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Digital In Arbeit

Keine Steuerung von „außen“!

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Mitbestimmung vollzieht sich im Bereich der Wirtschaft auf verschiedenen Ebenen: In Österreich steht heute eindeutig die gesamtwirtschaftliche Mitbestimmung in Form der Sozialpartnerschaft im Vordergrund. Im Rahmen dieser Form einer Mitbestimmung steht den Arbeitnehmerinteressenvertretungen heute ein breites Spektrum von Mitgestaltungsmöglichkeiten in allen Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik offen. Es gibt kaum noch ein Problem von aktueller oder grundsätzlicher Bedeutung in diesem Bereich, bei dem die Gewerkschaften und Arbeiterkammern diese ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten nicht nutzen. Auf der Ebene des Betriebes stehen dagegen die sozialen und personalen Möglichkeiten der Mitbestimmung im Vordergrund.

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Mitbestimmung vollzieht sich im Bereich der Wirtschaft auf verschiedenen Ebenen: In Österreich steht heute eindeutig die gesamtwirtschaftliche Mitbestimmung in Form der Sozialpartnerschaft im Vordergrund. Im Rahmen dieser Form einer Mitbestimmung steht den Arbeitnehmerinteressenvertretungen heute ein breites Spektrum von Mitgestaltungsmöglichkeiten in allen Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik offen. Es gibt kaum noch ein Problem von aktueller oder grundsätzlicher Bedeutung in diesem Bereich, bei dem die Gewerkschaften und Arbeiterkammern diese ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten nicht nutzen. Auf der Ebene des Betriebes stehen dagegen die sozialen und personalen Möglichkeiten der Mitbestimmung im Vordergrund.

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Auch diesen kommt entscheidende volkswirtschaftliche Bedeutung zu — neben ihrem eigentlichen Zweck einer Mitsprache in jenen Fragen, die den Arbeitnehmer zunächst berühren; volkswirtschaftlich gesehen, liegt der Vorteil eines weiten Mitbestimmungsrechtes in personalen und sozialen Fragen, wie es das österreichische Sozialrecht kennt, in der Schaffung jener Leistungsanreize, die nur in einem Betriebsklima gedeihen können, das Mitverantwortung und Mitsprachemöglichkeiten kennt. Im wirtschaftlichen Bereich im engeren Sinn, in jenen Fragen, die in den traditionellen Bereich der Entscheidungskompetenz der Unternehmensführung fallen, wie Investitions- und Finanzierungsfragen, ist das Interesse der Arbeitnehmer im Betrieb zunächst ein mittelbares: Sie sind daran interessiert, daß ein optimales Wachstum des Unternehmens die Verdienst- und Entwicklungsmöglichkeiten aller Arbeitnehmer verbessert. Dagegen sind die technischorganisatorischen Fragen in diesem Entscheidungsbereich ungleich weniger Gegenstand des Interesses der meisten Arbeitnehmer.

Eine Beurteilung der betrieblichen Mitbestimmung aus der Sicht der Entscheidungskompetenzen er-

scheint vor allem deshalb sinnvoll, weil immer mehr deutlich wird, daß mehr Mitbestimmung nicht durch nur formale Demokratisierung aller denkbaren Entscheidungspro-zesse erreicht werden kann, sondern nur durch sinnvolle Formen einer Einflußnahme auf Unternehmungsentscheidungen, die mit der realen wirtschaftlichen Entwicklung im Einklang stehen. Nun verlangt diese wirtschaftliche Wirklichkeit, daß viele Unternehmerentscheidungen rasch gefällt werden können, aber auch, daß andere Entscheidungen lange vorbereitet werden müssen, umso größere Anforderungen aber an Sachkenntnis und Weitblick der Unternehmensleitungen stellen. Derartige Entscheidungen entziehen sich weitgehend jedem „Demokratisierungsversuch“. Das Ausmaß der Demokratisierung von Unternehmensentscheidungen richtet sich letztlich nach der Zielsetzung, die der betrieblichen Mitbestimmung überhaupt zugrunde liegt: Sie soll nicht nur dem einzelnen Arbeitnehmer mehr unmittelbar realisierbare Mitwirkungsmöglichkeiten im Betrieb sichern, sondern auch bessere Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten; gerade diese aber setzen optimalen betrieblichen Erfolg voraus, der wiederum sehr weitgehend durch Unternehmensleitungen garantiert sein muß, die entscheidungsfreudig und reaktionsfähig sind.

Zusätzliche Mitsprachemöglichkeiten im wirtschaftlichen Bereich liegen vor allem dort, wo es um langfristige Weichenstellungen geht; hier geht es vor allem darum, die Meinung der Belegschaft bei Unternehmensentscheidungen zu berücksichtigen. Immer mehr werden Meinungsbefragungen üblich, die es den Unternehmensleitungen ermöglichen, über die weitgehend so differenzierten Haltungen und Einstellungen der Belegschaft informiert zu werden und so zusätzliche Entscheidungshilfen zu erlangen. Hier sind neue Möglichkeiten einer Einflußnahme der Belegschaft auf die Unternehmensleitungen gegeben,

Es steht auch außer Zweifel, daß sich im betrieblichen Entscheidungs-

prozeß immer neue Dezentralisierungsmöglichkeiten ergeben, die auch wirtschaftlich gesehen, sinnvoll sind. Die zunehmende Automatisierung des Produktionsprozesses schafft Bereiche hoher betrieblicher Verantwortung; die damit verbundenen Entscheidungen und Kontrollen reichen weithin über die technisch-organisatorischen Fragen hinaus. Dazu kommt, daß Betriebsbereiche, die hochspezialisiertes Können erfordern, wie die Forschung, sehr weitreichende Möglichkeiten zu erhöhten Formen einer Einflußnahme auf die wirtschaftliche Entwicklung ganzer Konzerne einräumen, die auch rechtlich fixierbar sind. Die komplizierten Unternehmensagglomerationen unserer und noch mehr der kommenden Zeit brauchen breite Gruppen hochqualifizierter Arbeitnehmer, deren Mitsprachemöglichkeiten größer werden. Zum Teil lassen sich darüber hinaus Informatlons- und Mitsprachemöglichkeiten finden, die zu echter Mitsprache in wichtigen Teilbereichen über den personalen und sozialen Bereich führen können. Die Entwicklung bleibt aber nach Produktionsbereichen und Unternehmen sehr verschieden. Dies gibt gesetzlichen Regelungen wenig Chancen, die derartige Differenzierungen übersehen wollen. Betriebliche Mitbestimmung, wenn sie in wirtschaftliche Entscheidungsbereiche eingreift, setzt eine Veränderung im Bereich komplizierter Entschei-dungsprozesse voraus; sie kann nur erreicht werden, wenn die naturgemäß so differenzierte Entwicklung in der heterogenen Wirtschaft dabei berücksichtigt wird.

Volkswirtschaftlich gesehen, Ist dabei noch eines von größter Bedeutung: Die für die Entwicklung eines Unternehmens relevanten Entscheidungen müssen innerhalb dieses Unternehmens erfolgen; eine Mitwirkung von Organisationen außerhalb des Betriebes stört diese Entscheidungsbildung; gerade diese natürlichen Grenzen übersieht der Entwurf eines Arbeitsverfassungsgesetzes, wenn er den Arbeitnehmerverbänden weitreichende Mitwirkungsmöglichkeiten „von außen her“ einräumt.

Man kann heute nicht übersehen, daß die Entscheidungen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene und jene im Betrieb nicht nur verschiedene Entscheidungsträger erfordern, sondern auch nach ganz anderen Gesichtspunkten erfolgen. Die Arbeitnehmerverbände wie Gewerkschaften und Arbeiterkammern, sind ihrer Grundaufgabe nach mehr auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen hin eingestellt; sie können daher nicht die Sonderinteressen der einzelnen Unternehmen und Betriebe zugleich vertreten. Darin liegen sehr deutliche Grenzen für Einflußnahmen in das betriebliche Steuerungssystem; diese Einwirkung kann nur indirekt erfolgen, etwa durch Ausbildung der Betriebsräte oder im Rahmen der Möglichkeiten der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Betriebsfremde Eingriffe stören den für die Arbeitnehmer im Betrieb so wichtigen EntScheidungsprozeß im Unternehmen, von dem soviel für jeden einzelnen Arbeitnehmer abhängt.

Jede Volkswirtschaft braucht bis zu einem gewissen Grad jenen „Struktureffekt“, der in Marktwirtschaften immer wieder zu gewissen Änderungen in der vorhandenen Wirtschaftsstruktur führt. Die So-

zialgesetzgebung kann die sozialen Nachteile dieses Struktureffektes bei Schließungen einzelner Betriebe mildern und soll dies besonders in jenen Regionen tun, wo dadurch echte Schwierigkeiten für das Finden neuer Arbeitsplätze entstehen. Eine Sicherung einer größtmöglichen Produktivität der gesamten Volkswirtschaft ist aber ohne diesen Strukturbereinigungsprozeß nicht

möglich; eine Ausschaltung wäre letztlich gegen die Interessen aller Arbeitnehmer gerichtet. So zeigt sich, daß auch die Steuerungsmöglichkeiten, die sich das Arbeitsverfassungsgesetz nach dem vorliegenden Entwurf durch Wirtschaftskommissionen vorstellt, in der Praxis begrenzt sind. Es wird nie gelingen, durch derartige Eingriffe schließungsreife Unternehmen auf die Dauer erhalten zu können.

Entscheidend für die Diskussion um den Entwurf eines Arbeitsverfassungsgesetzes ist die Einsicht, daß auch die betriebliche Mitbestimmung, genauso wie die überbetriebliche, in Form der Sozialpartnerschaft einen allmählichen Entwicklungsprozeß braucht, daß ihren Entwicklungsmöglichkeiten aber letzt-

lich gewisse Grenzen gesetzt sind. Diese Begrenzungen bei einem Gesetzentwurf zu übersehen, der für die ganze Wirtschaft gedacht ist, gefährdet letztlich auch jene realen Möglichkeiten einer wirtschaftlichen Mitbestimmung im Betrieb, die sich in weiten Bereichen der Wirtschaft immer mehr zeigen werden. Mit der betrieblichen Mitbestimmung ist ein weiteres soziales Steuerungssystem gegeben, das bei Wahrung seiner Grenzen mit beitragen kann zu einer besseren Organisation der Gesellschaft. Wird es durch starre gesetzliche Vorschriften überfordert, wird es andere wichtige Entscheidungsund Steuerungssysteme in Wirtschaft und Gesellschaft, wie die Unternehmerentscheidungen und die Sozialpartnerschaft, gefährden.

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