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„Keine sozialistische Kulturpolitik“

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Bereits im Frühjahr sprach man recht offen über eine Gratz-Nach- folge im Unterrichtsministerium. Allerdings war der Favorit damals der Wiener Stadtschulratspräsident Schnell. Jetzt, da die Würfel bei der Neubildung des Kabinetts Kreisky II gefallen sind, kann man zwar von keiner Sensation, wohl aber von einer Überraschung sprechen: Mit Sinowatz übernimmt ein Mann das Unterrichtsressort, der für die Burgenländer ein Begriff ist, an den man innerhalb der SPÖ denkt, der aber der breiten Öffentlichkeit vollkommen unbekannt ist.

Dr. Fred Sinowatz, bisher Kulturlandesrat der burgenländischen Landesregierung, ist eher ein Pitter- mann-Typ. Als ein solcher wirkt er auch. Und zweifelsohne hat er in seiner Art mit dem scheidenden sozialistischen Klubobmann vieles gemeinsam: er ist sehr wendig, kompromißbereit, für den Beobachter am Femsehschirm wirkt er außerdem nicht gerade ansprechend.

Der designierte Unterrichtsminister ist heute 42 Jahre alt — ebenso wie sein Amtsvorgänger Gratz — and stammt aus Neufeld an der Leitha. Dieses Gebiet scheint für Politiker ein besonders fruchtbarer Boden zu sein: Altlandeshauptmann

Dr. Leser und Hans Bögl hatten ihre Wiege auch in dieser Gegend stehen.

Selbst seine Gegner bescheinigen ihm, daß er ein gemäßigter Sozialist ist, der in kulturellen Fragen fundiertes Sachwissen besitzt. Seinen guten Verbindungen zu Künstlern ist es zuzuschreiben, daß aus dem kulturell farblosen Burgenland ein beachteter Kulturumschlagplatz geworden ist: das Grillparzer-Forum, die Burgspiele Forchtenstein, die Seespiele Mörbisch und das Künstlersymposion in St. Margarethen sind dafür eine stolze Leistungsbilanz.

Freilich wird sich Sinowatz erst richtig an das Wiener Parkett gewöhnen müssen: Er gilt als „nicht sehr gesellig“, da und dort wird ihm auch vorgeworfen, ein Einzelgänger zu sein. In diesem Punkt steht er im krassen Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Gratz. Vielleicht ist aber für sein zeitweiliges Abkapseln auch der Umstand mitschuld, daß es um seine Gesundheit nicht immer gut bestellt ist, ja man kann sogar sagen, er besitzt eine etwas kränkliche Natur.

An und für sich hat keiner dem neuen Mann etwas vorzuwerfen. Im Gegenteil: Seit er 1961 — also vor zehn Jahren — Landesparteisekretär wurde, geht es mit den burgenländischen Sozialisten steil bergauf. Freilich wurde er deshalb auch angefeindet. So bestand ein latenter Konflikt zwischen Sinowatz und dem „Chef“, Kery. Kenner der burgenländischen Szenerie wissen zu berichten, daß der eigentliche Kopf der burgenländischen Sozialisten Sinowatz sei, Landeshauptmann Kery jedoch nur das Aushängeschild. Die beiden Akademiker an der Spitze unterschieden sich schon in der Vergangenheit durch ihr Gehaben: Sinowatz repräsentiert den „proletarischen“, Kery den „intellektuellen Typ“. Daß Kerys Kulturlandesrat nunmehr von der Landespolitik Abschied nimmt, dürfte dem Landeshauptmann nicht gerade unangenehm sein.

Die Aufnahme von Sinowatz in das Kabinett Kreisky II scheint allerdings noch andere Hintergründe zu haben als jene der offiziellen Erklärung, Sinowatz sei ein „guter Mann“. Vor geraumer Zeit hat sich der Neominister in einem Beitrag im sozialistischen Sprachrohr „Zukunft“ mit der Parteiorganisation auseinandergesetzt und dabei heftige Kritik an der Wiener SPÖ deponiert. Benya urd Sinowatz können somit auch als Bestätigung dafür genommen werden, daß die Wiener Rathaussozialisten bei Kreisky den Kürzeren gezogen haben.

Was nun Sinowatz in seiner neuen Funktion als Unterrichtsminister betrifft, so tappt man selbst noch in Fachkreisen im Dunkeln. Es werden keinesfalls seine Qualifikationen auf kulturellem Gebiet in Abrede gestellt, doch dürfte er im Bereich der Schul- und Bildungsreform nicht ganz heimisch sein. Auch wenn Kreisky meint, Gratz und Sinowatz „liegen auf derselben Wellenlänge“, so betrifft das wahrscheinlich nur die grundsätzliche Einstellung. „Es gibt keine sozialistische Kulturpolitik, sondern nur eine sozialdemokratische“, gab zwar Sinowatz nach seiner Berufung zu verstehen — und liegt damit sicherlich auf Gratz- Kurs —, doch unterließ er es vorsichtshalber, sich zu präzisieren. Immerhin ist aber seine Auffassung bekannt, daß es durch „sozialdemokratische“ Politik „in absehbarer

Zeit auch zu gesellschaftspolitischen Veränderungen kommen“ wird.

Eines steht jedenfalls schon heute fest: Die Opposition wird sich an dem „Mann aus dem Burgenland“ wahrscheinlich oft die spitzen politischen Zähne ausbeißen. Sinowatz ist bekannt dafür, daß er in seinen Äußerungen sehr vorsichtig ist — damit aber auch wenig Angriffspunkte liefert. Für die Schul- und Bildungsreform zeigt sich in Sinowatz aber vielleicht sogar ein Silberstreif am Horizont. Selbst wenn er mit den Problemen nicht ganz so vertraut ist, wie es für eine kontinuierliche Politik auf diesem Gebiet notwendig erschiene, hat er den großen Vorteil daß er als kompromißbereit gilt. Irgendwo steckt in ihm eine Kämpfernatur, mit der er Schwierigkeiten zu überwinden versucht: Nicht nur mit seiner Gesundheit, sondern auch in der Politik.

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