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Keine Krise m Alpbach

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Alpbach soll krankgebetet werden. Seit Jahren und Jahrzehnten hat sich das Österreichische College im Alpendorf zu einem sonderbaren, sehr österreichischen Schnittpunkt geistiger Strömungen entwickelt: zum Kristallisationspunkt, zum Treffpunkt, zur Tribüne. Es gibt dort oben viele gescheite Leute und manche sind noch gescheiter als die anderen, und manche sind auch noch eitler. Oder vielleicht dieses eine Mal nicht recht in Form. Es gibt freilich auch Dumme und Böse. Und es gibt Besucher, die die Wärme der Welt an ihrer eigenen Kälte messen und sich also - für ihr eigenes Empfinden - dauernd die kalte Schnauze verbrennen.

Ich notiere das alles, obwohl ich än einem öffentlichen Gespräch in Alpbach teilgenommen hatte! das nicht gut gelang. Ich fühlte mich unbehaglich. Es war ungefähr so wie beim Zahnarzt, allein, die Peinigung war mit keiner Heilung verbunden.

Am Tag dieses Gespräches hatte Peter Stern aus London (früher Prag) über den Einfluß von Friedrich Nietzsche gesprochen: Ein gelehrter Mann, sympatisch und bescheiden, vielleicht ein wenig windschief im Denken: denn er entdeckte den Heldenkult des Nietzsche nur in der Weiterentwicklung des Nationalsozialismus, nicht aber bei Dostojewski und bei Plechanow oder bei den alten und neuen Terroristen, die sich einbilden, fortschrittlich zu sein, während sie den Fortschritt morden. Doch ist, so glaube ich, Peter Stern ein guter Schüler der europäischen Aufklärung und des Rationalismus, und es gilt sozusagen als Toilettefehler der Rationalisten, irrationale Ahnen entdecken zu müssen.

Nach Stern und nach dem Mittagessen sprach Claudio Magris aus Triest (Professor auch in Turin), ein ewiger Jüngling von abgrundtiefer Gelehrsamkeit. Ein glänzender Germanist. Merkwürdig ist allerdings, daß alle diese Wissenschaftler fiel eigenwilliger, viel subjektiver und (trotz ihres umfangreichen und ehrenwerten Zitatenapparates ) viel voreingenommener sind als wir ganz und gar unwissenschaftliche Autoren. Nach Magris sprach Leopold Wagner, ursprünglich Professor für Literatur, gegenwärtig Landeshauptmann von Kärnten, sprach kurz und bündig und klar über die Kreativität der Literaten an der deutschsprachigen Grenze zum Slawischen und zum Romanischen.

Wagner sprach gut. Ich hatte, während ich ihm zuhörte, das Gefühl: all die labyrinthisch denkenden Schöngeister im Publikum müssen sich in diesen Minuten ganz und gar unbefriedigt fühlen, denn ihre feinen Seelen werden nicht von subtilen Wortmagien bezaubert, sondern von den Begriffen unserer etwas bäuerlichen, Gott sei gedankt, etwas hemdsärmligen Demokratie. (Doch so weit reicht das Denkvermögen jener theoretischen Demokraten leider nicht.)

Und genauso gut wie Wagner sprach dann Peter Daniel Wolfkind, ein sehr liebenswürdiger Mensch und außerdem einer der wichtigsten jüngeren Epiker der österreichischen Literatur. Vujica heißt er in Zivil und ist, ebenfalls in Zivil, Musikkritiker der „Kleinen Zeitung“ in Graz. Vujica heißt kleiner Wolf, also Wolfkind. Der Mann mit den beiden Namen analysierte fürwahr meisterhaft die literarische Szene von Graz: Den neuen Auf bruch in den sechziger Jahren und die Epigonen des Aufbruchs, die Nutznießer und die Nachfolger-und es wurde das alles zu einem Beispiel zum Thema: Revolte und Konjunktur.

Und nun kamen wir an die Reihe mit unserem Gespräch.

öffentliche Gespräche sind überhaupt etwas Arges. Vorher und nachher: da hätte man sich so vieles zu sagen. Aber während des Gespräches? Man dürfte eigentlich niemals versprechen, an einer öffentlichen Diskussion teilzunehmen. Warum nimmt man dann teil? Aus Liebedienerei vor der Mode? Und weil man hofft, manche wichtigen Gedanken mitteilen zu können? Welche Unbescheidenheitmacht es uns aber möglich, unsere Gedanken für wichtig zu erklären? Eitelkeit und Missionsdrang ergeben hier ein eigenes festes Geflecht.

Wendelin Schmidt-Dengler war unser Diskussionsleiter, ein junger und selbstbewußter Germanist, den ich kennenlernen durfte als einen Erforscher des Werkes von Heimito von Doderer. Damals hatte er liebenswürdig sonderbar gewirkt, nun wollte er liebenswürdig gewiß nicht scheinen. Er führte unser Gespräch recht ordentlich. Ich habe den Eindruck, Schmidt-Dengler unterliegt der gegenwärtigen Mode der Kälte. Vielleicht taut er auf. Welchen Sinn hätte ein neuer arroganter Neufrostgermanismus?

Stern und Magris saßen da, Wagner und Wolfkind, und diesen vier Vortragenden setzte man nun vier Schriftsteller an die Seite: Wolfgang Bauer, Gert Jonke, Gregor von Rezzori und mich. Worüber hätten wir nun reden sollen? Man bat mich, zu beginnen, und also legte ich eine Beobachtung vor: Die verschiedenen Literaturen der alten Monarchie reagieren auf die Morbidität (und also auf die Möglichkeit eines neuen Aufbruches) in ähnlicher Weise: Zwischen Čapek und Hasek in Prag, Broch und Musil in Wien, Ady und Krudy in Budapest, Joyce und Svevo in Triest ( um einen irischen Gast auch zu erwähnen) gab es eine ganz bestimmte Verbindung. Sie führte auch zu Franz Kafka und zur deutschsprachigen Literatur Prags. Auch zur Mystik des Judentums. Auch zu Joseph Roth. Ich hatte vier Minuten Redezeit. Und nachher: niemand sagte Ja und niemand sagte Nein.

Bauer und Jonke und Wolfkind äußerten sich über ihre Erfahrungen mit dem Schreiben. Und der kühl gewordene Schmidt-Dengler vermittelte korrekt. Rezzori und ich versuchen noch ein wenig südösteuropäische Wärme zu verbreiten: er etwas resignierter, ich, der Jüngere, noch ein wenig heftig. Doch schienen wir unsere Zuhörer zu langweilen: Wir waren schlecht.arga- nisiertpdezpiffyfrepht in Fqin aber waren die Zuschauer nicht in Form. Magris verkündete zum Schluß den Bankrott.

Und an wie vielen Gesprächen war ich beteiligt, die alle schief gegangen waren? An sehr vielen. Und manche dieser schief gegangenen Gespräche wurde dann doch zum Ausgangspunkt (zu einem Ausgangspunkt) einer Revolution, und andere schief gegangenen Gespräche führten zu Beratungen über die Chancen einer neuen und fruchtbaren Toleranz. Es ist der Punkt, an dem did, Philosophie des Christentums in ihrer leisen Überlegenheit hervortritt: in ihrer Parteinahme für den Schwächeren.

Es geht ja gar nicht um die Qualität des Gespräche, sondern um das Gespräch an sich: Um diesen rhythmischen Wellenschlag, um dieses Hin und Her, um das freie Spiel freier Gedanken, um die großmütige Freiheit - denn wirklich frei sind nur Gespräche, die frei sind vom Zweck! Und also ist das Gelingen nicht wichtig und auch das Mißlingen nicht besonders interessant. Und das Nörgeln klatschsüchtiger Zeitgenossen wird ertönen und wird wieder verstummen, denn das österreichische College und Alpbach können stärker sein als die flüchtigen Moden und ihre rasch vergreisenden Wortführer.

Es gibt in diesem Fall wirklich nur zwei Möglichkeiten. Die eine macht aus Alpbach eine Diskussionsbude der Fachwelt im Zeichen eines kalten Per- fektionismus. In diesem Fall verbindet sich das Dorf in den Alpen mit der Mode und mit der Vergänglichkeit. Die andere Chance heißt: Toleranz, Freundlichkeit, abenteuerliche Unregelmäßigkeit, Freundschaft, Freude an der Improvisation -und alsoMißerfolg das eine Mal, Erfolg das andere Mal, und zwischendurch Begegnungen, die wir nicht gleich zu werten haben.

Alpbach steckt in keiner Krise. Die Schwächen der Begegnung sind Zeichen der Stärke: die Formlosigkeit ist für wohlwollend freundliche Freiheit der angemessene Stil. In Alpbach geht es vor allem um diese Freiheit.

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