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Keine Umkehr nach dem Erdrutschsieg

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Margaret Thatchers Wiederwahl mit einer überwältigenden Parlamentsmehrheit ist die Rechtfertigung ihrer konsequent verfolgten Wirtschaftspolitik durch den Wähler: angesichts der mehr als drei Millionen Arbeitslosen und der noch immer tristen Wirtschaftslage doch eine Überraschung!

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Margaret Thatchers Wiederwahl mit einer überwältigenden Parlamentsmehrheit ist die Rechtfertigung ihrer konsequent verfolgten Wirtschaftspolitik durch den Wähler: angesichts der mehr als drei Millionen Arbeitslosen und der noch immer tristen Wirtschaftslage doch eine Überraschung!

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Der Erfolg in dieser Größenordnung wird auch nicht durch die Tatsache eingeschränkt, daß er über einen Opponenten erzielt wurde, der sich selbst in die Rolle der Inferiorität gedrängt hat; und über ein Parteienbündnis, das außerstande war, gegen den Strom eingefahrener Strukturen und eines die Allianz schwer benachteiligenden Wahlsystems zu schwimmen.

Was wird Frau Thatcher mit konsolidierter Macht und größerer Bewegungsfreiheit tun? Die Grenzmarken sind abgesteckt, an eine Umkehr ist nach dem Erdrutsch noch weniger zu denken als vorher.

Die Schlüsselpositionen im Kabinett sind durch eingefleischte Monetaristen besetzt, durch jene Männer, die das enge Team im

Schatzamt gebildet haben: Ex-Fi- nanzminister Sir Geoffrey Howe im Außenamt; Leon Brittan als jüngster Innenminister seit Win- sion Churchill; Nigel Lawson, der bisherige Leiter des Energieministeriums, als neuer Schatzkanzler; schließlich Cecil Parkinson, Parteipräsident und Hauptstratege der Wahl, als Chef des jetzt geschaffenen Superministeriums aus Industrie und Handel.

Es wird eine zweite Epoche harter Austerity-Politik geben, eine Aufgabe, die den Staat vor Zerreißproben stellt. Mit der Rük- kendeckung durch das Wahlvolk wird es nicht leichter werden, das Ziel zu erreichen, das da heißt: expandierende Wirtschaft auf der Grundlage einer stabilen Währung, die sehr wohl in der Lage ist, auf dem internationalen Markt zu konkurrieren und die freigewordene Arbeitskraft wenigstens teilweise wieder zu absorbieren.

Der selbstgestellte Auftrag könnte im schlimmsten Fall der Quadratur des Kreises gleichen: Trotz gewisser Reserven bekennt sich Frau Thatcher zur Aufrechterhaltung des Wohlfahrtsstaates, der den Großteil der staatlichen Mittel mit Beschlag belegt.

Ob es dann gleichzeitig möglich ist, die öffentlichen Ausgaben zu drosseln und dem Bürger die Steuerbürde abzunehmen, darüber hinaus die Zinssätze zu senken — unbedingte Voraussetzung für das Wiederaufleben der Wirtschaft — bleibt abzuwarten.

Gleichwohl atmet die Wirtschaft auf: keine Gefahr der Verstaatlichung, das Schreckgespenst Auszug aus der Europäischen Gemeinschaft ein für allemal vertrieben, der Anreiz für fremde Investoren äußerst lebendig.

Thatcher ist dynamisch, aber nicht unbelehrbar und der nötigen Flexibilität abhold. Das zeigte sich in den kleinen Rückschritten der ersten Regierungsperiode, um letztlich im Drang nach vorne weiter auszuholen. Das offenbart die Tatsache, daß auch im neuen Kabinett die sogenannten „Nassen“, die Streiter um einen finanziellen Anstoß zur Konjunkturbelebung vertreten sind. Deren Hauptargument: Öffnung der öffentlichen Hand oder Wahlniederlage, ist endgültig widerlegt.

Die Gewerkschaften sollen gesetzlich noch mehr eingeschränkt werden, dazu erhielt Thatcher nicht zuletzt auch den Auftrag durch das Wahlvolk. Nichts aber deutet darauf hin, daß die britische Premierministerin gewillt ist, den Bogen zu überspannen.

Im ersten Halbjahr regiert Thatcher praktisch ohne Opposition, die durch eigene Probleme abgelenkt zu sein scheint. Za schnell hat der unglückliche Michael Foot bekanntgegeben, daß er die Führerschaft der Labour- partei abgibt. Die Anwärter melden sich bereits zu Wort:

Roy Hattersley, der seine Aversion gegen Unilateralismus im Wahlkampf nur schwer zu verbergen vermochte und der vom Auszug aus der Europäischen Gemeinschaft nichts wissen will, hat bei der Linken wenig Chancen; da schon mehr Peter Shore, Gegner der EG, aber auch gegen die einseitige Abrüstung, während der dritte Favorit, Neil Kinnock, mit dem Manifest konform geht. Wer immer aber an die Spitze gehoben wird, er gebietet über einen Scherbenhaufen einer zutiefst zerrissenen Partei.

Die Alternative bleibt: Stärkung der Linken, von deren Prinzipien sich 70 Prozent der Wählerschaft distanziert haben, und damit noch weiter fortschreitende Entfremdung vom Parteienfußvolk oder echte Reform, die Labour wieder zu einer starken Alternative macht. Die Wahlniederlage hat auch den Engstirnigsten bewiesen, daß die Verbindung mit jener Schicht, als deren Anwalt sich die Partei aus Tradition fühlt — die Arbeiterschaft — verloren gegangen ist. Kann sie durch Mäßigung oder durch Radikalität, wie sie die Linke bis ins Extrem fordert, wiedergewonnen werden?

Sollte die Entwicklung den letzten Weg weisen, dann wäre nicht nur Labours Zeit vorbei, dann würde die neue sozialdemokratische Partei der große Nutznießer sein. Auch die Mitte-Allianz steht vor der Aufgabe, ihre Bindung zu überdenken: eine Fusion von Sozialdemokraten und Liberalen ist ebenso im Bereich des Möglichen, wie je eigene Wege unter gelok- kerter Bindung.

Vom besonderen Ziel einer Wandlung des Wahlsystems, proportional statt Majorität, ist die Allianz weiter denn je entfernt. Dieses System hat ihr Abschneiden gehörig verfälscht: Ein Viertel der Wählerschaft, insgesamt sieben Millionen, hat für die Allianz gestimmt, ohne daß sie mehr als eine Handvoll Abgeordnetensitze erhielt.

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