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Keine Hochstimmung für Europa

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Wer zum Jahresbeginn eine Bilanz des Fortgangs der europäischen Integration ziehen will, der wird die neueste Entwicklung keineswegs mit Optimismus begrüßen. Auch für das Jahr 1977 waren ja von den leitenden Politikern der EG günstige Prognosen gestellt worden, die sich inzwischen als nicht real erwiesen haben. Die letzte Zusammenkunft von Staats- und Regierungschefs der neun Länder in Brüssel hat keineswegs dazu beigetragen, die überzeugten Europäer in Hochstimmung zu versetzen. Nicht einmal die elementare Forderung, sich gegen den internationalen Terrorismus gemeinsam zur Wehr zu setzen, hat die Zustimmung aller Staaten gefunden.

Große Erwartungen knüpften sich an das Projekt, 1978 in den Mitgliedsstaaten der EG europäische Direktwahlen zu organisieren. Aber die starre Haltung Großbritanniens, das an einem Wahlmodus festhält, der den anderen Ländern nicht zusagt, wirft die Frage auf, ob die Bürger Europas denn wirklich psychologisch und organisatorisch noch nicht in der Lage sind, in direkten Wahlen eine gemeinsame Volksvertretung zu konstituieren. Nicht nur England sabotiert die bisherigen Vorschläge in dieser Richtung.

In Frankreich wenden sich orthodoxe Alt-Gaullisten, wie der frühere Ministerpräsident Debre, gegen die Absicht der gegenwärtigen Staatsführung, Souveränitätsrechte zugunsten Europas aufzugeben. Soweit es die Gaullisten der V. Republik betrifft, kämpfen sie nicht nur als Erben der Politik de Gaulles gegen die europäischen Wahlen. Da es in den anderen Ländern keine Partei gibt, die mit dem französischen RPR eine internationale Koalition eingehen würde, fühlen sich die Anhänger Chiracs isoliert und wollen nicht in der Masse europäischer Abgeordneter untergehen. Auch die Kommunisten sind nicht daran interessiert, in der europäischen Kammer eine relativ bescheidene Rolle zu spielen. Daher werden weiterhin die Geschicke der Europäischen Gemeinschaft von den christlichen Demokraten, den Sozialisten und den Liberalen getragen.

Im Jahre 1977 setzte sich das Europäische Parlament aus den folgenden Fraktionen zusammen: Von den insgesamt 198 Abgeordneten waren 65 Sozialisten (34 Prozent), die Christdemokraten zählten 53 Abgeordnete (27 Prozent), die Liberalen 24 (12 Prozent), die Gaullisten 18 (9 Prozent), die Konservativen 18 (9 Prozent), die Kommunisten 17 (8 Prozent), die Fraktionslosen 3 (1 Prozent). Analysiert man diese Zahlen und vergleicht man sie mit jenen des Jahres 1953, so stellt man fest, daß die Christdemokraten damals mit 49 Prozent vertreten waren, die Sozialisten jedoch mit nur 30 Prozent. Zu Beginn der siebziger Jahre zeichnete sich in der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ein deutlicher Umschwung zugunsten der sozialistischen Parteien ab, die der Überzeugung sind, daß Europa nur dann geschaffen werden könne, wenn es sozialistisch sei. Dagegen haben die Christdemokraten nie den Anspruch erhoben, die europäischen Institutionen beherrschen zu wollen. Da die Fraktion der christlichen Demokraten die zweitstärkste in Straßburg ist, wird viel davon abhängen, wie sich diese Bewegung, die an der Basis aller europäischen Initiativen gestanden ist, in Zukunft entwickelt.

Auch in den letzten Jahren gingen viele Vorschläge von den Christdemokraten aus und das Erbe Adenauers, Schumans und de Gasperis wurde über Jahre hinweg weitergetragen. Immer wieder fanden sich Männer, die der internationalen christlichen Demokratie neue Impulse gaben. Es war nicht immer ganz leicht, die Fraktion mit jenen Organisationen in Einklang zu bringen, die von den christdemokratischen Parteien auf internationaler Ebene geschaffen worden waren. Während Sozialisten und Kommunisten durch eine jahrzehntelange internationale Zusammenarbeit geschult waren, mußten sich die christdemokratischen Parteien erst unter großen Schwierigkeiten Einrichtungen schaffen, die eine Zusammenarbeit der einzelnen nationalen Parteien ermöglichten.

Als im Jahre 1947 zum erstenmal christliche Demokraten einen losen Dachverband, die NEI, schufen, wußte niemand, wohin diese internationale Koordinierung führen würde. Doch entstanden damals die ersten Ansätze für eine gemeinsame christlich-demokratische Ideologie. Hinter den Kulissen wurden sogar heiße Eisen der europäischen Politik, wie das Saarproblem und die Südtirolfrage, aufgegriffen und es wurden schließlich auch Lösungen gefunden.

1965 wurde die NEI durch die Europäische Union Christlicher Demokraten ersetzt und ein Dokumentationszentrum wurde in Rom gegründet. Die christlichen Demokraten versuchten, in drei großangelegten Kongressen ein Modell für die Gesellschaftsordnung von morgen zu entwickeln. Der Parole von einer Entideologisierung der christlichen Demokratie wurde Einhalt geboten. Auf diesen Kongressen -sie fanden in Taormina (1965), in Venedig (1968), und in Bonn (1973) statt -wurde immer wieder der Vorschlag gemacht, es möge eine gemeinsame europäische Partei gegründet werden. Dank der unermüdlichen Aktivität des Präsidenten der christdemokratischen Fraktion des Europäischen Parlaments, Hans-August Luecker, gelang es tatsächlich, aus den idealistischen, aber wenig realen Wünschen ein Programm zjj formulieren. Das erlaubte dann den christdemokratischen Parteien der EG-Staaten, eine Europäische Volkspartei (EVP) zu konstituieren.

Die Europäische Volkspartei will den Wahlkampf als geschlossener Block beginnen. Von besonderer Bedeutung für die Partei ist ihr umfangreiches politisches Programm. Es bleibt abzuwarten, wie die neue Partei sich bewähren wird, wenn es darum geht, internationale, politische Probleme zu diskutieren, die gelegentlich ja mit den nationalen Interessen in Konflikt stehen können. Die Schöpfer der EVP sind sich dessen bewußt, daß ihr Werk von der politischen Zukunft der einzelnen christdemokratischen Parteien abhängt. Es zeigt sich, daß die christlichen Demokraten als Staatsparteien weiterhin in der Lage sind, die Stimmbürger anzusprechen, wie dies kürzlich in Holland der Fall war. Jedenfalls werden die Christdemokraten, wie einst in den Gründerjahren, daran gehen, die Organe, der EG mit neuem Leben zu erfüllen.

In dieser Phase der Entwicklung dienen alle bisherigen internationalen Erfahrungen dazu, jenes Bild des freien Menschen zu bewahren, das am ehesten den Traditionen des Abendlandes entspricht. Die Sozialisten vertreten ein Gedankengut, das stark kollektivistische Züge aufweist. So werden also bei den europäischen Direktwahlen die Bürger aufgefordert werden; eine Entscheidung zu treffen, wie sie bereits im März 1978 von der französischen Nation verlangt werden wird.

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