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Keine Kollektivschuld der Generalität

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FURCHE: Die Sowjetunion hat dramatische Tage hinter sich, Jugoslawien stehen sie bevor, wenn man bedenkt, daß Franjo Tudjman den Serben mit Krieg gedroht hat.

MILOVAN DJILAS: Ich bin glücklich, daß Gorbatschow in Amt und Würden zurück ist. Die Putschisten mußten verlieren, weil sie kein politisch greifendes Konzept hatten. Ganz anders ist die Lage in Jugoslawien. Tudjmans Warnung ist irrsinnig, wie der ganze Kleinkrieg in Kroatien.

FURCHE: Welche Rolle spielt die jugoslawische Bundesarmee,steht sie auf Seiten Serbiens?

DJILAS: Eine komplizierte Frage. Teile der Armee, aber nicht die gesamte Generalität, begrüßten Gorbatschows Entmachtung. Ich denke da an General Mirkovic, der zugleich auch in der „Bewegung für Jugoslawien", einer neuen KP, im ZK sitzt. Der sprach nicht implizit die Freude über den Moskauer Machtwechsel aus, nannte ihn aber eine „rein sowjetische Angelegenheit", eine Formulierung, die ja auch die chinesische KP gebrauchte. Teile der jugoslawischen Armee basteln noch immer an einem zukünftigen Modell für Jugoslawien. Das ist gefährlich. Außerdem spaltet sich die jugoslawische Armee immer mehr in nationale Armeen auf und diese Teile helfen den jeweiligen Regimen in den einzelnen Republiken.

FURCHE: Wollen Sie damit andeuten, in Zagreb, Ljubljana seien ebenso undemokratische Regime an der Macht wie mit Slobodan Milosevic in Serbien ? Ist denn nicht Serbien für die Kämpfe in Kroatien zusammen mit der Bundesarmee verantwortlich?

DJILAS: Nur zum Teil. Nur zum Teil stellt sich die Armee parteilich auf Seiten der Serben in den Bürgerkriegsregionen Kroatiens. Aber ich bin überzeugt, die Hauptschuld tragen die örtlichen Politiker, Serben und Kroaten gemeinsam. Sie schüren die Streitigkeiten, eine kollektive Schuldzuweisung an die Generalität ist nicht ganz korrekt. Ich glaube, Teile der Armee verhalten sich bei den Kämpfen neutral und wollen die Streitparteien auseinanderhalten. Aber das ist schwierig, denn weder in Zagreb, Ljubljana noch in Belgrad herrscht Demokratie.

FURCHE: Eine harte Anschuldigung. Die Regierungen in Zagreb, Ljubljana und auch in Belgrad sind doch demokratisch gewählt?

DJILAS: Überall kamen nur Parteien mit einem extrem nationalistischen Programm an die Macht, nicht Demokraten im westlichen Sinn. Das zeigt sich darin, daß in allen jugoslawischen Republiken in den Parlamenten eine Opposition nicht zum Zug kommt, die Rechte der Opposition beschnitten werden, die Presse von der jeweils herrschenden Regierung geknebelt wird, eine Art Zensur herrscht, die meiner Meinung nach in Kroatien sogar größer ist als in Serbien. Soziologen weisen dies auch wissenschaftlich nach. Und auch ökonomisch: Überall setzen die Regierungen auf sozialistische Staatswirtschaft, eine Reprivatisierung fürchten und verhindern sie.

FURCHE: Wie steht es um die Zukunft der Völker Jugoslawiens?

DJILAS: Die Nationalisten haben überall so weit die Macht an sich gerissen, daß es wahre Demokraten verdammt schwer haben. Ich glaube, die Krise in der Sowjetunion wird sich vom Politischen her leichter lösen lassen als die Krise in Jugoslawien.

Mit Milovan Djilas, ehemals rechte Hand des kommunistischen Staatsgründers Tito und später Stardissident Jugoslawiens, sprach Roland Hofwiler.

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