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Keine „Sachzwänge“

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Daß 1975 eine „Steuerreform“ kommen wird, steht außer Frage. 1975 ist Wahljahr, und eine Steuer-„Senkung“ ist eines jener „Wahlzuckerln“, die dem Wähler huldvoll verabreicht werden.

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Daß 1975 eine „Steuerreform“ kommen wird, steht außer Frage. 1975 ist Wahljahr, und eine Steuer-„Senkung“ ist eines jener „Wahlzuckerln“, die dem Wähler huldvoll verabreicht werden.

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Gerade diese geplante Steuerreform veranlaßt aber Skeptiker zu argwöhnen, es könnten, allen anderslautenden Statements des Bundeskanzlers zum Trotz, noch in diesem Herbst Wahlen abgehalten werden. Eine angekündigte Steuerreform ist nämlich publikumswirksamer als eine realisierte. Wenn davon die Rede ist, daß der Finanzminister 10 Milliarden Schilling „herschenken“ werde, so imponiert das mächtig; wenn aber der Steuerzahler erst einmal merkt, wie wenig dies in seinem konkreten Fall ausmacht, könnte das Gefühl der Dankbarkeit sehr rasch in Verärgerung umschlagen.

Nicht nur die Opposition, sondern auch die Belegschaften in vielen Betrieben fordern aber die Steuerreform schon ab Mitte dieses Jahres, um den wachsenden Steuerdruck etwas zu verringern, der jede Lohnerhöhung zu einem großen Teil zunichte macht. Demgegenüber verschanzt sich der Finanzminister hinter budgetpolitischen Sachzwängen.

Dieses Argument läßt allerdings die ÖVP nicht gelten, sondern verweist darauf, daß die Lohnsteuereinnahmen für dieses Jahr im Budgetvoranschlag viel zu niedrig angesetzt worden seien, nämlich mit einer Steigerungsrate gegenüber dem Vorjahr von 26 Prozent, während der tatsächliche Anstieg 35 bis 38 Prozent betragen dürfte. Wenn also auf der Ausgabenseite ehrlich bilanziert wurde, müßte ein zumindest relativer Einnahmenüberschuß entstehen, aus dem eine Steuersenkung unschwer finanziert werden könnte.

Oppositionssprecher Mock sprach im Parlament von 7 bis 8 Milliarden Schilling Mehreinnahmen allein aus der Lohnsteuer, wovon 3 bis 4 Milliarden inflationsbedinigt seien. Wenigstens einen Teil der Inflationsbeute könne der Fmanzminister herausgeben.

Hannes Androsch scheint aber auf hart zu schalten, und Benya scheint ihm zu sekundieren — neuerdings mit der Formel, daß die Steuersenkung zwar erst anfangs 1975 in Kraft treten, aber schon bis Jahresmitte fixiert sein solle, damit dies die Gewerkschaften bei der diesjährigen Lohnrunde einkalkulieren können. Ein löblicher Vorsatz für gesamtwirtschaftliche Bedachtnahme — sofern es nicht nur bei dem Vorsatz bleibt.

Der Grund für die harte Haltung des Finanzministers wird sich nach Ablauf des Jahres herausstellen: Entweder die Ausgabenansätze im Budgetentwurf waren falsch und zusätzliche Einnahmen zu ihrer Bedek-kung werden dringend gebraucht — oder Androsch verspricht sich von einer Verringerung des präliminier-ten Defizits eine größere Propagandawirkung als von einer Steuersenkung.

Wenn allerdings bei der Steuer-debätte immer von „Verzichten“ des Finanzministers auf Einnahmen die Rede ist, so stellt das eine recht rnas-sive'Ubertreibung dar: Was tatsächlich im besten Fall konzediert werden wird, ist eine teilweise Rücknahme der automatischen, durch kein Gesetz sanktionierten Steuer-erhöhung, die sich aus dem Zusammenwirken von Inflation und Progression ergibt und dazu führt, daß ein Einkommen, gleicher , Kaufkraft heute viel höher besteuert wird als noch vor einem Jahr — von Vergleichen über längere Perioden hinweg ganz zu schweigen.

Aber statt die einzig vernünftige Steuermaßnahme zu treffen — nämlich den „Mittelstandsbauch“ unserer Steuerprogression, der immer mehr auch schon auf den unteren Einkommen lastet, wenigstens etwas abzuschmelzen, — doktert die Regierang an Plänen zu gezielten Erhöhungen von bestimmten Steuerfreibeträgen und an der Abschaffung der Steuergruppe A herum, offenbar in der Hoffnung, auf diese Weise möglichst viel Effekt zu machen und gleichzeitig möglichst billig herauszusteigen.

Ein Argument des Finanzministers gegen jede Steuer-„Senkung“ ist, daß diese angeblich inflationistisch wirke: Durch eine Steuersenkung werde nur das Etatdefizit bei Bund und Gebietskörperschaften vergrößert, was allein schon inflationistisch wirken müsse — eine Tendenz, die infolge der dadurch bewirkten Realeinkommenserhöhung noch intensiviert werde. Erstaunlicherweise findet diese Argumentation in weiten Kreisen — auch solchen, die der Re-gierungspolitik kritisch gegenüberstehen — bemerkenswertes Verständnis. Ganz übersehen wird, daß hier budgetpolitische Falschmünzerei betrieben, der Sinn und Zweck einer Steuersenkung pervertiert wird.

Eine Steuersenkung, die nur Budgetdefizite vergrößert, ist allerdings eine höchst dubiose Angelegenheit, mehr noch, sie ist sinnlos. Neben dem sozialen Zweck der partiellen Teuerungsabgeltung hat ja die Steuersenkung den Zweck, der öffentlichen Hand größere Sparsamkeit zu oktroyieren. Einer Steuersenkung muß selbstverständlich eine Reduktion der Ausgaben bei Staat, Ländem und Gemeinden gegenüberstehen. Geschieht dies nicht, sondern werden bloß noch mehr Banknoten gedruckt, so ist das Ganze nicht weit von dem entfernt, was man gemeinhin Volksbetrug nennt.

Der entscheidende Fehler der Steuerpolitik — der zugleich auch einer der virulentesten Inflationsfaktoren ist — besteht darin, daß die Ausgaben als unveränderlich angesehen werden und sich die Einnahmen ihnen anpassen müssen. Ist dies politisch nicht durchsetzbar, so nimmt man die Zuflucht zu immer höheren Budgetdefiziten. Richtig wäre hingegen der umgekehrte Vorgang: von den zu erwartenden Einnahmen auszugehen und die Ausgaben denselben anzupassen. Entschlösse sich die Regierung endlich dazu, dann könnte die angeblich so unüberwindliche Inflation sehr schnell wenigstens gebremst werden.

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