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Keine Schonfrist

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Die Schonfrist ist früher abgelaufen als die Propheten erwartet hatten. Bis 1973 — hatten sie berechnet — hätten Österreichs Hochschulen noch Zeit, sich auf den vermehrten Zustrom zu rüsten, den die reformierte Mittelschule, die verstärkte Bildungswerbung mit sich bringen würde. Die Wirklichkeit hat alle Berechnungen über den Haufen geworfen.

Noch im Wintersemester 1969/70 hatten rund 8800 junge Menschen ihr Studium neu aufgenommen — in diesem Winter sind es gut 11.600, soweit die ersten, noch nicht kompletten Zahlen erkennen lassen. Als 1964/65 für den OECD-Bericht die voraussichtlichen Trends berechnet wurden, hatte man für 1970 knappe 9000, für 1975 erst 11.100 geschätzt. Heute schon sind diese Werte übertroffen. Die intensiven Diskussionen über den zu erwartenden Akademikerbedarf der Wirtschaft in den achtziger Jahren, über „lebenslanges Lernen“ und Hochschulreform haben offenbar bereits dazu beigetragen, daß ein größerer Prozentsatz als bisher an den jeweiligen Geburtsjahrgängen ein Hochschulstudium anstrebt.

Was aber ist aus diesen Zahlen zu folgern?

Zunächst, daß die Prognose richtig war, die sagte, die neugegründeten Hochschulen würden in ihrem Einzugsbereich Menschen anziehen, die ohne sie nicht zum Studium gelangt wären. Salzburg und Linz haben Zuwachsraten von guten 30 Prozent zu verzeichnen. Neue Studienmöglichkeiten wirken attraktiv. Dasselbe gilt auch für verschiedene neue Studienrichtungen in den Sozial- wissenschaften wie im technischen Bereich — ohne all dies einkalkulieren zu können, mußten die Ausgangsberechnungen hinter der tatsächlichen Entwicklung Zurückbleiben.

Dann, daß es nicht genügt, allgemein von einem steigenden Bedarf an Akademikern zu sprechen, allgemein für eine höhere Bildung zu werben. Daß der Hinweis auf Engpässe — damit auf verbesserte Aussichten — wirkt, zeigen ansteigende Zahlen bei den Elektrotechnikern und Maschinenbauern. Daneben aber verstärkt sich nach wie vor der Trend zur Psychologie, zur Soziolo gie, zur Politikwissenschaft, die eben gerade modern sind, obwohl für sie die Berufschancen weitgehend ungeklärt sind.

Gleichzeitig aber gehen die Berichte aus den USA ein, die von einem gigantischen Katzenjammer fehlgegangener Entwicklungen erzählen, von einer Götterdämmerung jener Modejobs, die in den vergangenen Jahren eine kometenhafte Blitz- karriere erlebt haben. Sie zeigen aber auch deutlich, daß es gut wäre, das „Vorbild“ der Großen mitunter mit einer gewissen Skepsis daraufhin zu überprüfen, wie weit es für die eigenen Verhältnisse übernommen werden kann.

Aus beiden Beobachtungen ergeben sich zwingende Forderungen: Zunächst muß mit allen Mitteln moderner Sozialwissenschaften versucht werden, festzustellen, wie sich der Bedarf von Wirtschaft und Gesellschaft an Fach- und Führungskräften in den verschiedenen Sektoren für die kommenden zehn bis zwanzig Jahre darstellen wird — mit der Bereitschaft, diese Prognosen kurzfristig jeweils den eingetretenen Veränderungen anzupassen.

Dann muß dafür gesorgt werden, daß der vermehrte Bildungswille der jungen Menschen nicht schließlich am Ende einer 16- bis 17jährigen Ausbildungszeit an einer Mauer endet, nachdem durch die Schulreform die Sackgassen in früheren Lebensaltern beseitigt worden sind. Das bedeutet wiederum eine intensive Bildungs- und Ausbildungsberatung, die ihre Schwerpunkte dort setzt, wo eben der Bedarf fest- gestellt worden ist. Das Beispiel der Pädagogischen Akademien beweist, daß akute Engpässe überwunden werden können, wenn mit einer gezielten Werbung attraktivere Bedingungen verbunden werden. Der Lehrermangel, der noch vor wenigen Jahren jede schulische Verbesserung in Frage zu stellen schien, beginnt bereits — wenigstens für die Grundschulen — seine Schrecken zu verlieren.

Nicht erst 1973

Ferner muß dafür gesorgt werden, daß ein breites Angebot an berufsgerichteten Ausbildungsgängen zur Verfügung steht, um — wieder entsprechend dem festgestellten Be darf — die Ströme schon in einem früheren Zeitpunkt zu kanalisieren, ohne den „Fachidioten“ zu produzieren. (Die „Kanalisierung“ braucht deswegen noch nicht in kommunistische Zwangsmaßnahmen zu münden.)

Neben der vielleicht zu reformierenden Berufsschule, neben den zum Facharbeiter führenden Fachschulen, den die gehobenen Fachkräfte ausbildenden höheren Lehranstalten aber muß auch der „postsekundäre“, der auf die Matura aufbauende Bereich zwei- bis dreijähriger Studiengänge ausgebaut werden, um der Ausbildung mittlerer Führungskräfte mehr Möglichkeiten als bisher zu bieten.

Alle diese Maßnahmen sollen jenen jungen Menschen helfen, die in diesem Bereich eine ihnen zusagende Ausbildung und spätere Berufstätigkeit sehen — ohne diese Möglichkeiten aber an die Universität weiterwandem, deren Schwierigkeiten noch vergrößern und schließlich scheitern.

Diese Maßnahmen entheben abei nicht der Notwendigkeit, sofort — und nicht erst mit Blickpunkt 1971 oder später — den Ausbau dei Hochschulen in Angriff zu nehmen Sie sind schon heute kaum in dei Lage, ihren Aufgaben gerecht zt werden. Die Studienreform legi ihnen neue Pflichten auf — auch eine Bändigung der heranrollender Studentenwelle wird diese Pflichter nicht verkleinern.

Und ganz zuletzt — vielleicht aber am wichtigsten: Ganz egal, welche gesellschaftspolitischen Zielsetzungen man der Schule und der Universität geben will — nur eine auf Hochtouren produzierende Wirtschaft wird in den kommenden Jahrzehnten die gigantischen Mittel heranschaffen können, die gerade im Bildungssektor gebraucht werden. Das kann sie aber nur, wenn sie genügend gut ausgebildete Fachkräfte für alle Ebenen des Produktionsvorganges erhält, Menschen, die ihr Fach beherrschen und die gelernt ‘ haben, sich allen Entwicklungen unserer Zeit anzupassen. Das sollte man auch in der Ideologiediskussion nicht aus dem Auge verlieren.

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