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Keine Politik auf Kosten der Frauen

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Die christdemokratisch geführte Bonner Bundesregierung hat mit Beginn dieses Jahres ein umfangreiches Förderungspaket für die Familien beschlossen (FURCHE 27/1 986). Welche Motive stehen dahinter?

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Die christdemokratisch geführte Bonner Bundesregierung hat mit Beginn dieses Jahres ein umfangreiches Förderungspaket für die Familien beschlossen (FURCHE 27/1 986). Welche Motive stehen dahinter?

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FURCHE: Sie waren Universitätsprofessorin und auch Vizepräsidentin des Familienbundes der Deutschen Katholiken. Nun stehen Sie, wenn man so will, auf der anderen Seite. Wie haben Sie den Wechsel erlebt?

RITA SUSSMUTH: Der Wechsel in die Poltik ist nicht gleichzusetzen mit einem Wechsel auf die andere Seite. Letzteres trifft nur zu für die Sichtweise, daß nun Forderungen an mich gestellt werden, während ich früher in der Gruppe der für die Familien Fordernden stand.

Was im Bereich des Wechsels auch zu den grundlegenden Erlebnissen gehört, ist, daß man in der Politik immer nach dem Machbaren fragen muß, Kompromisse einzugehen hat.

FURCHE: Sie sind auf der einen Seite Ministerin für alle Familien, Sie sind auf der anderen Seite eine engagierte Katholikin. Entstehen daraus auch Schwierigkeiten, daß manche Leute meinen, Sie müßten eine bestimmte Politik verwirklichen, weil Sie eben Katholi-fciTi sitid?

SUSSMUTH: Die staatliche Politik kann nicht Kirche ersetzen und umgekehrt. Das halte ich zunächst für ganz wichtig. Aber wenn man in die Politik geht als jemand, der aus dieser Lebenswelt kommt, dann bringt man bestimmte Grundwertentscheidungen mit.

Für meine Person gilt das gerade für den Berich der Lebenseinheit Familie, weil ich bei allen Problemen, die Familie heute mit sich bringt, keine Alternative zu ihr sehe. Mein Menschenbild führt dazu, daß ich sage, es ist für jeden Menschen lebenswichtig, für Kinder und Erwachsene, sich auf solche Einheiten beziehen zu können.

Ich glaube, der Konflikt, der heute gegeben ist, ist zutiefst durch den Rollenwandel der Frau bedingt. Meine Grundmaxime

lautet, es darf keine Familienpolitik auf Kosten der Frauen geben, aber die Frauen wollen auch keine Frauenpolitik auf Kosten der Familie. Das heißt, wir müssen diese beiden Interessenbereiche, die in eine schiefe Lage geraten sind, in eine bessere Balance bringen.

Das heißt konkret: Entscheidung für die Familie darf nicht einen langanhaltenden Benachteiligungsprozeß bedeuten, was Ansehen, wirtschaftliche Lage, soziale Sicherheit, Entfaltungs-

Chancen in und außerhalb der Familie betrifft.

Aber es darf auch die Entscheidung für die Erwerbstätigkeit nicht dazu führen, daß Familiengründung quasi ausgeschlossen oder in einem Maß erschwert ist, daß heute immer mehr junge Frauen die Familiengründung hinausschieben oder überhaupt keine Kinder mehr bekommen.

FURCHE: Eine sozialistische Nationalratsabgeordnete hat in Osterreich vor kurzem erklärt, die Einführung des Erziehungsgeldes in der Bundesrepublik Deutschland verschlechtere die Situation von Alleinerziehern. Es sei das Karenzurlaubsgeld als Konsequenz der Einführung des Erziehungsgeldes gekürzt worden.

SUSSMUTH: Diese Unterstellung ist absurd. Das neue Erziehungsgeld bedeutet keine Verschlechterung für die Alleinerziehenden. Denn an die Stelle der damaligen vier Monate ä 750 Mark, das sind 3.000 D-Mark, sind jetzt gerade bei der Gruppe der Alleinerziehenden, von denen fast nie-

mand unter die Einkommensbegrenzung fällt, zehn Monate mit 600 Mark, das sind 6.000 Mark, getreten.

FURCHE: In Österreich ist in zwei Bundesländern die Familie in der Landesverfassung verankert. Auf Bundesebene wurde zwar der Umweltschutz in die Bundesverfassung aufgenommen, die Familie jedoch nicht.

InderBundesrepublikDeutsch-land dagegen sind Ehe und Fami-

lie im Grundgesetz verankert. Glauben Sie, daß dies eine Diskriminierung von anderen Formen des Zusammenlebens bedeutet? Und hat die Verankerung der Familie im Grundgesetz konkrete Auswirkungen auf die Familien-

SUSSMUTH: Der Artikel 6 des Grundgesetzes beinhaltet nicht, daß Nichtverheiratete diskriminiert werden. Die Auslegung dieser Verfassungsbestimmung sagt ausdrücklich, der besondere Schutz ist aufgenommen, damit Ehe und Familie nicht schlechter gestellt werden als andere. Und insofern erwächst daraus für die Politik natürlich immer wieder die Prüfung der Frage, ob das denn nun für die auf Ehe gegründete Familie gut ist.

Wenn ich zum Beispiel eine bestimmte Förderung der Alleinerziehenden vornehme, ist zu prüfen, ob ich dadurch nicht Ehe und Familie schlechterstelle. Ich denke, daß solch ein Gleichheitsgrundsatz für eine Gesellschaft mit einer ganz klaren politischen Willensbildung durchaus wichtig ist.

Es ist meines Erachtens nach wie vor eine zentrale Frage an den Staat als Bewahrer des Individualinteresses und des Gemeinwohlinteresses, welche Formen menschlichen Zusammenlebens dem individuellen Wohl und dem Gemeinwohl entsprechen.

Nehmen Sie etwa die gesamten Fragen, wer eigentlich zuständig ist auch für die Verpflichtungen, die aus Kindern erwachsen. Da kann der Staat nicht so tun, als sei das etwas, was ihn gar nichts angehe. Der Staat muß dann entscheiden, ob er alle mit der Betreuung und Erziehung der nachwachsenden Generation verbundenen Kosten im Konfliktfall allein finanziert.

FURCHE: In verschiedenen europäischen Ländern wird die Befürchtung geäußert, die eigene Bevölkerung sterbe aus. Dürfen

„Wir müssen materielle wie immaterielle Rahmenbedingungen schaffen“

Bevölkerungspolitik und Fqmi-, lienpolitik überhaupt auf eine quantitative Politik abstellen? Welche Möglichkeiten haben Sie, für die immaterielle Familienpolitik als Familienministerin zu wirken?

SUSSMUTH: Die Bundesrepublik stirbt nicht aus, aber sie wird ein kinderärmeres Land.

Das wirft für mich in erster Linie die Fragen auf, wie entwickelt sich eine Kultur, in der immer weniger Kinder geboren werden, in der immer weniger Erwachsene die Rolle von Vater und Mutter im Verhältnis zu Töchtern und Söhnen wahrnehmen, was ja etwas anderes ist, als Frau oder Mann zu sein.

Für die Bildungswelt, für die Wirtschaft, für die soziale Sicherung gibt es sicherlich weitreichende Konsequenzen.

Aber aus meiner Sicht ist nach wie vor entscheidend die Frage, was bedeutet es für unsere Kultur. Und insofern hat die Politik angesichts der Tatsache, daß Kinder erwünscht sind, aber die gewünschten Kinder nicht geboren werden, sowohl materielle wie immaterielle Rahmenbedingungen zu schaffen.

Ich denke, bei den immateriellen Bedingungen sind die Fragen ausschlaggebend, wie eine Gesellschaft mit Kindern lebt, wie diejenigen angesehen werden, die Kinder haben. Elternschaft bedeutet heute mehr denn je auch im Bewußtsein der Beteiligten langfristige Verpflichtung. Und wenn ich langfristige Verpflichtungen eingehe, dann muß ich den Menschen auch Perspektiven mit auf den Weg geben, die sie dazu motivieren.

Das geht nur, wenn Kinder, die in einzelnen Familien aufwachsen, auch außerhalb dieser Familie gewollt, gewünscht und gefördert werden.

Rita Süßmuth ist Bundesministerin für Familie, Jugend und Frauen in der Bundesrepublik Deutschland. Das Gespräch mit ihr führte Heinrich Gotsmy.

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