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Keine Hostie für Marcos

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Das heruntergewirtschaftete Inselreich braucht dringend soziale Reformen. Die Präsidentin Corazon Aquino fühlt sich noch zu sehr den Marcos-Generälen verpflichtet.

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Das heruntergewirtschaftete Inselreich braucht dringend soziale Reformen. Die Präsidentin Corazon Aquino fühlt sich noch zu sehr den Marcos-Generälen verpflichtet.

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Auf dem Flughafen von Honolulu versuchte sich der gestürzte Diktator Ferdinand Marcos noch ein letztes Mal vor der internationalen Presse zu rechtfertigen: Er habe seine Heimat verlassen, um kein Blutbad auszulösen. Von seiner pseudo-napoleonischen Hy-bris ist jedoch nichts mehr übriggeblieben. Die Welt sah nur noch einen gebrochenen und von schwerer Krankheit gezeichneten Despoten auf dem Weg ins Exil.

In der Hauptstadt Manila aber verstanden die Philippinos die

Welt nicht mehr. Nach nur vier Tagen und Nächten des Ausharrens auf den Straßen ist es ihnen gelungen, das verhaßte Regime aus den Angeln zu heben. Die zwanzigjährige Marcos-Diktatur brach samt ihrer hochgerüsteten Soldateska wie ein Kartenhaus zusammen.

Für den brillanten Erfolg der unblutigen Revolution stehen vor allem zwei Namen: Corazon Aquino, die Witwe des ermordeten Oppositionsführers Benigno Aquino, und Kardinal Jaime Sin, der Erzbischof von Manila. Den beiden gelang es, die unzufriedenen Massen hinter einer seltsamen Allianz von marcosfeindli-chen Großgrundbesitzern und re-formwilligen. Militärs zu vereinigen. Die Kirche spielte dabei eine bedeutende Vermittlerrolle.

Doch der unblutige Machtwechsel soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich auf den

Philippinen in erster Linie um einen Machtkampf innerhalb der Führungselite handelte. In Manila haben sich zwar die Fronten verändert, nicht aber die Akteure. Auf einem anderen Blatt steht freilich, ob die überwiegend aus den Vertretern der alten Marcos-Garde bestehende Regierung Aquino das schwer angeschlagene Land aus der Krise führen kann.

Das philippinische Inselreich ist eine oligarchische Demokratie, die von einigen wenigen Großgrundbesitzerfamilien getragen wird.

Die neue Regierungspräsidentin Corazon Aquino entstammt einer der reichsten Familien des Landes überhaupt. Vizepräsident Salvador Laurel kommt ebenfalls aus einer wohlhabenden Familie, sein Vater war Präsident der Philippinen während der japanischen Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg.

Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile ist der uneheliche Sohn eines spanischen Großgrundbesitzers und heute vermutlich der drittreichste Mann des Landes. Generalstabschef Fidel Ramos, ein West Point-Absolvent und Favorit Washingtons, ist mit der Marcos-Familie eng verwandt Hinter seiner Feindschaft zum Marcos-Regime stecken jedoch vor allem persönliche. Ambition-nen.

Er galt als spiritus movens einer Ahti-Marcqs-Reformbewegung philippinischer Offiziere („Reform the Armed Forces Movement“), die mehrmals mit Pres-

seerklärungen an die Öffentlichkeit herangetreten ist. Die Reformer betonten stets, die Vetternwirtschaft des Präsidenten schade in hohem Maße den Streitkräften.

Auf Anordnung von General Ramos verfaßte ein Offizierskomitee unter dem Namen „We belong“ (Wir sind dabei) am 17. Februar 1985, einen Aufruf, in dem es hieß, die Zeit zum Handeln sei gekommen, die Armee müsse um jeden Preis ihre Würde und somit die Unterstützung des Volkes wiedererlangen. Ausschlaggebend war jedoch, daß sich die Kirche im entscheidenden Augenblick auf die Seite der Reformer in Uniform gestellt hatte.

85 Prozent der 50 Millionen Philippinos bekennen sich zur katholischen Kirche. Ende der sechziger Jahre entstand unter dem Einfluß der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung die Bewegung der „Christen für die nationale Befreiung“; einige junge Priester (siehe FURCHE 49/1985) kämpfen seither in den Reihen der kommunistischen NPA (New Peoples Army).

Auf der anderen Seite gibt es unter den rund 100 Bischöfen des Landes in grundsätzlichen Fragen des sozialen Engagements keine einheitliche Haltung. Umso mehr hatte der Kampf gegen die Marcos-Clique, an dem sich die Kirche maßgeblich beteiligte, insbesondere für junge Priester eine einigende Wirkung. In Manilas Stadtteil Makati betonte ein Priester öffentlich seine Verbundenheit mit der Anti-Marcos Be-

wegung, indem er während des Gottesdienstes erklärte, Marcos und Co. sowie Wahlbetrüger und deren Helfershelfer seien von der Kommunion ausgeschlossen.

Demgegenüber verfolgt die kirchliche Hierarchie unter Kardinal Jaime Sin einen eher „vorsichtigen“ Kurs. Manilas Ober-hirte sieht sich selbst als einen „gemäßigten Konservativen“. Er wurde 1925 in einer halb christlich, halb in chinesischer Tradition stehenden Familie in New Washington (USA) geboren. 1974 trat er das Amt des Erzbischofs von Manila an, zwei Jahre später berief ihn Paul VI. mit nur 47 Jahren zum damals jüngsten Kardinal. Während des Ausnahmezustandes wurde Kardinal Sin oft beim Diktator vorstellig, um die Freilassung politischer Gefangener zu erwirken. Doch ist und bleibt er, nach eigenen Worten, ein „Radikaler des Evangeliums“, radikale Reformen im politischen Bereich aber lehnt er ab.

Für die Masse der Philippinos (40 Prozent Arbeitslose!) war die Revolution gegen Ferdinand Marcos bis jetzt nur eine halbe Revolution.

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