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Keine Nibelungentreue

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„Dänemark noch in unserem Besitz!“ seufzte ein Kollege aus einem zur EG gehörenden Land, der soeben im dänischen Folke-tinget die Debatte über das Verbleiben oder Nichtverbleiben Dänemarks in der EG nach einem etwaigen Austritt Großbritanniens verfolgt hatte.

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„Dänemark noch in unserem Besitz!“ seufzte ein Kollege aus einem zur EG gehörenden Land, der soeben im dänischen Folke-tinget die Debatte über das Verbleiben oder Nichtverbleiben Dänemarks in der EG nach einem etwaigen Austritt Großbritanniens verfolgt hatte.

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Der Außenminister der Regierung Härtung, Ove Guldberg, hatte gesagt, daß ein EG-Austritt Großbritanniens nicht unbedingt und automatisch einen gleichen Schritt Dänemarks nach sich ziehen müsse. Der Führer der Sozialliberalen, Hilmar Baumsgaard, langjähriger Leiter der bürgerlichen Koalitionsregierung vor Anker Jörgansen und Jens Otto Krag, hatte ihm scharf widersprochen. Das dänische Volk habe im Herbst 1972 für einen EG-Beitritt „zusammen mit Großbritannien“ entschieden. Ein Austritt Londons bedeute, daß die Grundlagen für eine EG-Mitgliedschaft Dänemarks nicht mehr gegeben seien.

Das Folketing-Mitglied Ole Espersen, Professor der Staatswissenschaften, schlug in aller Öffentlichkeit dieselben Töne an: Es habe zwei Hauptgründe für einen Beitritt Dänemarks gegeben, betonte er: die zu erwartenden Vorteile wirtschaftlicher Art und die enge wirtschaftliche Bindung Dänemarks an Großbritannien, mit dessen Beitritt zur EG diese einen völlig neuen Charakter erhalten habe. Fielen diese beiden Voraussetzungen fort, so seien mit ihnen auch die Grundlagen für eine dänische Mitgliedschaft geschwunden. Das Ailermindeste, das dann getan werden müsse, sei eine neue Volksabstimmung.

Für die breite Masse der Verbraucherschaft ist der Nutzen einer EG-Mitgliedschaft natürlich noch nicht fühlbar geworden. Sie bringt vielmehr die Preiserhöhungen für Waren des täglichen Bedarfes mit dem EG-Beitritt in Zusammenhang. In dieser Beziehung ähneln die Vorstellungen des dänischen Volkes jenen der Bevölkerung der britischen Inseln. Eindeutig aber sind die Gewinne der' dänischen Landwirtschaft, die in einer zehnstelligen Zahl ausgedrückt werden können. Bezeichnend dafür ist auch die gewaltige Wertsteigerung, die der landwirtschaftliche Boden und der Grundbesitz überhaupt erfahren haben.Wenn im Jahre 1967 der Wert des dänischen Bodens auf 67 Milliarden Kronen geschätzt wurde, so waren es vier Jahre später bereits 103 Milliarden. Es gibt kaum einen Besitzer eines kleinen Reihenhäuschens, dessen Grund im letzten Jahr nicht um 1000 Kronen im Monat wertvoller geworden wäre. Im nördlichen Seeland gibt es Baugrundstücke mittlerer Größe, deren Preis in einem ein-. zigen Jahr um 100.000 Kronen stieg. Nach letzten Berechnungen wird in diesem Jahr der Wert des dänischen Bodens um eine Milliarde Kronen im Monat steigen, also um zwölf Milliarden Kronen in einem Jahr.

Die Zeitung „Aktuel“ stellte dieser Entwicklung die Erhöhung der Löhne und Gehälter gegenüber, die im Jahre 1974 zwischen vier und fünf Milliarden Kronen erreichen dürfte, wovon jedoch gut die Hälfte in die Staatskasse in der Form von Einkommenssteuern zurückfließen. Der staatliche Wirtschaftsrat, die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften rechnen mit Lohnerhöhungen von insgesamt 20 Prozent. Die wirkliche Lohnsteigerung wird nur den zwanzigsten Teil davon betragen, alles andere fällt der Teuerung zum Opfer oder den Steuerämtern zu. Der kleine und mittlere Ein-kommensträger kann sich also immer seltener das so beliebte Einfamilienhäuschen leisten, bekommt er ja von den Banken selten mehr als 50 Prozent des Kaufpreises für den Boden geliehen; auf dem grauen Markt aber muß er 20 Prozent Zinsen bezahlen.

Doch nicht nur von den britischen Inseln, auch von den eigenen dänischen Besitzungen im Atlantik weht ein antieuropäischer Wind ins dänische Mutterland. Sowohl die Provin-zialregierung von Grönland wie auch jene von den Färöer-Inseln hat sich gegen eine EG-Mitgliedschaft ausgesprochen. Die Regierung in Torshavn wirft der Regierung Hartling und ihrem Außenminister Guldberg vor, daß sie in der Frage der Hochseefischerei im Nordiatlantik auf die von maßgebenden EG-Ländern in Brüssel geforderte Linie des freien Zuganges zu den ertragreichsten Fischgründen eingeschwenkt sei, ahne Rücksichtnähme auf die Interessen der Inselbevölkerung. Man hat sich auf diesen Inseln deshalb als außerhalb der EG stehend erklärt So ist Dänemark in dieser Frage ein gespaltenes Land

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