen Teddy Kollek als Bürgermeister ablöste, waren die großen politischen Zukunftsfragen wenig im Gespräch.

Trotzdem bleibt klar, daß die internationale Anerkennung der Unteilbarkeit Jerusalems, der Hauptstadt Israels, die bis 1967 einen häßlichen Stacheldraht in ihrer Mitte sah, weitgehend davon abhängt, ob die arabischen Bürger der Stadt sich in ihr zu Hause fühlen. Der neue Bürgermeister hat den Arabern in Jerusalem Gleichstellung der städtischen Dienstleistungen versprochen. Heute hinken diese Leistungen denen nach, die jüdischen Einwohnern zur Verfügung stehen. Vielleicht erklärt dieser bedauerliche Zustand, warum die arabischen Bürger der Stadt größtenteils ihr Wahlrecht nicht ausgeübt haben.

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