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Keine Neutralität in Familienfragen

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Denn es macht einen Unter -schied aus, ob jemand seine Sexualität mit wechselnden Partnern auslebt, oder ob er sie in eine personale Lebensgemeinschaft einbringt; ob er ein Kind grundsätzlich ablehnt und es lieber töten läßt, oder ob er es fürsorglich anzunehmen bereit ist; ob er der unheilbar kranken Frau die Trennung zumutet oder die Treue hält. Die Gesellschaft mag vielleicht darauf verzichten, hier normativ einzugreifen - um der Freiheit willen; aber sie kann nicht darauf verzichten, hier Unterschiede des Wertes festzustellen.

Wenn sie als ihr moralisches Fundament die Anerkennung der Menschenwürde ansieht, so muß sie gerade jene Lebensvollzüge hoch

werten, wo sich Mitmenschlichkeit personal, nicht bloß funktional erweist. Erst dadurch wird sie menschlich, menschenwürdig.

Aus dieser Perspektive ist zu sehen, was Familie bedeutet. Natürlich kann man sie auch in ihrer funktionalen Rolle sehen, die für die Gesellschaft fundamental ist, sofern sie sich durch die Familie reproduziert.

Die Gesellschaft hat also Grund, sich um die Familie zu kümmern, sie rechtlich zu sichern, ökonomisch zu entlasten, ihr Aufgaben abzunehmen. Aber die Familie behält kraft ihrer Struktur nicht nur ein privates Eigenleben, sondern schon ihr Zustandekommen beruht auf einem rein privaten Vorgang.

Die Gesellschaft ist zur Sicherung ihrer Basis auf einen individuellen, zufälligen Willen angewiesen und dieser kann nicht anders als durch individuell hochbedeutsame Wertevidenzen bewegt werden.

Das ist der Grund, warum die Permissivität, die nicht wertende Gleichgültigkeit der Gesellschaft, radikal schädlich ist, und ihr der

Wert der Familie verdeutlicht werden muß.

In der pluralen Gesellschaft gibt es nur wenige Heiratsregeln, die Ehe scheint auf Zufall und Willkür zu beruhen. Dabei ist die Partnerwahl hoch emotionalisiert, und die Ehe scheitert nicht selten, wenn die Emotionen nicht mehr tragen. Aber es ist weniger wichtig.sich über dieGrün-de des Scheiterns eines Drittels der Ehen als darüber klar zu werden, warum zwei Drittel lebenslang stabil bleiben. Nun geht natürlich der Weg zur Ehe über die zufällige Begegnung, über Emotionen, die zunächst durch Eigenschaften des Partners ausgelöst werden, von der sexuellen Attraktivität bis zur sozialen Position. Ehe läßt sich aber erst begründen, wenn der Partner gesamthaft angenommen wird, zu einer Lebensgemeinschaft, die nicht mehr Eigenschaf ten verrechnet. Sie konstituiert sich dadurch, daß man sich dem Partner „zu eigen“ gibt, so daß man sagen kann „mein Mann“, „meine Frau“. Dies Eigensein füreinander ist es, worin schon eine bedeutende philosophische Tradition (von Aristoteles bis Hegel) das Auszeichnende der Ehe sah.

Das hat nichts mit „Eigentum“ im Sinne von Verfügbarkeit zu tun, eher im Gegenteil: Man kann sich zu eigen geben, weil man sich angenommen weiß, und gerade nicht wegen Eigenschaften, sondern als Person; und das in einer umfassenden Weise, welche die Geschlechtlichkeit einschließt. Ja, es ist gerade dies ent-

scheidend, daß die naturale Vorgabe der Geschlechtlichkeit, die uns als biologische Gattungswesen bestimmt, als ein existentielles Moment der Person in die Ehegemeinschaft eingebracht und anerkannt wird.

Sexualität gehört zur Ehe; aber sie wird nicht bloß als Trieb ausge-

lebt, sondern hat personale Bedeutung. Dies hat sie gerade in der Ausschließlichkeit der Einehe; denn sie besagt, daß Gatten sich eben nicht nur als Geschlechtspartner, sondern auch in der geschlechtlichen Begegnung als unvertretbare, einmalige Personen anerkennen. Das Sich-zu-eigen-Geben in der Ehe als ein per-

sonal gegenseitiges ist zugleich die Bestätigung des Wertes einmaliger Personalität. In dieser Struktur ist die Ehe einzigartig; sie eröffnet eine Dimension von Mitmenschlichkeit, die anders gar nicht gegeben werden kann.

Dies ist nicht ein Ideal der Ehe, sondern jene strukturelle Vorgabe, die im Lebensvollzug der Ehe selbst erfüllt werden muß. Das kann mehr oder weniger gut gelingen, aber scheitern wird die Ehe erst, wenn die gegenseitige Zu-Eignung nicht mehr gewährleistet wird. Die Ehe unterliegt der Kontingenz unseres Daseins, sie bleibt anfällig sogar in ihrem Grunde, sogar als Institution. Das ist bei der Familie in einer Hinsicht anders: Das Verhältnis von Eltern und Kindern entsteht durch einen Naturvorgang, und so kann man aus ihm nicht austreten. Die Abkunft gehört zur Identität der Person, und so gehören zu ihr die durch Abstammung vermittelten Verhältnisse der Verwandtschaft: sie schaffen einen stabilen Ort in der Gesellschaft.

Nicht minder wichtig ist, daß ein Kind seine Existenz zwar einem kontingenten Wollen verdankt, aber nicht sein Menschsein. An ihm haben die Eltern mitgewirkt, aber als Naturen; das Kind ist daher nicht ihr Eigentum, sondern eine Person eigenen Rechts. Aber es. ist ihr „eigen“, indem sie es annehmen, zunächst in seiner Hilfsbedürftigkeit, dann aber als ein zunehmend eigenständiges Wesen, das sich gleichwohl ihnen angehörig weiß; es erkennt sich als angenommen, und anerkennt die Eltern als jene, die durch die Annahme es in seinem Eigensein bestätigen. Das kann man den Grundvollzug der Familie nennen, und es kann gar nichts anderes sein als ein personaler Vollzug, an welchem die Familienmitglieder „gesamthaft“ und in ihrer Einmaligkeit teilhaben.

Auszug aus dem Vortrag „Familie in der pluralen Gesellschaft“,gehalten am 14. Internationalen Familienkongreß in Bonn (April 1989).

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