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Digital In Arbeit

Keine Hilfe für Dragan Z

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Immer öfter und immer mehr Gastarbeiter müssen nach Jahren harter Arbeit in Österreich das Land verlassen: auch dann, wenn sie eigentlich für immer bleiben wollten.

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Immer öfter und immer mehr Gastarbeiter müssen nach Jahren harter Arbeit in Österreich das Land verlassen: auch dann, wenn sie eigentlich für immer bleiben wollten.

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„Arbeitskräfte haben wir gerufen, Menschen sind gekommen." Einer von ihnen: Dragan Z., 40jäh-riger Vater von vier Kindern. 1973, zur Zeit der Hochkonjunktur, kam er nach Österreich; jetzt ist er arbeitslos. Zvonko, mit 16 Jahren der älteste Sproß, erhält die Familie durch Schwarzarbeit.

Einen Monat haben Vater und Sohn noch Zeit, eine geregelte Beschäftigung zu finden. Gelingt ihnen das nicht, wird über die ganze Familie ein Aufenthaltsverbot verhängt.

Denn nach Paragraph 25 Absatz 3 des Paßgesetzes wird die Verlängerung des Visums versagt, wenn ein weiterer Aufenthalt „zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte".

Dragan Z. wird in einem Monat seinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung verlieren. Dann könnte er sich um Gewährung von Sozialhilfe bemühen. Die Wiener Magistratsabteilung 12 jedoch gibt die Namen ansuchender Ausländer sofort an die Fremdenpolizei weiter.

Als Dragan Z. alleine nach Österreich gekommen war, waren die meisten Gastarbeiter sogenannte ,3otierer", die häufig die Firma wechselten. Erst Jahre später fand er in einem Schlossereibetrieb eine seiner Ausbildung entsprechende Anstellung. Er ließ seine Frau und nacheinander die vier Kinder in die neue Heimat kommen.

Als letzter kam Zvonko, vor drei Jahren. Der Vater verdiente recht gut - bische Aufträge seiner Firma zurückgingen. Zvonko hatte soeben mit 15 Jahren die Hauptschule ohne Abschluß verlassen. Er, der erst spät nach Österreich gekommen war, tat sich schwer mit der Sprache.

Die Firma des Dragan Z. brauchte sich bei der Wahl der Leute, die sie entlassen mußte, bloß an Paragraphen orientieren: Das Ausländerbeschäftigungsgesetz schreibt vor, daß bei einer „Verringerung der Zahl der Arbeitsplätze die Beschäftigungsverhältnisse der Ausländer vor jenen der inländischen Arbeitnehmer zu lösen sind".

Eigentlich hätte Dragan Z. nach elf Jahren sogar Staatsbürger dieser Republik sein können. Irgendwann in dieser Zeit ist er einmal ein paar Wochen zu lang nach Jugoslawien gefahren und hat diesen Anspruch verloren.

Dragan Z. weiß das. Aber er weiß auch, daß er Monat für Monat den vollen Steuersatz eines Österreichers bezahlt hat. Als ihm trotzdem keine Wohnbauförderung gewährt wurde, empfand er es bloß als ungerecht. Die Tatsache, daß er keinen Anspruch auf Notstandsbeihilfe oder andere Sozialgelder (FURCHE 22/1984) hat, bedroht ihn und seine Familie nun in ihrer Existenz.

Das Damoklesschwert, als „finanzielle Belastung" eingestuft zu werden, stellt wenigstens eine berechenbare Gefahr für Gastarbeiter dar. Wenn es aber auch im Ermessen der Behörde liegt, zu bestimmen, ob ein Ausländer „öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit" (Paragraph 3 Fremdenpolizeigesetz) gefährdet, werden die Betroffenen oft zu einer Art Freiwüd.

So sind mehrere Fälle bekannt, in denen ganze Familien abgeschoben wurden, nachdem eines der Kinder im Supermarkt eine Kleinigkeit hatte mitgehen lassen.

Der Fall des Türken Kemal A. ist noch nicht entschieden. Seit 1973 in Österreich, verheiratet, zwei Kinder im Vorschulalter,war er vor zwei Jahren in eine Rauferei mit einem Landsmann verwickelt.

Das daraufhin verhängte Aufenthaltsverbot wurde vom Anwalt sogar beim Verwaltungsgerichtshof angefochten, ohne Erfolg. Kurz danach sprach ein ordentliches Gericht Kemal A. von der Anklage der Körperverletzung frei. Die Fremdenpolizei indes will bis heute nicht einsehen, daß dieser Freispruch die Begründung des Aufenthaltsverbots ad absurdum führt.

Unter Österreichs Gastarbeitern herrscht Angst. Militante „Ausländer raus"-Schreier vermochten das nicht, wohl aber viele Behörden. Oftmals trauen sich Kolaric, Güney & Co. nicht einmal mehr zum Arzt, weil sie befürchten, dieser würc\e sie im Krankheitsfall als „finanzielle Belastung" melden.

Mißtrauen und Angst begegnen auch dem Reporter, wenn er mit seinen blonden Haaren eines der vielen türkischen oder jugoslawischen Lokale Wiens betritt. Kein Wunder, ist doch den Anwesenden die letzte Razzia der Fremdenpolizei noch in schlechter Erinnerung.

Aus Angst läßt sich auch Kapital schlagen: Dubiose Firmen verkaufen um bis zu 30.000 Schilling Beschäftigungsbewilligungen an Ausländer.

Aber auch für diese Minderheit behält das Prinzip Hoffnung seine Gültigkeit: Im Jugendzentrum Wien-Erdberg zeigt ein junges Team von Sozialarbeitern, wie Integration vor sich gehen kann. Im „Werkstätten- und Kulturzentrum (WUK)" leistet ein „Verein zur Betreuung von Ausländern" unermüdlich Arbeit in Sachen Beratung und Hilfeleistung.

Im Sozialministerium hat man sich immerhin der Ausländer der zweiten Generation, wozu auch die Kinder des Dragan Z. zählen, angenommen: als einer von 14 Punkten des „Arbeitsmarktpolitischen Jugendprogramms 1985" und der .Aktion 8000". Demnach werden auch Lehrstellen für Gastarbeiterkinder gefördert, auch sie dürfen ab September Be-rufsvorbereitungs- oder spezielle Sprachkurse besuchen oder den Hauptschulabschluß nachholen.

Die Ausländer betreffenden Punkte der beiden Programme laufen unter dem Slogan „Gleichbehandlung". In arbeitsmarktpolitischer Hinsicht wird dieser Anspruch also weitgehend erfüllt, nicht aber in rechtlicher.

Nicht, daß es keinen Ausländerstopp geben sollte; die vielen Dagebliebenen aber, die sich hierzulande eine bescheidene Existenz aufgebaut haben, deren Kinder die Sprache der Heimatländer kaum beherrschen, sie sollten nicht länger als „Österreicher zweiter Klasse" behandelt werden dürfen.

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