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Digital In Arbeit

Keine Lust auf Utopien ?

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Wohl zu den umstrittensten Projekten - neben der Arbeitszeitverkürzung von Sozialminister Alfred Daliinger gehören nach wie vor die Selbstverwaltungsbetriebe.

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Wohl zu den umstrittensten Projekten - neben der Arbeitszeitverkürzung von Sozialminister Alfred Daliinger gehören nach wie vor die Selbstverwaltungsbetriebe.

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Für den Geschäftsführer der Sektion Industrie der Niederösterreichischen Handelskammer, Robert Löf fler, war es ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Die „Presse” wetterte gegen Sozialminister Alfred Daliingers allzu große Experimentierfreudigkeit auf Kosten des Steuerzahlers. Und die „Volksstimme” fühlte sich bestätigt: „Ohne Chef geht's auch”, jubelte sie in einer Schlagzeile.

Wovon die Rede ist? Von, wie böse* Zungen behaupten, Dallingers liebstem Hobby neben der Arbeitszeitverkürzung: den Selbstverwaltungsbetrieben.

Sie gibt es in Österreich seit rund zwei Jahren. Genaugenommen seit Jänner 1983, als der Nationalrat auf Initiative des Sozialministers eine Novellierung des Arbeitsmarktförderungsgesetzes und des Arbeitslosenversicherungsgesetzes beschloß. Dadurch wurden erstmals die gesetzlichen Möglichkeiten zur Erprobung einer „experimentiellen Arbeitspolitik” geschaffen.

Im wesentlichen handelt es sich dabei um die Möglichkeit der Starthüfe für Betriebsneugründungen oder die Übernahme von maroden Betrieben in Selbstverwaltung der Mitarbeiter. Vorgesehen sind direkte Förderungen in Form von Zuschüssen, meist unverzinslichen Darlehen oder indirekte Förderungen durch Beratungen oder Schulungskurse.

Für viele Kreise in der Wirtschaft und Industrie war Daliingers Ansinnen anrüchig — für etliche roch es gar nach reinem Kommunismus. Dazu kamen Vorwürfe einer ungerechtfertigten Su-perförderung, von der die anderen Betriebe nur träumen könnten. Außerdem bestünde die Gefahr, daß Selbstverwaltungsbetriebe zu Dauersubventionsempfängern werden könnten. Sie sollten nach den Vorstellungen des Sozialministers eine Alternative zum gängigen Wirtschaftssystem darstellen und nicht unbedingt auf Gewinn ausgerichtet sein.

Trotz aller Vorbehalte scheint es diesen Betrieben aber im großen und ganzen relativ gut zu gehen. Seit Inkrafttreten der Novelle gibt es 15 Unternehmen dieser Art mit 250 Arbeitsplätzen. Rund 25 Millionen Schilling hat das Sozialministerium dafür lockergemacht. 35 Vorhaben warten noch in den unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung auf ihre Realisierung.

Die Standorte der Selbstverwaltungsbetriebe sind über ganz Österreich verstreut. Die Branchen-Palette reicht von der Schuherzeugung bis zur Baugeräte-Produktion. Die meisten selbstverwalteten Betriebe haben eine Größe zwischen drei und 30 Arbeitnehmern.

Daneben laufen noch elf sogenannte Sozialprojekte. Diese Beschäftigungsinitiativen wollen aber „Transitarbeitsplätze” anbieten. Benachteiligte Gruppen auf dem Arbeitsmarkt, wie Jugendliche ohne Schulbildung oder Strafentlassene, werden hier geschult. Mit etwas besserem Wissen ausgestattet, werden sie dann in den Kampf um einen „echten” Arbeitsplatz geschickt. Zum Beispiel hat der Verein „Z 6” in Innsbruck Verkaufsläden und ein Vollwert-Speiselokal eingerichtet. Oder der „Vehikel”-Verein in Linz, der Schulungskurse für Reparaturen an Fahrrädern, Mopeds und Autos abhält.

Bei 128.000 vorgemerkten Arbeitslosen wirken die Selbstverwaltungs-Modelle eher wie ein Tropfen auf den heißen Stein oder wie eine Improvisation angesichts der angespannten Wirtschaftslage. Daß die persönliche Ideologie des Sozialministers eine große Rolle spielt, ist nicht zu leugnen. Denn Selbstverwaltung von Unternehmen durch die Arbeiter ist alt und modern zugleich und reicht in das Gedankengut der frühen Sozialisten zurück.

Subsidiarität ist aber auch ein Grundprinzip der katholischen Soziallehre. Vereinfacht gesagt, steht auch hier die Aufweichung der Eigentumsverhältnisse im Mittelpunkt: Erst was der einzelne von seinen Fähigkeiten her nicht mehr schafft, soll an die größere Gemeinschaft delegiert werden.

Die Diözese Sankt Pölten betreut ein einschlägiges Projekt: die Schuhwerkstatt Schrems. Gegründet von arbeitslosen Fachkräften nach dem Konkurs eines schuherzeugenden Betriebes in der Nähe von Schrems, beschäftigt sie jetzt zwölf Mitarbeiter. Die Rechtsform ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die sich im Eigentum eines Vereines der Beschäftigten befindet.

Die anfänglichen Schwierigkeiten in Umgang mit den Maschinen und der kaufmännischen Führung haben sie bewältigt, stellt Organisationstrainer Bernhard Dolleschka zufrieden fest. Die „Kinderkrankheiten” wie Macht-und Prestigekämpfe um die Rolle des Vereinsobmannes sind ebenfalls gelöst.

Die Schremser fühlen sich allerdings in ein ideologisches Eck gedrängt, weil auch in ihrer Umgebung das Verständnis für Selbstverwaltungsbetriebe zumeist fehlt. Die bevorstehenden Handelskammerwahlen tun ein übriges. Um bestimmte Wähler nicht zu vergrämen, verhalten sich die Interessenvertreter eher zurückhaltend zu der Schuhwerkstatt.

Ausständig ist noch die zweite Förderungsrate vom Bundeskanzleramt, die zugesagt wurde sowie ein gemeinsamer Förderungsbetrag vom Land Niederösterreich und dem Bundeskanzleramt.

Das ewige Hin und Her zwischen prinzipieller Zustimmung, aber ohne konkrete Zusagen, beklagt auch der Geschäftsführer der „Waldviertier Holzwerkstatt GmbH” in GÖpfritz an der Wild im nördlichen Waldviertel. Oft zitiert und am Bildschirm zu sehen, profilierte sich dieser Betrieb mit seinem Kinderzimmerprogramm als Prototyp erfolgreicher Selbstverwaltung.

Zwar haben die hohen Markteinführungspreise zu Beginn Probleme bereitet, und es gab auch personelle Schwierigkeiten. „Die chronischen Störenfriede, die gern die Macher geworden wären, haben wir einfach hinausgeschmissen”, sagt Emmerich Fessl von der Abteilung Planung und Verkauf. Trotzdem ist er unzufrieden. Mangelndes Eigenkapital sowie die Zu- und Absagen von Förderungen verhindern eine Ausdehnung der Produktionsstätten. Aufträge wären genug vorhanden.

Etwas ins Zwielicht geraten ist auch der mit 109 Mitarbeitern und 60 Millionen Schilling Umsatz größte österreichische Selbstverwaltungsbetrieb: die „Frilla-Leuchten” in Üntertullnerbach in Niederösterreich. „Frilla” erhielt bis jetzt einen Zuschuß von 4,5 Millionen und ein zinsenfreies Darlehen von 5,5 Millionen mit 20 Jahren Laufzeit aus den „Selbstverwaltungs-Geldern” des Sozialministeriums.

Unlängst verließ der Geschäftsführer Dietmar Litschl grollend das Unternehmen und beklagte „unzumutbare Zustände”. Nach eigenen Angaben sollte er alle Letztentscheidungen über Investitionen, Personalentscheidungen usw. an den Vereinsvorstand abtreten.

„Frilla” stellt dagegen fest, daß Litschl sich schon allzusehr von der „Basis” entfernt hatte und alles selber entscheiden wollte — ohne vorherige Kontaktnahme mit dem Vorstand.

Wie immer man zu Selbstverwaltungsbetrieben auch steht; es wäre zu kurz gegriffen, dieses Experiment nur auf Ideologie zu reduzieren. Andererseits kann sich eine Wirtschaftspolitik auch nicht in punktuellen Ansätzen erschöpfen.

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