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Keine Mühe mit Wundern

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Ein Naturwissenschaftler, für den es „nichts Unglaubwürdigeres als einen wissenschaftsgläubigen Theologen" gibt, legt hier ein persönliches Glaubensbekenntnis ab.

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Ein Naturwissenschaftler, für den es „nichts Unglaubwürdigeres als einen wissenschaftsgläubigen Theologen" gibt, legt hier ein persönliches Glaubensbekenntnis ab.

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Nicht nur durch klerikalen Machtmißbrauch gebar die Renaissance den europäischen Höfen absolutistische Herrscher. Aber Richelieu und Mazarin waren Kardinäle, und statt das Kind zu baden und trockenzulegen, wurde es geschrubbt und schließlich mit dem Bad ausgegossen. All das viele Gute der Kirche hat man bei der Aufklärung vergessen.

Die majorenn gewordene Naturwissenschaft begann den verurteilten Galilei zu rächen; sie tat, was sie der Inquisition vorwarf: etwas Unwissenschaftliches. Als Laplace von Napoleon gefragt wurde, wo denn in seiner Theorie Gott zu finden sei, antwortete er: „Majestät, die Wissenschaft bedarf dieser Hypothese nicht mehr."

Solcher Hochmut ist seither durch die Erfolge der Technik — des Machens — auf babylonische Turmhöhe gewachsen, dermaßen, daß von vielen Menschen nur noch das Meßbare für Wirklichkeit gehalten wird: Messungen sind Machungen.

Bis zur Aufklärung war die Auferstehung Christi eine selbstverständliche Tatsache. Erst seit der neuen Wirklichkeitsdefinition begann man die Wunder zu bezweifeln. Da die Menschen nicht ohne Wunder leben können, sprach man von den Wundern der Technik. Das einzige Wunder der Technik ist das Wesen, das die Technik hervorzubringen vermag: der Mensch.

Zur Zeit sind die Wissenschaftler damit beschäftigt, dem Turm die Spitze aufzusetzen: Sie wollen mit den Wundern der Gentechnik den Menschen besser machen, als Gott ihn gemacht hat. Daß nach Erreichung der Spitze der Turm nur noch kleiner werden kann, versteht sich.

Wenn man ein Wunder als ein Ereignis definiert, das physikalisch-chemisch nicht erklärbar ist, so besteht zwischen der Geburt und der Auferweckung des Lazarus oder zwischen der alljährlichen Brotvermehrung auf den Kornfeldern und der Brotvermehrung des Herrn in der Wüste kein Unterschied. Beide Wunder, das eine als Schöpfungstat Gottes, das andere als Eingriff Gottes in die Schöpfung, sind wissenschaftlich nicht erklärbar, wenn man Teilwahrheiten nicht für die ganze Wahrheit anbietet (wie die Materialisten das tun).

Das Wunder der Brotvermehrung auf den Kornfeldern wird uns bewußt werden, wenn der Hunger in unser verbetoniertes Land einkehrt und keine Wissenschaft uns Brot geben kann.

Der Hochmut muß mit einem Mut überwunden werden, der größer ist: mit dem Mut zur Demut. Demut heißt Gottesfurcht und Furchtlosigkeit vor den Menschen; bereit sein, für Christus zu sterben. Demut ist wohl keine hinreichende, aber eine notwendige Voraussetzung für einen Wissenschaftler: Ohne Demut ist er bloß ein Wisser.

Eine aus dem Hochmut geborene Wissenschaft bietet plausible Erklärungen an, weil sie Erfolg haben muß. Das Wort plausibel kommt vom lateinischen plaudere, was soviel wie pochen, schlagen und auch Beifall klatschen heißt. Auf das letzte bezieht si,ch das Kompositum applaudere; die Erklärungen der Materialisten müssen applausibel sein.

Wahrheit ist nie plausibel; jeder

Untersuchungsrichter weiß, daß plausible Erklärungen suspekt sind. Die größte Wahrheit, das Evangelium, ist von allen Wahrheiten am wenigsten plausibel. Es steht im Zeichen des Widerspruchs. Zum Beispiel heißt es, daß die Letzten die Ersten sein werden. Beim Umkehren in der Sackgasse, in der die Technokra-tien sich befinden, werden die Letzten die Ersten sein.

Die applausiblen Erfolge der Naturwissenschaft erregen bei den Nichtnaturwissenschaftlern das Verlangen, auch in dieses Rampenlicht zu treten; leider auch bei manchen Theologen. Solche wurden mit einer sogenannten Entmythologisierung der Evangelien berühmt und begründeten eine Theologie des Zumutbaren, auch — in Anlehnung an die Naturwissenschaft — theo-logia experimentalis genannt.

Daß dies keine christliche Theologie sein kann, hegt auf der Hand: das Christentum ist für jene, die Zumutbarkeit fordern, etwas vom Unzumutbarsten, das es gibt. Man denke bloß an die von Christus geforderte bedingungslose Liebe bis hin zur Feindesliebe. Einer, der mit dem Mythos der Entmythologisierung besonders berühmt geworden ist, sagt, das leere Grab am Ostermorgen sei im Prinzip nichts anderes als ein Symbol der Auferstehung. Bemerkenswert ist die Verwendung des Materialistenidioms ,4m Prinzip nichts anderes als".

Der englische Philosoph C. S. Lewis, der es sich, wie Juvenal zur Untergangszeit Roms, schwer machte, keine Satire zu schreiben, meinte: Nun mußten wir armen Christen also nahezu 2000 Jahre glauben, daß Christus auferstanden ist, bis wir endlich von Herrn B. belehrt wurden, daß alles nur symbolisch zu verstehen sei. Gewiß wären die Pharisäer und Sad-duzäer Professor B. für eine rechtzeitige Aufklärung der ärgerniserregenden Umstände dankbar gewesen, hatten sie sich doch die Geheimhaltung des Symbols viel Geld kosten lassen.

Wenn die Theologen der modernen Bibelkritik die historische Echtheit der Evangelien untersuchen wollen, können ihnen beachtliche Schwierigkeiten bevorstehen. Einer von ihnen (H.) sagt, der Zeitabstand von 30 bis 40 Jahren zwischen dem Tod Christi und der Abfassung der Evangelien sei so groß, daß in diesem nachhinein nichts Sicheres über den genauen Hergang gesagt werden könne.

Dazu schreibt Johannes Hufschmidt: „Wenn die Historiker die bibelkritische Methode der Beweisumkehr übernähmen, so könnten sie beispielsweise folgenden Schluß ziehen: Alexander der Große ist keine historische Gestalt. Als seine Berichterstatter, Ptolemeios und Aristobulos, ihre Erinnerungen aufschrieben, lag Alexanders Tod weiter zurück als der Tod Jesu für Markus und Matthäus. Überdies ist die Quellengeschichte zu Alexander problematischer als die zu Christus. Erstens waren seine Berichterstatter Politiker und zweitens sind ihre Schriften gar nicht erhalten geblieben. Wir wissen nur durch Arrian von ihnen, und der lebte nochmal vier Jahrhunderte später."

Für einen gläubigen Wissenschaftler gibt es nichts Unglaubwürdigeres als einen wissenschaftsgläubigen Theologen. Eine

Spitze der Entmythologisierung ist vermutlich die Verabschiedung des Teufels durch Professor H. Dazu meint der französische Dichter Baudelaire: „Die vollkommene List des Teufels ist es, euch zu überreden, daß es ihn gar nicht gibt."

Ein Naturwissenschaftler, der es mit seiner Wissenschaft ernst nimmt, der also nicht wissenschaftsgläubig ist, hat keine Mühe an Wunder zu glauben. Wer aber bloß physikalisch-chemisch denkt, wird die Existenz von Wundern bestreiten, weil er mit diesem verengten Denken bloß weiß, wie, aber nicht weiß, was Chemie und Physik sind.

Das Was würde ihn zum Wer führen, zu Gott, der die Materie erschaffen hat und den Menschen, der sie mit seinem Geist zu erforschen vermag. Der Physiker Georg Christoph Lichtenberg sagt: „Wer nur Chemie und Physik versteht, versteht auch diese nicht."

Als Naturwissenschaftler bin ich dankbar, daß nicht nur das Wirklichkeit ist, was die Wissenschaftler messen und machen können. Das wäre eine armselige Welt; die Welt, die in den Techno-kratien immer mehr gemacht wird.

Viele große Naturwissenschaftler waren tief religiös, aber nicht alle berühmten sind auch groß. Die Größe eines Wissenschaftlers besteht in dem, das von ihm übrigbleibt, wenn man die Wissenschaft von ihm wegdenkt. Mit den vielen gläubigen Naturwissenschaftlern bekenne ich meinen Glauben: Christus ist auferstanden, und er wird wiederkommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

Der Autor ist Professor für Physikalische Chemie an der Universität Basel.

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