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Keine Sonnenflecken - strenger Winter

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Seit Wissenschafter in mühseliger Sisyphusarbeit Jahresringe von jahrtausendealten Bäumen nachzählen, zeigt sich immer deutlicher, was viele Geschichtsforscher nicht gerne hören: die Altersbestimmung mit der Radiokarbonmethode bringt falsche Werte. Radiokarbon-Historiker messen die radioaktive Strahlung von organischem Material auf den Bauwerken, deren Alter sie bestimmen wollen. Das radioaktive Kohlenstoffisotop C-14 stammt aus dem Kohlendioxid der Luft. Solange eine Pflanze lebt, wird dieser Kohlenstoff dauernd ausgetauscht. Erst nach dem Absterben beginnt die radioaktive Strahlung gesetzmäßig abzufallen: Nach 5570 Jahren ist genau die Hälfte der ursprünglichen Aktivität erreicht.

Zu der Zeit, als die ersten Pharaonen ihre Sklaven zum Bau von Pyramiden in die Wüste schickten, glaubte man das Abendland im Dämmerlicht primitiver Kulturen. Die Baumring- Chronologie zeigte jedoch, daß die berühmten bulgarischen Goldkunstwerke aus Varna um nahezu 1000 Jahre älter sind, als auf Grund der Datierung bisher angenommen. Schon um 4500 vor Christus gab es im Südosten Europas eine kupferverarbeitende Industrie von hohem Niveau. Für den Urgeschichtsforscher Prof. Clemens Eibner ist die C-14-Datierung daher eigentlich nur mehr ein Notanker: „Um ihre Gültigkeit wird zur Zeit heftig diskutiert“.

Die C-14-Methode geht von der Annahme aus, daß die Häufigkeit des radioaktiven Isotops C-14 in der Atmosphäre über lange Zeiträume hinweg konstant geblieben ist. Zur Altersbestimmung benötigt man zwei Werte: Die C-14-Aktivität der Probe heute und die C-14-Aktivität der Atmosphäre zur Zeit des Absterbens der organischen Substanz in der Probe. Die Annahme von der Konstanz ist jedoch falsch. Die C-14-Konzentration schwankt beträchtlich. Erich von Däniken würde vielleicht vermuten, daß die Bewohner von Atlantis eine Atombombe gezündet hätten. In Wirklichkeit wird die C- 14-Konzentration durch Schwankungen des Erdmagnetfelds und der kosmischen Strahlung beeinflußt.

C-14 entsteht durch kosmische Strahlung aus dem C-12-Isotop. Wenn die Sonne „aktiv“ ist, schirmt ihr Magnetfeld die kosmische Strahlung ab, und es wird weniger C-14 gebildet. Inaktivität der Sonne hat ein Ansteigen des C-14-Spiegels zur Folge. Die Aktivität der Sonne wiederum variiert in einem elfjährigen Zyklus, der durch die Zahl der Sonneneruptionen (Sonnenflecken) zu verfolgen ist. Die barocke Sonne rotierte anders.

Darüber hinaus haben wir durch Aufzeichnungen des Bierbrauers Johannes Hoewelke aus Danzig die Gewißheit erlangt, daß dem elfjährigen Zyklus ein weit länger dauernder überlagert ist. Hoewelke zeichnete im 17. Jahrhundert Tag für Tag die Zahl der Sonnenflecken in ihrer Wanderung über die Sonnenscheibe mit wissenschaftlicher Akribie auf. Seine Aufzeichnungen gerieten in Vergessenheit, bis der amerikanische Wissenschafter John A. Eddy sie vor kurzem wiederentdeckte: Die Daten ergaben, daß die barocke Sonne anders rotiert hat als heute. Darüber hinaus zeigte sich ein Zusammenhang zwischen den Sonnenflecken und dem Klima auf der Erde. Hoewelke konnte bis 1644 Sonnenflecken beobachten. Von da an sa hen für 70 Jahre weder er noch seine astronomischen Nachfolger Sonnenflecken.

Unterdessen war den Erdbewohnern ganz ordentlich kalt. Die fleckenlose Zeit, nach ihrem Entdecker Maunder-Minimum genannt, fällt ziemlich genau mit der Periode kühler Sommer und strenger Winter zusammen,. die man später kleine Eiszeit nannte (auf diesen Zusammenhängen beruhen die Voraussagen mancher Klimaforscher, die wenn so wie seit einigen Jahren die Sonnenflecken entgegen ihrem Zyklus ausbleiben, gleich eine neue Eiszeit kommen sehen). Als der Holländer Hessel de Vries von der abnormen Sonnenaktivität im 17. Jahrhundert hörte, erkannte er: Beim Vermessen der Jahresringe alter Bäume hatte er festgestellt, daß der Gehalt der Baumringe an C-14 in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bedeutend höher war als sonst.

Hiermit ist der Kreis geschlossen: Die in tausendjährigem Rhythmus schwankende Aktivität der Sonne verändert den C-14-Spiegel in der Atmosphäre. Diese Variation führt zu ungenauen Radiokarbonwerten. Durch die Bestimmung des C-14-Gehalts in Jahresringen von Methusalembäumen ist es nun möglich, die C-14-Methode zu korrigieren.

Das Ganze ist ein Schulbeispiel vom Nutzen interdisziplinärer Forschung: Die Zusammenarbeit der Baumring- und Sonnenfleckenforscher erbrachte revolutionierende Erkenntnisse für Historiker, Klimaforscher und Astrophysiker.

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