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Keine Ikonographie

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Ein neues Monumentalwerk über Wagner! Wozu, werden viele fragen. Es ist bereits durch sein Format und seine Ausstattung auffallend und präsentiert sich — merkwürdiger Fall — als erste umfassende Wagner-Bildbiographie in neuerer Zeit. Die Autoren beziehungsweise Herausgeber sind wahrhaft zu beneiden, denn sämtliche Quellen waren ihnen zugänglich, da sie alle mit Bayreuth auch beruflich verbunden sind. Daher möge der Leser keine Sensationen, keine Skandalgeschichten erwarten, aber des Neuen, Verdeckten, zuweilen Versteckten gibt es genug.

Was die Bilder betrifft, so war man bestrebt, „optisch sinnfällige Beispiele mit musikalisch relevanten zu verbinden.“ Sie illustrieren das Leben Wagners vom Geburtshaus zu Leipzig bis zu der von Augusto Ben-venuti in Venedig abgenommenen listig lächelnden Totenmaske. Doch so unterhaltsam das Betrachten der fast 300 Bilder ist (darunter viele bisher unbekannte), so wird es spannend, aufregend, zuweilen amüsant bei der Lektüre des umfangreichen,' sorgfältig redigierten Textteiles, der ausschließlich aus Dokumenten und Zeugnissen besteht, die zu Wagners Lebzeit entstanden sind — mit Ausnahme der acht breite Spalten umfassenden Einleitung des französischen Avantgardisten Pierre Boulez, dessen ambivalentes Verhältnis zu Wagner ja viel beredet und beschrieben wurde.

Es enthält einige sehr kluge und treffende Anmerkungen. Diese — wie übrigens das ganze Buch — stehen unter dem Motto, das Boulez als Titel für seinen Essay wählte: „Divergenzen vom Wesen zum Werk.“ Und in der Tat ist Wagner einer der ganz wenigen großen Künstler, deren Biographen wohl nie so etwas wie eine Ikonographie gelingen wird. Wagners menschliche Schwächen sind bekannt und oft genug breitgetreten worden. Sie — und seine Manöver und Winkelzüge aufzuzählen — würde eine ganze Spalte füllen. Das alles wird in dem Buch nicht vertuscht. Ebenso deutlich aber kommt das immense Arbeitspensum zutage, alle Mühen und Anstrengungen, die nur ein Ziel hatten: das künstlerisch vollendete Werk, seine ideale Darbietung — und die Pflege-stätte, die sein Weiterleben garantieren sollte. Alles andere ist Beiwerk, Menschliches — Allzumenschliches. Bis auf Wagners völlig unbegründeten und abstoßenden Antisemitismus. Daran bleibt auch Boulez hängen.

Daher seien einige Kuriositäten und Pikanterien nur am Rande erwähnt, obwohl gerade sie den Hauptreiz des Buches für den Wagner-Kenner bilden: Seine durch Laube vermittelte Bekanntschaft mit Heine in Paris und die hohe Wertschätzung, die er für den exilierten Dichter hatte; die warmherzige Empfehlung, die ihm Meyerbeer für sein Werk an den Generalintendanten des Dresdener Hofoperntheaters mitgab; seine frühen revolutionären Manifeste, wirr und verstiegen (Bakunin hielt nichts von ihnen, und der mußte es ja wissen); Streiflichter auf sein Verhältnis zu Ludwig II. und die Münchener Kabale, die Ludwig fast den Thron gekostet haben („Werden sich die Leidenschaften um ihn je beruhigen?“ fragt Boulez).

Das Amüsanteste aber für den Leser und das Aufschlußreichste für ihre Autoren sind die Stimmen der Zeitgenossen über Wagner und sein Werk. Die einsichtigsten, dem Urteil der Geschichte nächsten stammen weder von Musikern noch von Musikkritikern (mit wenigen Ausnahmen), sondern, in diesem Buch, von dem Kostümmaler Ferdinand Heine (ein brieflicher Bericht über die Uraufführung des „Rienzi“) sowie von dem Kunstmaler Conrad Fiedler, der an den Bildhauer Adolf von Hildebrand nach dem Bayreuther „Ring“ von 1876 schrieb. Der russische Musikkritiker Serow rühmt die Texte Wagners, die weltliterarischen Rang besäßen (der Gute!). Hingegen notiert Tschaikowsky lakonisch: Bayreuth sei eine kleine unbedeutende Stadt, und was die Verpflegung betrifft, so sei man schlecht bedient.

Während sich Kaiser Wilhelm und Bismarck zurückhaltend' verhielten, spendete ein Außenseiter der Literatur, aber ein sehr bedeutender, höchstes Lob: Charles Baudelaire. Aber ob Wagner wußte, wer das war? Und der große Renoir hat ihn etwa ein

Dutzendmal gezeichnet oder gemalt., Nachdem er Wagner in Palermo besucht hatte, gab er in einem Brief dessen sächselndes Französisch auf die amüsanteste Art wieder. Doch das möge der Interessierte auf der Seite 241 des Textteiles selbst nachlesen ...

WAGNER. SEIN LEBEN, SEIN WERK UND SEINE WELT in zeitgenössischen Bildern und Texten. Herausgegeben von Herberth Barth, Dietrich Mack und Egon Voss. 256 Seiten mit 296 Abbildungen, davon 73 in Farbe. Universal Edition, Wien.

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