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Keine Lorbeeren für die Mustermesse

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Ein Kinder- und Jugendtheaterfestival kann man auf vielfältige Weise veranstalten. Die gerade den Kindern inadäquateste Form ist wohl die der Mustermesse. Mustermesse auch für die alten Hüte. Man hat den Eindruck, als richte sie sich gar nicht an ihr potentielles Publikum, die Kinder —: die waren vielfach nur sehr spärlich auf den Tribünensitzen der Arena vertreten —, sondern an erwachsene Theatermacher, die sich hier offenbar orientieren sollen. Man zeigt auch das inhaltlich längst Überholte, darstellerisch völlig Unzulängliche. Irgendein Abnehmer wird sich wohl auch für das „Tapfere Schneiderlein“ finden.

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Ein Kinder- und Jugendtheaterfestival kann man auf vielfältige Weise veranstalten. Die gerade den Kindern inadäquateste Form ist wohl die der Mustermesse. Mustermesse auch für die alten Hüte. Man hat den Eindruck, als richte sie sich gar nicht an ihr potentielles Publikum, die Kinder —: die waren vielfach nur sehr spärlich auf den Tribünensitzen der Arena vertreten —, sondern an erwachsene Theatermacher, die sich hier offenbar orientieren sollen. Man zeigt auch das inhaltlich längst Überholte, darstellerisch völlig Unzulängliche. Irgendein Abnehmer wird sich wohl auch für das „Tapfere Schneiderlein“ finden.

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Auf dem Symposium zu einem „Theater für Kinder“, das man im Anschluß an die Festwochen an zwei Nachmittagen im Filmsaal des Museums des 20. Jahrhunderts veranstaltete (übrigens ebenso mit der linken Hand organisiert wie das ganze Festival: 30 Zuhörer am ersten, 10 am zweiten Tag), fiel daher manches harte Wort. So sprach Volker Ludwig vom Gripstheater Berlin (früher: Reichskabarett) von der Kindertheaterentwick-lung der letzten drei Jahre, „von der in den Arenaveranstaltungen leider nichts zu sehen war“. Das Kindertheater sei in einem Abenteuerstadium, doch herrsche ein spürbarer Mangel an Abenteurern. Die Mustermesse war veraltet, Antifesti-val, Impulse für die Wiener oder ge-samtösterreichische Kindertheater-situation, Experimente erwiesen sich als leere Schlagwörter. Das trockendürftige, in Eigenproduktion gezeigte „Fazz und Zwoo“ („ein modernes Märchen“!?) bewies das ebenso wie das schon einige Jahre alte Jugendstück „Ostindienfahrer“.

Vor allem aber das „Tapfere Schneiderlein“ nach den Brüdern Grimm aus Landshut entpuppte sich als „olle Klamotte“, wie sie sogar im verschlafenen Wien seit mindestens fünf Jahren auf keiner Bühne zu sehen war. Selbst mit dem absoluten Gipfel des Arena-Unternehmens, dem Gastspiel des Mailänder Teatro del Sole mit der „Stadt der Tiere“ („La Cittä degli Animali“), eines auf der Basis von Animazione-Arbeit mit siebenjährigen Turiner Buben entstandenen Stücks, konnte man nicht mehr renommieren: die Umsetzung dieses Animazione-Produkts datiert aus dem Jahre 1969, war unter anderem schon in Berlin und Graz zu sehen und kam über Eisenstadt (Sommerseminar 1972) und

Villach nach Wien. Die Truppe, die als einzige echte Impulse hätte vermitteln können, mußte zudem im leeren Raum operieren, da man sich festwochenseits beharrlich allen Anregungen widersetzte, die Grundlage dieser Produktion, die genannte Theateranimazione, in irgendeiner Form vorzustellen. Animazione ist, kurz gesagt, Zielgruppenarbeit (primär, aber nicht unbedingt ausschließlich) mit Kindern zur Freilegung ihrer kreativen und reflekti-ven Möglichkeiten als Grundlage für realitätsbezogene Lösungen. Immerhin hat sich diese Kinderarbeit kompensatorischen und emanzipatori-schen Charakters über Frankreich und Italien auch schon in Wien (speziell ins „Dramatische Zentrum“) eingeschlichen. Beim Symposium haben sie die Organisatoren bewußt ausgeklammert. Angeblich hat sie mit dem „Theater für Kinder“ nichts zu tun, wiewohl ihre Ergebnisse, ins professionelle Kindertheater übertragen, eine wichtige und notwendige Konkurrenzierung des traditionellen Kindertheaters darstellen.

Trotz der nach außen hin bunten Palette der „Mustermesse“ (Mimus durch das Taubstummentheater, Ballett durch die holländische Sca-pino-Truppe, Märchen und realitätsnahes, antiautoritäres Familienstück sowie umgesetzte Animazione beziehungsweise Klassiker, Abenteuer, Musical und Musiktheater für Jugendliche) sind die Versäumnisse dieses Festivals vielfältig. 1970 hätte man damit noch Furore machen können. Man gab sich lediglich „interessiert“ (Baumgartner), wo man sich engagiert hätte zeigen müssen. Man pries die „Revolution von oben“ (Baumgartner) — eine andere sei im intellektuellenlosen Wien ohnedies nicht möglich — und machte sie ohne die Kinder.

Doch wenden wir uns den Produktionen selbst zu. Im neuen Grips-Theater-Stück „Doof bleibt doof“ lautet ein Song-Refrain: „Doof geboren ist keiner, doof wird man gemacht...“ Wenn man das „Tapfere Scfrneiderlein“ des Südostbayrischen Städtetheaters Landshut sieht, weiß man, wodurch. Und das schon im frühen Kindesalter. Da wird kin-dertümelnd im übelsten Sinn von müde torkelnden Riesen vordergründigster Schabernack gespielt, da gibt es ein süßes Prinzeßchen samt alberner Hochzeit (zum Abschießen!), da werden die ältesten Hüte als lockeres Schauspielertheater verkauft, da wird Ulk und Klamauk aus der untersten Lade gezogen. Die Alltagsrevue zu Beginn mit Musweiblein und Milchmann sollte wohl ein Beitrag zu fortschrittlicher Umweltsbewältigung sein. Dazwischen treudeutsche Heimchen-am-Herd-Gesänge. Dümmer geht's wirklich nimmer. Das Theaterkollektiv aus Mailand, das Teatro del Sole, hingegen bietet Theater von Kindern, in dem sich ihre Träume und Alpträume, ihre Phantasie und ihre Umweltsreflexion widerspiegeln. Eine Alternative zum herkömmlichen Kindertheater, in der Kinder mitbestimmen, richtiger: „selbstbestimmen“. Die Truppe spielt vornehmlich in Schulen und Sporthallen. Voraussetzung für dieses Theater ist freilich, daß die Animazione endlich in die Schulen Eingang findet, was in Italien — wenn auch unter großen Schwierigkeiten — von Fall zu Fall möglich ist. Bei der Ghettoisierung unserer Schulmänner scheinen solche Erfolge hierorts vorerst noch Utopie. Die Zusammenarbeit von Lehrern und Animatoren wäre Vorbedingung für dieses neue Kindertheater. Gespielt wird die ganz einfache Geschichte eines Kindes zwischen Umweltsrealität, Traum und Zauber-phantastik mit sparsamsten Mitteln: ohne Requisiten, mit nur wenigen Kostümandeutungen, ganz im Vertrauen auf den mimischen und gestischen Ausdruck. „Armes Theater“ im Sinne Grotowskis. Ein temperamentvolles Feuerwerk von Einfällen und Verwandlungen, durch Kinder-und nicht durch Erwachsenenlogik zusammengehalten.

Der Rest des Gebotenen fiel in die Kategorie „Theater für Jugendliche“, das jeweils an den Abenden gezeigt wurde. Ich gebe gerne zu, daß hier die Situation noch um einiges abenteuerlicher ist. Das Sco-pino-Ballett für Jugendliche verdient Bewunderung, die Schauspiel-schüler-„Anty0ona“ des Warschauer Maly-Teatr immerhin Respekt. Dem oft im Munde geführten Anti-Festival-Charakter der Arena hätte ein Stück von Helmut Walbert („Auf etwas schießen, bis es kaputt ist“), das Lehrlingsstück des Münchner Theaters der Jugend „Stifte mit Köpfen“ oder eine Montage wie Michalkas „Krieg ist wunderschön“ (der in Würzburg gefeuerte Jugendtheaterinitiator arbeitet derzeit in Castrop-Rauxel) zweifellos mehr entsprochen. Wie eben parallel dazu auf der Kinderszene eine Anima-zionegruppe (etwa aus Turin), die Berliner „Rote Grütze“ mit einem Aufklärungsstück oder wenigstens eine der beiden letzten Produktionen des Grips-Theaters.

Das schon genannte Landshuter Theater Klaus Schlettes war auch mit einem Abendprogramm eingeladen worden: es zeigte Brechts „Dreigroscfienoper“ als Operette für Schauspieler. Singen ist nicht jedermanns Sache. Daß die Schauspieler auch musizieren, sei lobend vermerkt. Man sieht dieser oberflächlichen Fassung für die Abstecher in bayrischen Dörfern bestimmt einiges nach. Vielleicht ist die Inszenierung, die sich den Möglichkeiten des Ensembles anpaßt, für die märktischen Theatersäle Bayerns von Bedeutung. Wiewohl man für die Bunte-Abend-Show nicht Brecht-Weill hätte bemühen müssen. In die Arena paßte dieses unbekümmerte Vorstadt-Tingeltangel gewiß nicht.

Hingegen kam die Wiener Ballett-Gemeinde beim Gastspiel des Amsterdamer Scapino-Balletts voll auf ihre Rechnung. Die Compagnie, die seit ihrer Gründung auch in Schulen wertvolle pädagogische Arbeit leistet, besticht durch ihre technische Perfektion. Vom Inhaltlichen her sind einige Programme etwas dürftig und recht kühl geraten. Immerhin: die Alltagsszenen in „Ajakabumbie“ sind von Hans van

Manen fernab der traditionellen Tanzästhetik choreographiert worden, und Eric Hamptens „Push“, eine Bewegungsstudie, die sich aus dem Stoß entwickelt (beide Werke teilweise ohne Musik), gehört zu den Höhepunkten modernen Balletts überhaupt. In der Nachmittagsvorstellung konnten sich die Kinder an dem märchenhaften „Karneval der Tiere“ erfreuen (zur Musik von Ca-mille Saint-Saens). Hühner, Känguruhs, Schwäne, ein Löwe und tolpatschige Elefanten tanzen bunt durcheinander. Wenn dann noch zwei Schildkröten Cancan tanzen, bleibt kein Auge trocken.

Zum Abschluß des Arena-Programms zeigten Schauspielschüler des vierten Jahrgangs der Schauspielschule PWST aus Warschau die sophokleische „Antigone“. Die Schauspielschule ist direkt an das Nationaltheater angeschlossen. Wieder einmal wird der enorme Vorteil deutlich, der aus diesem engen Konnex mit dem praktischen Theateralltag erwächst. Das Londoner Young Vic ist ein Musterbeispiel dafür. Adam Hanuszkiewicz, der Direktor des Nationaltheaters und Leiter der Schule, spielt nicht nur selbst mit (Kreon), er führt auch Regie. Der Lehrer kennt seine Schüler, der Theaterdirektor seinen Nachwuchs. Die Inszenierung ist allerdings eher konventionell. So mancher Disput zwischen Kreon und Antigone mutet ein wenig wie eine Konferenzzimmeraussprache an. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis bleibt streng gewahrt. Aber das sind Details. Wichtig ist, daß begabte Schauspielschüler, um die man Warschau beneiden muß, alles zeigen können, was in ihnen steckt, vor allem, wie homogen sie als Gruppe , funktionieren. Die Truppe hat auch eine Vorzugsschülerin: Anna Choda-kowska als Antigone. Im Lachen und in der Trauer, im zornigen Aufbegehren und im Schmerz bleibt sie natürlich. Natürlich, wie aben echte Tränen sind.

Bald nach Beginn der Festwochen sickerte durch, daß die diesjährige Arena aus budgetären Gründen die letzte gewesen sein soll. Trotz der teilweise massiven Kritik, der war das Programm heuer unterziehen mußten, wäre zu hoffen, daß man sich diesbezüglich noch eine positive Lösung einfallen läßt. Die Bedeutung dieses zweiten Spielortes ist unbestritten. Die Hoffnung trotz allem berechtigt, daß man ihn nächstens wieder besser zu nützen weiß.

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