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Keine Kassenhits vom Fließband

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Keine überragenden filmkünstlerisehen Leistungen, dafür aber eine „Wachablöse“ in personeller Hinsicht: das bescherten die 26. Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Dr. Alfred Bauer, Filmhistoriker und ^-Wissenschaftler, der vor über einem Vierteljahrhundert diese weltweite und weltoffene Begegnung der'Filmschaffenden und ihrer Werke an der Spree aus der Taufe hob und seither mit restlosem persönlichem Einsatz, viel diplomatischem Geschick und einer guten Portion Optimismus durch alle Höhen und Tiefen steuerte, übergab sein imaginäres Szepter an den zukünftigen Berlinale-Leiter Dr. Wolf Donner. Es wäre verfrüht, von dem bisherigen Filmkritiker einer Hamburger Zeitung jetzt schon grundsätzliche und programmatische Erklärung zur Marschrichtung seiner :kommenden Arbeit zu erwarten, aber in seiner Laudatio, die er,gleich zu Beginn dieser Festspiele bei der Verleihung der:'. deutschen Bündesfilmpreise mit recht gescheiten und maßvollen Worten hielt, zeichnete sich seine Grundeinstellung zum Film und dessen schöpferischen Persönlichkeiten ab.

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Keine überragenden filmkünstlerisehen Leistungen, dafür aber eine „Wachablöse“ in personeller Hinsicht: das bescherten die 26. Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Dr. Alfred Bauer, Filmhistoriker und ^-Wissenschaftler, der vor über einem Vierteljahrhundert diese weltweite und weltoffene Begegnung der'Filmschaffenden und ihrer Werke an der Spree aus der Taufe hob und seither mit restlosem persönlichem Einsatz, viel diplomatischem Geschick und einer guten Portion Optimismus durch alle Höhen und Tiefen steuerte, übergab sein imaginäres Szepter an den zukünftigen Berlinale-Leiter Dr. Wolf Donner. Es wäre verfrüht, von dem bisherigen Filmkritiker einer Hamburger Zeitung jetzt schon grundsätzliche und programmatische Erklärung zur Marschrichtung seiner :kommenden Arbeit zu erwarten, aber in seiner Laudatio, die er,gleich zu Beginn dieser Festspiele bei der Verleihung der:'. deutschen Bündesfilmpreise mit recht gescheiten und maßvollen Worten hielt, zeichnete sich seine Grundeinstellung zum Film und dessen schöpferischen Persönlichkeiten ab.

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Etwas davon wird auch seinem Wirken zwischen Bundesallee und Europa-Center den Stempel aufdrücken. Er konstatierte Vertrauen, Zuversicht und Begeisterung über eine „Wiedergeburt“ des jungen deutschen Films auch im Ausland, sprach von einem Reichtum an Stilen, Temperamenten und Gruppierungen sowie einer großen Palette kreativer und dynamischer Regisseure, was offensichtlich auch an die Adresse und Organisatoren der seit sechs Jahren gleichlaufenden Veranstaltungen des „Forums des jungen Films“ gerichtet war. Abschließend erhob er die Forderung nach ein bißchen Geduld, Optimismus und Zutrauen. Weder könnten die jungen Regisseure auf Anhieb Kassenhits am Fließband produzieren, noch dürften sie für ihre Arbeiten sogleich einen enormen Publikumszustrom erwarten. Insgesamt also keine Propagierung revolutionärer Reformen, sondern eine kritisch-realistische Einschätzung der Lage. Sie offenbarte sich dann auch im Verlauf der zwölf Festspieltage in einem Monsterangebot von über hundert Filmen aus mehr als dreißig Nationen, wenn man die Veranstaltungen des offiziellen A-Festivals und des Forums des Jungen Films zusammenzieht. Wobei hier Verschiebungen der Abgrenzungen und Aufgaben in Zukunft nicht ausgeschlossen sein durften.

Es ist sicher ein häufiger Trugschluß, von Festivaliers und Kritikern, nun bei jedem dieser internationalen Redezvous der Zelluloidwelt fUmkünstlerische Offenbarungen und Superleistungen zu erwarten. Ein jedes Festival ist so gut oder so schlecht wie das vorhandene Angebot an filmischen Novitäten. Wobei es für die meisten der geplagten Festspielleiter erschwerend ins Gewicht fällt, daß viele Produzenten und Verleiher vor allem aus der westlichen Hemisphäre es vorziehen, mit ihren neuesten Schöpfungen gar nicht auf einem Festival zu erscheinen, um sich nicht die geschäftliche, kommerzielle Rentabilität ihrer

Filme durch besonders aggressive Kritiker schon von vornherein kaputt machen zu lassen. Eine Einstellung, die übrigens gegenüber den Berliner Filmfestspielen symptomatisch ist.

Läßt man nun unter Würdigung der angeführten Tendenzen das rund halbe Hundert der im Wettbewerb befindlichen Spiel- und Kurzfilme aus 22 Nationen rückblickend Revue passieren, so kommt man zu dem Schluß, daß die Darbietungen der 26. Berlinale, bei der 14 Welturaufführungen geboten wurden, als gutes und hoffnungsvolles Mittelmaß zu werten sind. So setzte sich gleich zu Beginn der im Wettbewerb gezeigte Schweizer Beitrag „Die plötzliche Einsamkeit des Konrad Steiner“ des jungen Produzenten und Regisseurs Kurt Gloor sehr einfühlsam mit dem Problem des Altwerdens auseinander. Im Mittelpunkt steht ein 75jähriger Schuhmachermeister aus der Zürcher Altstadt, dessen Frau plötzlich stirbt, und der außerdem im Zuge der Altstadtsanierung Werkstatt und Wohnung verlassen soll, was er mit der gewissen Bockigkeit eines altgewordenen ' Indivi7 dualisten bis zum letzten- Augenblick zu vereiteln sucht, bis man ihm eine junge Sozialhelferin ins Haus schickt. Auch sie gerät in gewissen Schwierigkeiten, weü sie diesem Sonderfall mehr Aufmerksamkeit widmet, als sie eigentlich im Interesse ihrer anderen Pfleglinge ' verantworten kann.

All das wird'mit der breiten und leicht sentimentalen Behäbigkeit, aber auch dem schmunzelnden Humor eines Gottfried Keller erstaunlich milieugerecht und menschlich glaubwürdig wiedengegeben. Wobei der junge Regisseur noch das Glück hatte, in dem Schauspieler Siegfrit Steiner einen unübertrefflichen, liebenswert-eigenwilligen Interpreten für den alten Schuhmachermeister gefunden zu haben, dessen ungezwungen-natürliche Nuancierungskunst den Silbernen Bären für die beste schauspielerische

Leistung noch mehr verdient hätte als Gerhard Olschewschi, dem die Internationale Jury für seine prächtige Rolle in Ottokar Runzes Film „Verlorenes Leben“ zuerkannte. Zumal Olschewski dafür . schon mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet worden war. -

Aber Jury-Entscheidungen gehen manchmal seltsame Wege, was durch die Verleihung des Hauptpreises, des ..Goldenen Bären“ an den amerikanischen Beitrag „Buffalo Bill und die Indianer“ heuer augenscheinlich bewiesen wurde. Denn eigentlich hatte dieser Versuch von Robert Altman einer Satire über die kommerzielle Ausschrotuhg der amerikanischen Geschichte im Showgeschäft wenig Festspielwürdiges an sich. Es sei denn, man wollte mit dieser Auszeichnung den 200. Geburtstag der USA würdigen. Da hätten ihn die leider außer Konkurrenz gezeigten amerikanischen Beiträge „Die Unbestechlichen“ über die Watergate-Affäre von Regisseur Alan J. Pekula oder der großartige Querschnitt von George Stevens jr. über „Amerika

in seinen Filmen“ viel eher verdient.

Kommunistisch-marxistischer Wind wehte diesmal nicht aus den fast vollzählig, einschließlich der Sowjetunion am Wettbewerb teilnehmenden Ostblockstaaten, sondern vom südamerikanischen Kontinent.

Es begann mit der „Hetzjagd in Canoa“ des mexikanischen Regisseurs, Felipe Cazals, in dessen Werk die tiefe, blutige Kluft zwischen der klerikal-katholischen Bevölkerung des Landes und linksradikalen studentischen Elementen offenbar wurde. Fortgesetzt wunde diese Linie mit der Koproduktion aus Venezuela-Peru „Das Freiheitslied der Anden“, einem Erstlingswerk des jungen Mario Robles und reichte bis zu dem Film „Totes Feuer“ von Marcos Farias aus Brasilien.

Frankreich wartete mit einer psychalogisch ausgezeichneten Studie kindlicher Verhaltungsweisen, „Taschengeld“ von Francois Truffaut

auf, mit dem er freilich nicht an seinen Film „Les 400 coups“ heranreicht. „F wie Fairbanks“ von Maurice Dugowson erwies sich als eine hoffnungsvolle Talentprobe auf dem Wege zu einer Fihnkomödie mit gewissem menschlich-sozialkritischem Tiefgang. Köstlich und unterhaltsam, wenn auch außer Konkurrenz, der jüngste Film mit Jean Gabin, Danielle. Darrieux und Jean-Claude Brialy: die Gaunerkomödie „Zwei scheinheilige Brüder“ von Jean Girault. Märchenhafte Folklore aus Kirgisien brachte ,J)er weiße Dampfer“ . von Bolotbek Schamiev. Weniger überzeugend waren diesmal die Italiener mit „Ein göttliches Geschöpf von Giuseppe Patroni Griffi und „Lieber Michael“ von Mario Monicelli.

Österreich gab mit seiner seit 20 Jahren in ununterbrochener Folge durchgeführten Kurzfilm-Matine auf der Berlinale seine filmische Visitenkarte ab, bei der vor allem die Beiträge „Kindertotenüeder“ von Titus Leber und „101 Stunden“ („Der Trommler“) von Lucky Stepa-nik anerkennende Beachtung fanden.

Den Festival-Eklat lieferte diesmal die Berliner Staatsanwaltschaft, die den ab seiner sexuellen Grenzenlosigkeit umstrittenen! japanischen Film „Im Reich der Sinne“ bei der Forum-Vorführung kurzerhand beschlagnahmte.

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