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Keine Klärung der Fronten in der SPD

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Nach dem Willen der Parteiführung sollte es ein Parteitag des Aufbruches werden. München bedeutet für die SPD allerdings nur eine Verschnaufpause. Viele Widersprüche bleiben.

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Nach dem Willen der Parteiführung sollte es ein Parteitag des Aufbruches werden. München bedeutet für die SPD allerdings nur eine Verschnaufpause. Viele Widersprüche bleiben.

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Die SPD krankt vor allem daran, daß sie in den letzten zehn Jahren mit offenen Armen alle jene Kräfte im politischen Spektrum zum Engagement in der Sozialdemokratie eingeladen hatte, die das innere Gefüge der Partei zwangsläufig durch die Uberbetonung programmatischen Wollens durcheinanderbringen mußten.

Schon die Erben der Studentenrevolte von 1968 hatten durch ihnren teilweisen Eintritt in die SPD eine Re-Ideologisierung auf marxistischer Basis durchgesetzt. In einem zweiten Schub nun versuchen diese neu in die Partei gekommenen linken Truppen, die sich im grünen und alternativen Umfeld tummelnden, vorwiegend jungen Menschen nachzuziehen.

Dieses Bemühen hat die ausdrückliche Billigung des Parteichefs Willy Brandt, solange er dabei nicht angegriffen wird. „Ich verzichte leichtfertig auf keinen Wähler", sagte Brandt vor den

Münchner Parteitagsdelegierten. Aber indem er darauf nicht verzichten will, hat er der SPD auch eine tiefe Verunsicherung eingehandelt, was ihre eigene Identität als Arbeiterpartei anbetrifft.

Vor knapp einem halben Jahr hatte Brandts Mitstreiter in der Sozialdemokratie aus langen Jahren, der Berliner Professor Richard Löwenthal, auf die Gefahren hingewiesen, die der deutschen Sozialdemokratie drohen, wenn sie weiterhin unkontrolliert „schädliche Gedanken" aufsaugt. Löwenthal empfahl damals dem Parteichef mehr Abgrenzung gegenüber Grünen und alternativen Bewegungen, was in der Partei allgemein als Schuß auf das Denkmal Brandt aufgefaßt wurde und entsprechend ein geteiltes Echo fand.

Der rechte Flügel der SPD, auch der Bundeskanzler, stimmten der Analyse und den Schlußfolgerungen des Professors völlig zu. Die Linke hingegen wertete Löwenthals Thesen als Versuch, die Partei von rechts zu spalten. Dieser ungelöste Konflikt bestimmte das Vorfeld des Münchner Parteitages, aber — erstaunlich genug — nicht den Parteitag selbst.

Dabei handelt es sich hier um ein Problem, das für die Zukunft der SPD von entscheidender Bedeutung ist. Ihren Charakter als Arbeiterpartei hat sie in den letzten Jahren mehr und mehr eingebüßt. Auch wenn Bundesgeschäftsführer Peter Glotz, einer der blitzgescheiten Denker in der Partei, den Genossen Balsam verabreichte und davon sprach, daß immerhin noch 29 Prozent der SPD-Mitglieder Arbeiter seien, so kann er ebensowenig wie die gesamte Parteiführung die Augen davor verschließen, daß bei den Wählern die Arbeiter der SPD in hellen Scharen davonlaufen.

Wäre Bundeskanzler Helmut Schmidt, selbst Angehöriger des rechten Flügels der SPD, nicht -schon eine derart polarisierende Figur, die sich deshalb des inneren Parteifriedens wegen Zurückhaltung dort auferlegt, wo ein deutliches Wort gegenüber dem Parteivorsitzenden vor der versammelten Genossenschaft Fronten klären und den Weg zur Krisenbewältigung öffnen könnte, dann wäre München nicht so äußerlich glatt, aber dafür ehrlicher verlaufen.

Aber obwohl viele Genossen sehr genau wissen, daß irgendwann das innerparteiliche Gewitter losbrechen wird, klammern sie sich ängstlich an die Hoffnung, daß dies erst dann geschehen möge, wenn die Partei sich aus ihrem Tief befreit hat.

Der SPD wohlwollende Beobachter glauben, daß der Münchner Parteitag der erste Schritt zur Gesundung des Patienten war. Doch die Skepsis überwiegt.

Die Wirtschafts- und sozialpolitischen Beschlüsse wurden verabschiedet, obwohl man schon von Anfang an wußte, daß sie mit einem Regierungspartner FDP nicht in Regierungspolitik umzusetzen sind und deshalb einer der Hauptgründe für die Frustration der Genossen weiterbesteht.

In der Frage der Sicherheitsund Friedenspolitik schließlich hat man dem Bundeskanzler zwar nicht den Fehdehandschuh hingeworfen. Aber dieses Kunststück gelang nur deshalb, weil man gegen die Parteilinke nahezu die gesamte Führungscreme aufbieten mußte und klarzumachen versuchte, daß man sinnvollerweise erst 1983 wirklich substantielle Beschlüsse in Sachen Nachrüstung fassen wird können.

Während die radikale Linie der Linken, vertreten durch einen Antrag Schleswig-Holsteins, darauf abzielte, in München den NATO-Doppelbeschluß zu kippen und in der Abstimmung im Verhältnis 70 zu 30 unterlag, wurde es bei der Frage eines Raketenmoratoriums schon knapper.

Helmut Schmidt, der bislang immer seine feste Entschlossenheit zum Ausdruck brachte, auf jeden Fall einer Stationierung amerikanischer Raketen zuzustimmen, wenn in Genf bis 1983 kein sichtbarer Verhandlungserfolg sich eingestellt habe, mußte sich in.München damit abfinden, daß außer ihm kaum jemand sonst in der Parteiführung bereit ist, diese harte Linie mitzutragen.

Die Nachrüstungsdebatte des Parteitages offenbarte, wie sehr die Nachrüstung an den Nerv der Genossen rührt, ganz im Gegensatz zur Frage der Arbeitslosigkeit, mit der sich allenfalls die Gewerkschafter in der Partei intensiv beschäftigten. Da in der Sache in München noch nichts entschieden wurde, glaubt auch niemand daran, daß auf der Basis des Leitantrages des Parteivorstandes in der Sicherheitspolitik die SPD nun Einigkeit demonstrieren wird.

Warum auch sollten die engagierten Nachrüstungsgegner wie Erhard Eppler und Oskar Lafontaine ihren Feldzug gegen die amerikanischen Raketen einstellen, wenn der eigentliche Kampf um diese Frage in der Partei erst 1983 entschieden werden soll?

Deshalb ist die Verabschiedung des sicherheitspolitischen Antrages auch kein Erfolg für den Kanzler, sondern allenfalls ein formalisiertes Stillhalteabkommen zwischen Rechts und Links.

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