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Keine „Schrauben locker44

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„Man hat die Kriege noch nicht von der Erde vertilgt. Es gibt Leute, die interessiert daran sind, Waffen zu verkaufen, und sie wollen jetzt die Spannungen nach Lateinamerika verlegen, um es zu balkanisieren“, erklärte der peruanische Kriegsminister General Edgardo Mercado Jarrin. Gerüchte über Kriegsgefahren geistern durch den Halbkontinent, wobei man nicht weiß, wieweit sie von fanatischen Nationalisten, sensationshungrigen Journalisten oder von allzu geschäftstüchtigen Waffenhändlern lanciert werden.

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„Man hat die Kriege noch nicht von der Erde vertilgt. Es gibt Leute, die interessiert daran sind, Waffen zu verkaufen, und sie wollen jetzt die Spannungen nach Lateinamerika verlegen, um es zu balkanisieren“, erklärte der peruanische Kriegsminister General Edgardo Mercado Jarrin. Gerüchte über Kriegsgefahren geistern durch den Halbkontinent, wobei man nicht weiß, wieweit sie von fanatischen Nationalisten, sensationshungrigen Journalisten oder von allzu geschäftstüchtigen Waffenhändlern lanciert werden.

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In Venezuela behauptet die Zeitung „El Mundo“, ihr liege ein Plan des brasilianischen Generalstabs zum Einfall in die Nachbarländer vor, „um sie vor der kommunistischen Gefahr zu retten.“ Umgekehrt erklärte der kolumbianische Ex-General und Ex-Präsidentschaftskandidat Ruiz Novoa bei Interviews mit der Presse und im Fernsehen, Venezuela bereite sich auf den Krieg mit Kolumbien vor. Schon im Vorjahr hatte ein führender venezolanischer Politiker aus dem Amazonasgebiet, Manuel Henriquez, behauptet, daß Brasilianer und Kolumbianer venezolanische Inseln im Amazonas besetzt hätten, da die ganze Zone schutzlos sei. Diese Andeutungen fielen in Bolivien auf fruchtbaren Boden. Eine Zeitung in La Paz fragte, ob nicht Bolivien zuerst angegriffen werde. In Bolivien kämpfte eine Gruppe von Abweichlern der Regierungs-Koalition — „Falange Socialista“ und „Movimiento Nacionalista Revolucio-närio“ — gegen die Verträge über die Lieferung von Naturgas an Brasilien mit der Behauptung, daß in der Grenzzone von Santa Cruz Brasilianer nach Bolivien dadurch eingeschleust würden, daß brasilianische Banken bolivianischen Grenzbewohnern Hypothekarkredite“ zu unerfüllbaren Bedingungen gewährten, um sie dann bei Fälligkeit zu verjagen. Tatsächlich werden Brasilianer dadurch in die Grenzzonen gezogen, da das Land in den Nachbarstaaten viel billiger ist. So sind nach offiziellen Angaben in fünf Jahren 56.000 Brasilianer in das paraguayische Grenzgebiet gelangt. Einigen 24.000 von ihnen hat die paraguayische Regierung eine Frist zur Registrierung gesetzt, bei deren Nichterfüllung sie ausgewiesen werden sollen, zumal die Kriminalität durch die illegale Wanderung außerordentlich zugenommen hat.

Bei diesen Grenawanderungen, die zwischen fast allen lateinamerikanischen Staaten zu beobachten sind handelt es sich keineswegs um aus politischen Gründen vom Staat „dirigierte Invasionen“, sondern um spontane Ortswechsel aus wirtschaftlichen Motiven. Im übrigen erklärt man in Brasilia, daß der von der venezolanischen Presse aufgebauschte „Mobilisierunigsplan“ der in den Generalstäben der ganzen Welt üblichen Methode entspricht, aus taktischen Gründen für Manöver theoretisch anzunehmen, daß „ein rotes Land“ in „ein gelbes Land“ einfällt.

Einen anderen Hintergrund haben die Gerüchte über die angebliche Kriegsgefahr zwischen Chile, Peru und Bolivien. Der bolivianische Präsident General Hugo Banzer will seine innerpolitisch schwache Situation dadurch aufwerten, daß er eine nationale Bewegung zur Wiedererlangung des im Salpeter-Krieg von 1879 verlorenen Zuganges zum Pazifik organisiert.

Als in Chile der linke Präsident Salvador Allende und in Bolivien der linke Regierungs-Chef General Juan Torres an der Macht waren, gab es Verhandlungen über die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen beiden Ländern, ohne daß bekannt wurde, wieweit bei dieser Einigung der Rückweg zum Pazifik erörtert oder gar gesichert wurde. Inzwischen sind in Chile und Bolivien rechte Militärregierungen an die Macht gelangt, deren Präsidenten, General Augusto Pinochet und General Hugo Banzer, bei der kürzlichen Regierungsübernahme durch den neuen brasilianischen Präsidenten, General Ernesto Geisel, in Brasilia zusammentrafen. Inwieweit dabei der Ausweg zum Meer besprochen wurde, wird von beiden Teilen verschieden dargestellt. Man sagt, daß Brasilien an seiner Herstellung direkt interessiert sei, weil es via Bolivien über den jetzt chilenischen Hafen Arica einen bequemen Ausfuhrweg der brasilianischen Produktion nach Ostasien anstrebt. Arica liegt aber in der Zone, die den Peruanern im Salpeter-Krieg abgenommen wurde. Zwischen Peru und Bolivien wurde 1929 ein Vertrag geschlossen, demzufolge ohne Zustimmung Limas in dieser Zone keine territorialen Veränderungen vorgenommen werden dürften. Der peruanische Präsident, General Juan Velasco Alvarado, erklärte zu der Möglichkeit, daß Bolivien der Weg zum Meer durch Gebiete eröffnet werden könnte, die früher Peru gehörten, daß kein Peruaner, gleichgültig welcher Richtung, dem zustimmen könne. Eine Bombe, die in das chilenische Konsulat in der südperuanischen Stadt Arequipa geworfen wurde, kennzeichnet das erregte Klima. Als die chilenische Presse sehr bitter auf die Käufe sowjetischer Tanks durch Peru reagierte, den Abrüstungsvorschlag des peruanischen Präsidenten „scheinheüig“ nannte und als schließlich das peruanische Panzerregiment nach Süden verlegt wurde, nahmen die Spannungen zu. Doch sagte Präsident Velasco Alvarado: „Ich glaube mit Sicherheit, daß Chile an einem Krieg ebensowenig interessiert ist wie wir. Wir müßten verrückt sein, haben aber keine Schrauben lok-ker... Freilich muß man für alle Fälle gerüstet sein.“

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