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Keine Opposition des Nein

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In eine neue Phase ihres Daseins als Oppositionspartei ist die CDU getreten. Der Hamburger Parteitag, verbunden mit einem Tief der Regierungskoalition, das durch die Energiekrise unerwartet verschärft wurde, präsentierte eine Partei, die das trickreiche und hastige Bemühen um eine Rückgewinnung der Macht vorerst ebenso aufgegeben hat wie die interne Zerfleischung in Personalfragen. Es ist zweifellos eine selbstbewußt gewordene, zielbewußt eine Machtübernahme im Jahr 1976 anpeilende Unionspartei. Es ist sicherlich auch eine Partei, die aus den Fehlern der zurückliegenden Bundestagswahl gelernt hat. Sie läßt sich nicht mehr auf forcierte Attacken in der Außen- und Deutschlandpolitik ein, sondern beginnt ihr Operationsfeld genau dort zu suchen, wo es am leichtesten ist und am meisten Wählerstimmen verspricht, nämlich bei brennenden innenpolitischen Problemen.

Ob die CDU nach dem Hamburger Parteitag freilich jene „neue CDU“ dst, von der Kommentatoren gesprochen haben, muß vorerst bezweifelt werden. Denn noch lasten auf der CDU einige Probleme. Sie sind personeller wie auch programmatischer und taktischer Natur.

In Hamburg präsentierte sich eine strahlende Trias von Parteivorsitzendem, Fraktionsvorsitzendem und Generalsekretär. Kohl, Carstens und Biedenkopf wurden von den Delegierten gefeiert, daß der Saal dröhnte. Solche Ovationen können jedoch nicht verschleiern, daß vorerst nur Biedenkopf seinen Posten voll ausfüllt. Gerade der Mann, der durch sein Vorgehen vor dem Parteitag, durch seine Taktik im Durchsetzen des Vorstandsmodells in der Frage der Mitbestimmung eine oft Zerreißprobe genannte Situation für die CDU heraufgeführt hat, erwies sich als der Mann, der seinen Posten am besten ausfüllt. Biedenkopf, durch Hochschulzeit und Managementtätigkeit beim Waschmittelkonzern Henkel gestählt, ist genau der Mann, der unbeirrt und erfolgreich die organisatorischen Voraussetzungen dafür schafft, daß die CDU aus dem alten Fahrwasser herauskommt-

Seine Arbeit ist geeignet, die CDU aus dem Geruch, eine „alte Tante“ zu sein, zu bringen. Sein Verhalten

vor dem Parteitag, die harte Konfrontation mit den Sozialausschüssen, der Jungen Union und auch mit den nordrhein-westfälischen Landesverbänden, zeigten allerdings gelegentlich wenig Gespür für das Taktieren innerhalb der Partei. Daß Hamburg für ihn und damit für den Parteitag doch noch zum Erfolg wurde, sollte über diese Schwäche nicht hinwegtäuschen.

Kohl und Carstens füllen, verglichen mit Biedenkopf, weniger die ihnen zugewiesenen Posten aus. Kohl kann zwar einigen Optimismus ausstrahlen und damit auch integrierend auf die Partei wirken. Vom Image des glänzenden Parteivaters oder gar

Kanzlerkandidaten ist er noch weit entfernt. Dazu haftet ihm noch zu viel Biederkeit an, dazu fehlt ihm zu sehr die Souveränität. Carstens, der zwar mit seiner Sicherheit und seiner geschliffenen Diktion beeindruckt, gibt immer mehr zu erkennen, wo seine Grenzen liegen und daß er bereits an diese stößt. Ihm fehlt das Vorwärtsweisende, das die CDU jetzt so sehr braucht. Er dst stark in der Negation, ist aber kaum der Mann, mit dem sich Biedenkopfs Bemühen, die CDU eine neue, progressive, sie als regierungsfähig ausweisende Oppositionsrolle übernehmen zu lassen, verwirklichen lassen wird.

Denn, das hat Hamburg deutlich gezeigt, die CDU will von der Opposition des Nein weg. Noch gellt der großen Unionspartei das „So nicht“ und „Noch nicht“ von Rainer Barzel im Ohr, das zum Symbol einer sich im Verneinen erschöpfenden CDU geworden ist. Sachthemen, die mit einer Genauigkeit behandelt wurden, als gelte es, demnächst die Regierung zu übernehmen, hatten denn auch den Hamburger Parteitag bestimmt. Zwar war das Thema „Mitbestimmung“ noch ein Barzelsches Erbe. Aber der Parteitag zeigte sich in seiner Gesamtheit mit der Behandlung des Bodenrechts und der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivver-

mögen so sachbezogen und in wichtigen sozialpolitischen Fragen entscheidungsfreudig, daß die neue Tendenz zu Sachlichkeit und eigenen Alternativkonzepten zur Regierungspolitik nicht zu übersehen ist.

Es mag dabei für die Opposition eher angenehm sein, daß von seifen der SPD und ihr nahestehender Kreise die Hamburger Beschlüsse abgetan wurden, weil sie zuwenig fortschrittlich und arbeitnehmerfreundlich seien. Ein „linkes überholen“ der SPD kann von der CDU nicht erwartet werden und würde sie wahrscheinlich vom Ziel einer Rückgewinnung der Macht weit entfernen. Das Mitbestimmungsmodell

etwa zeigt genau jene Linie, auf der die CDU Erfolg haben könnte. Sie bietet den Arbeitnehmern nahezu Parität, sichert den Kapitaleignem im entscheidenden Augenblick die Mehrheit, anerkennt auch die „leitenden Angestellten“ und kommt damit der so wahlentscheidenden Wählergruppe der sozialen Aufsteiger entgegen. Mit solchen Konzepten in entscheidenden Fragen der Innenpolitik kann es der CDU gelingen, den Wandel von der Ära Barzel in eine neue Phase zu schaffen, von der noch nicht gewiß ist, wessen Namen sie tragen wird.

Dabei darf sie den momentanen Aufschwung in den Wählersympathien nicht ungenützt vorübergehen lassen. Die Umfrage des Allensbacher Instituts, das immerhin bei der letzten Bundestagswahl sehr präzise Voraussagen gemacht hat, zeigt, wie groß die Chancen der CDU sind. Die Verhältnisse haben sich gegenüber der Wahl von 1972 umgekehrt.

In der CDU würde man sich selbst etwas vorlügen, wollte man behaupten, dies sei auf ihre Politik zurückzuführen. Dazu haben vielmehr ebensosehr die einst hochgespannten Erwartungen der Wähler, die um so tiefer fallen mußten, beigetragen, wie eine reichlich führungs- und lustlos agierende Regierung.

In Hamburg hat die CDU in Ansätzen bewiesen, daß sie imstande ist, geschlossen eine aktive Gegenposition zur Regierung aufzubauen. In der Ölkrise zeigte sie sich jedoch wieder als von den Ereignissen überrollt. Mit Recht die Fahne der freien Marktwirtschaft in einem hysterischen Geschrei nach Verstaatlichung und Rationierung hochhaltend, bot die CDU zur gleichen Zeit mit Ausgleichszahlungen an sozial Schwache Alternativen an, die nicht nur schwer realisierbar sind, sondern auch die CDU wieder in einem recht unglücklichen Licht erscheinen lassen. Einfach den Staatssäckel aufzumachen, kann in einer solch schwierigen Situation kaum als überzeugende Politik angesehen werden.

Will die CDU die Gunst des positiven Eindrucks des Hamburger Parteitags nützen, muß sie die dort bewiesene Vernunft in der großen politischen Linie auch im kurzatmigen Geschäft der Tagespolitik beweisen. Dazu hat sie nicht viel Zeit. Denn sonst könnte sie, ehe sie noch in ihrer neuen Oppositionsrolle Fuß gefaßt hat, schon wieder von einer neuen Personaldiskussion — die Frage des Kanzlerkandidaten ist noch immer nicht entschieden — überrollt werden.

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