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Keine Parasiten
Mehr als drei Viertel aller Österreicher sind der Meinung, daß jugoslawische und türkische Arbeitnehmer nur deshalb nach Österreich gekommen wären, um Kinderbeihilfen aus Steuergeldern zu kassieren. Die Gastarbeiter — Parasiten in unserem Sozial-und Wohlfahrtsstaat?
Vergessen ist, daß wir einen Gutteil unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in den Zeiten der Hochkonjunktur auch dem Fleiß der Arbeiter aus Bosnien und Anatolien verdanken.
Vergessen ist auch, daß eben diese Gastarbeiter in den Zeiten der Konjunkturflaute zur beschäftigungspolitischen Manövriermasse degradiert werden (1973 fanden noch an die 230.000 Ausländer in Österreich eine Beschäftigung, 1983 waren es nur noch knapp 145.000).
Aber wie ist das nun mit den Sozialleistungen, die ausländische Arbeitnehmer bei uns in Anspruch nehmen? Eine jüngst veröffentlichte Studie des Kommunalpolitischen Referats der Wiener Arbeiterkammer listet nun detailliert auf, wieviel Steuerleistung und Sozialabgaben Gastarbeiter einerseits erbringen und für welche Sozialleistungen sie tatsächlich anspruchsberechtigt sind.
Die Autoren kommen zu dem Schluß: Weil ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien von vielen durch Steuer- oder Sozial-. Versicherungsbeiträge finanzierten sozialen Leistungen grundsätzlich ausgeschlossen sind, besteht ein deutlicher Einnahmenüberhang zuungunsten der Gastarbeiter.
Schon 1972 schätzte eine Studie des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen, „daß die durch die Ausländerbeschäftigung erzielten zusätzlichen direkten und indirekten Einnahmen des Staates weit über den zusätzlichen Ausgaben für die Ausländer lie-gen...
Die Komplexität und Kompliziertheit unseres Sozialsystems läßt eine genaue Aufrechnung von Beitrags- und Sozialleistungen auf Schilling und Groschen kaum zu. Anhand von zwei Beispielen gelingt dennoch der Nachweis der finanziellen Schlechterstellung der Gastarbeiter.
So wird zum Beispiel der Wohnungsneubau zum überwiegenden Teil aus öffentlichen Wohn-bauförderungsmitteln finanziert. Rund 10,2 Prozent der Lohn-, Einkommens-, Körperschafts- und
Kapitalertragssteuer werden zweckgebunden für die Wohnbaufinanzierung verwendet.
Eine Schätzung für die Jahre zwischen 1973 und 1981 zeigt, daß die Gastarbeiter in dieser Zeit mindestens 800 Mülionen, wahrscheinlich aber an die 1,5 Milliarden Schilling in den Wohnbautopf eingezahlt haben.
Dennoch wird Wohnbauhilfe nur österreichischen Staatsbürgern gewährt. Aber eben ohne diese Wohnbauhilfe können sich Gastarbeiter, die bekanntermaßen zur untersten Einkommensschicht zählen, keine Neubauwohnung leisten. Eine Wohnbeihilfe gibt es für sie auch dann nicht, wenn sie ihre Wohnungen mit Wohnungsverbesserungskre-diten sanieren wollen.
Ähnlich benachteiligt werden jene ausländischen Arbeitnehmer, die um Mietzinsbeihilfe ansuchen. Grundsätzlich haben sie darauf Anspruch. Aber wer um diese Unterstützung einkommt, läuft Gefahr, von der Fremdenpolizei abgeschoben zu werden (FURCHE 21/1984).
Beispiel zwei: Auch die Einnahmen der Arbeitslosenversicherung aus der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer sind beträchtlich höher als die Auszahlung von Arbeitslosengeld an Gastarbeiter. Zwischen 1974 und 1981, so schätzt die Studie der Wiener Arbeiterkammer, ergibt sich ein positiver Saldo von rund 1,3 Milliarden Schilling.
Zum einen Hegt die Ursache in der häufigen Arbeitslosigkeit und in zu kurzen Beschäftigungszeiten der Gastarbeiter, wodurch die Voraussetzungen für den Bezug der Arbeitslosenunterstützung erst gar nicht gegeben sind. Zum anderen sind ausländische Arbeitnehmer grundsätzlich ausgeschlossen. Es wird aber die Notstandsbeihilfe fast zur Gänze aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung bestritten.
Unser Sozialversicherungssystem kennt noch eine ganze Reihe von Benachteiligungen der Gastarbeiter, die zwar voll abgaben-pflichtig, aber nur beschränkt anspruchsberechtigt sind.
So wird in der Regel über alle jene Ausländer ein Aufenthaltsverbot verhängt, die Sozialhilfe beantragen. Eine Ausnahme macht der Gesetzgeber nur für politische Flüchtlinge und sinnigerweise für Staatsbürger aus westlichen Ländern wie etwa der Bundesrepublik Deutschland oder Schweden.
Auch was die Familien- und Geburtenbeihilfe anlangt, dürfen Gastarbeiter erst nach längerem, ständigem Aufenthalt in Österreich mit jenen Leistungen rechnen, die Österreichern zustehen.
Als weitgehend dunkles Feld erweist sich die Pensionsversicherung: Momentan stehen den einlangenden Beiträgen nur geringe Auszahlungen an ausländische Arbeitnehmer gegenüber. So sorgen auch hier die Gastarbeiter dafür, daß der Finanzengpaß nicht noch drückender ist.
Freilich: schon in knapp 15 Jahren werden viel mehr Gastarbeiter als heute um ihre in Österreich wohlerworbene Alterspension einkommen.
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