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Digital In Arbeit

Keine Konkurrenz für unser Gehirn

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Ein neues Wort spukt in Zeitungen und Köpfen: Kl, „künstliche Intelligenz“. Aber keine Angst: Der Blechtrottel maßt sich keinerlei Menschenähnlichkeit an, bleibt Werkzeug.

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Ein neues Wort spukt in Zeitungen und Köpfen: Kl, „künstliche Intelligenz“. Aber keine Angst: Der Blechtrottel maßt sich keinerlei Menschenähnlichkeit an, bleibt Werkzeug.

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FURCHE: Ist so etwas wie ein Konkurrenzverhältnis“ zwischen menschlicher Intelligenz und Computer-Intelligenz abzusehen ?

FRITZ PASCHKE: Für mich sind die Fortschritte im Computersektor aufregend und interessant, aber sie beziehen sich immer noch auf Werkzeuge. Die geistige Routinetätigkeit wird übernommen, eine gewaltige Datenmenge verarbeitet, dabei wird unvergleichlich besser gearbeitet, als es Menschen könnten.

FURCHE: Man simuliert mit Computerprogrammen soziale und politische Entwicklungen, gelangt zu Prognosen, die früher unmöglich waren, sind das noch Routinetätigkeiten ?

PASCHKE: Ja, es ist eine Untertreibung, von Routinetätigkeit zu sprechen. Informationen, die in den Gehirnen vieler Menschen gespeichert sind, vermag der Computer zum Beispiel besonders wirkungsvoll zu verknüpfen, darauf beruhen die Expertensysteme. Aber das alles ist nicht so, daß man prinzipiell sagen könnte, der Computer ziehe Schlüsse, die der Mensch nicht ziehen könnte.

FURCHE: Was halten Sie von den Bemühungen, die ja schon bis zu einem Markt gediehen sind, den Computer für künstlerisch kreative Aufgaben einzusetzen?

PASCHKE: Was ich bisher gesehen habe, enthält sicher ästhetische Werte, ist aber noch etwas steif, es fehlt offenbar irgendein letzter Schritt, um es für mich als Kunst akzeptabel zu machen. Die ästhetischen Werte mancher Computergraphiken sind mir lieber als manches von Menschen hergestellte Schwache, aber es fehlt etwas, was sie zumindest mit den Spitzenwerken vergleichbar machen könnte.

FURCHE: Ein Leonardo aus dem Computer ist also nicht zu erhoffen - oder zu befürchten?

PASCHKE: Aber schon Leonardo hat nach dem gesucht, was wir heute Algorithmen für das Ästhetische nennen würden, und es gibt auch interessante Versuche von Paul Klee in dieser Richtung, die er gemacht hat, während er am Bauhaus lehrte, Experimente über die ästhetische Wirkung geometrischer Figuren. Wieder gibt uns der Computer ein Werkzeug in die Hand, mit dem weiter experimentiert werden kann. Vielleicht können Künstler eines Tages bedeutende Kunst mit seiner Hilfe produzieren, Kunst und Technik standen ja immer auf einem gemeinsamen Fundament.

FURCHE: Sie glauben nicht, daß sich das verselbständigen

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PASCHKE: Das glaube ich nicht.

FURCHE: Und Sie glauben auch nicht, daß der Computer es jemals mit der Kreativität des Menschen aufnehmen kann?

PASCHKE: Immer wieder hat man in Abrede gestellt, der Computer könne dies oder jenes — die Computerleute haben immer erwidert: Laßt uns genau definieren, was zum Beispiel Phantasie sei, und wir werden zeigen, daß der Computer Phantasie hat. Sobald Sie etwas genau definieren können, wohlgemerkt: mathematisch definieren - ist der Computer dazu prinzipiell imstande.

FURCHE: Nun kann man aber nicht einmal die menschliche Intelligenz definieren...

PASCHKE: Darin liegt ja schon die Antwort. Könnte man wirklich genau sagen, was Gedächtnis, was Intelligenz, was Phantasie ist, wäre eine Maschine denkbar, die das kann. Die Probleme liegen ja in der mathematischen Definition. Seit meiner Jugend beschäftige ich mich mit Kunst, und es fällt mir sehr schwer, zu definieren, warum ich ein Bild für ein großes Kunstwerk halte und ein anderes für weniger gut. Man kann darüber reden, alles mögliche aussagen, aber sauber definieren können Sie das Geheimnis der Mona Lisa nicht.

FURCHE: Könnte der Computer das Selbstverständnis des Menschen tangieren?

PASCHKE: Es gibt sicher Ängste, die auf Unkenntnis zurückzuführen sind. Auch bei ernstzunehmenden Wissenschaftlern aus anderen Bereichen. Ihre Ängste könnten bei näherer Bekanntschaft abgebaut werden. Für mich ermöglicht der Computer eine ungeheure Erweiterung der menschlichen Tätigkeit.

FURCHE:Kann er es dem Menschen also auch ermöglichen, mehr von dem zu vollbringen, was der Mensch will oder wovon er glaubt, daß es ihm aufgegeben sei?

PASCHKE: Ja, natürlich. Mit allen Problemen. Man kann ein Werkzeug zum Heil einsetzen — oder zum Unheil.

FURCHE: Aber das Unheil ist oft nicht leicht zu erkennen!

PASCHKE: Das ist ja gerade die Schwierigkeit. Hans Jonas (FURCHE 43/1986) hat ein Buch über das Prinzip Verantwortung geschrieben. Man soll Techniken mit einem apokalyptischen Potential vermeiden. Das Problem liegt natürlich darin, daß man das apokalyptische Potential sehr spät erkennt. Die Kernspaltung ist aus der unschuldigen Frage nach dem Aufbau der Materie entstanden. Beim Computer kann ich wirklich kein apokalyptisches Potential erkennen.

FURCHE:Erwin Chargaff sieht es auch in der Biochemie.

PASCHKE: Ich sehe es in der Kernspaltung und in der Kernfusion und schon viel weniger in der

Neukombination der DNS (das grundlegende Verfahren der Bio-Technologie, Anm. d. Red.), ich weiß nicht, ob nicht in unserer Fähigkeit zur Neukombination der DNS langfristig das Heil liegt. Etwa in der Behebung von Degenerationserscheinungen, und vielleicht bringen wir es wirklich fertig, Photosynthese großtechnisch einzusetzen und so unsere Energieprobleme zu lösen. Man soll nur alle Experimente unterlassen, die in Richtung apokalyptisches Potential gehen. Aber beim Computer ist das Risiko sicher eine Größenordnung kleiner.

FURCHE: Und er tangiert auch nicht das spezifisch Menschliche?

PASCHKE: Was ist das spezifisch Menschliche? Es gibt keine Maschine, die nicht so konstruiert ist, daß sie irgend etwas besser kann als der Mensch. Jetzt ist es plötzlich das Gehirn. Das hat für mich nichts Beängstigendes, sondern es ist eine Chance. Ich fühle mich nicht in meiner Würde beeinträchtigt, weil der Computer bestimmte Dinge besser kann als mein Gehirn, genausowenig, wie wenn ich vor einer Maschine stehe, die von einem menschlichen Gehirn ersonnen und von Menschenhand gebaut wurde und Unglaubliches vollbringt — wie jede Werkzeugmaschine draußen in einem Betrieb.

FURCHE: Emotionen wird er also nie haben?

PASCHKE: Ich warne Sie! Definiert Emotionen ganz exakt — und man wird den Computer so bauen können, daß er sie hat. Aber wir können nur einen winzigen Bruchteil dessen, was wir sind und was uns umgibt, definieren. Könnte man mathematisch bis ins Letzte ausdrücken, was den Menschen ausmacht, könnte man prinzipiell auch einen Menschen bauen. Aber der Mensch beschäftigt sich seit vielen Jahrtausenden mit sich selbst - und er bleibt sich selbst ein Geheimnis.

Fritz Paschke ist ordentlicher Professor für allgemeine Elektrotechnik an der Technischen Universität Wien. Mit ihm sprach Hell-mut Butterweck.

(DNS = Desoxyribonukleinsäure)

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