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Keine Verräter, nur Versager

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Joachim Reinelt, Bischof von Dresden-Meißen, versicherte im Frühjahr seinen Gläubigen, es gäbe „keine Verräter, nur Versager" in der katholischen Kirche der DDR.

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Joachim Reinelt, Bischof von Dresden-Meißen, versicherte im Frühjahr seinen Gläubigen, es gäbe „keine Verräter, nur Versager" in der katholischen Kirche der DDR.

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Energisch stellte sich der Diözesanbischof hinter zwei namhafte verdienstvolle Priester seines Bistums - nämlich Propst Günter Hanisch (Leipzig) und Prälat Otmar Faber (Dresden), die im Auftrag seines Amtsvorgängers Kontakte und Verbindungen zu staatlichen Dienststellen auf den damaligen Bezirksebenen pflegten, wobei eine Berührung mit der Dienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit unvermeidlich war. Beide hohen Geistlichen stehen seit Frühjahr 1993 unter heftiger Attacke der Presse (siehe Beitrag auf Seite 14)

Das Handeln dieser Priester geschah im Auftrag der Kirche, jedes Gespräch wurde protokolliert und dem Diözesanbischof beziehungsweise seinem Vertreter zur Kenntnis gebracht.

Auf einer Pressekonferenz in der Osterwoche in Dresden wurde Klartext gesprochen: der Vorsitzende der Kommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit der katholischen Kirche in der DDR, Prälat Dieter Grande, hatte sie einberufen. Schonungslos wurden der Öffentlichkeit Namen von Priestern preisgegeben, bei denen man eine Zusammenarbeit mit der Staatsicherheit vermutete. Obwohl es sich in manchen Fällen nur um eine „Pseudozusammenar-beit" handelte. Aber auch Namen von Laien, die in konspirative Aktionen des MfS verwickelt waren, wurden der Öffentlichkeit bekanntgebeben. Trotz des guten Willens, die Geschichte der katholischen Kirche im ersten sozialistischen Arbeiterund Bauernstaat aufzuarbeiten, war diese Pressekonferenz doch eher dazu geeignet, die Kirche in ein schlechtes Licht zu setzen und Material für jene Medienkampagne zu liefern, die momentan gegen die katholische Kirche läuft.

Die katholische Kirche distanziert sich keinesfalls von einer kritischen Haltung dem eigenen Versagen und menschlichen Schwächen gegenüber, sie will aber jede Nestbe-schmutzung vermeiden. Was in Dresden bei der genannten Pressekonferenz geschah, wurde von vielen als eine solche empfunden. Prälat Grande in der Rolle des „Großinquisitors" - so hieß es - habe der Kirche in jenen lagen keinen guten Dienst erwiesen. Die bis jetzt anhaltenden Enthüllungen, Entlarvungen und Stories über kirchliche IM stellen sich für kirchliche Beobachter wie ein Bruch des Beichtgeheimnisses dar. Vermutet werden undichte Stellen bei der sogenannten Gauck-Behörde in Bonn und ihren Außenstellen, die sich mit der Aufarbeitung der Stasi-Akten beschäftigt.

Unter den Katholiken in der Ex-DDR gibt es folgende unterschiedliche Haltungen zum Umgang mit der Vergangenheit: I es ist ein Neubeginn anzusetzen, jeder soll seine Verfehlungen vor Gott selbst verantworten I die Aufarbeitung der Vergangenheit ist unumgänglich B der größte Teil der Gläubigen steht dieser Problematik desinteressiert gegenüber, die Stasi-Polemik tun sie als vorübergehende Erscheinungsform ab.

Die Letztgenannten spiegeln die breite Masse Ostdeutschlands mit ihrer bitteren Enttäuschung über das wiedervereinigte Deutschland wider. Zu den Kirchenangriffen meinen sie: „Was soll's, in drei, vier Jahren spricht ohnehin niemand mehr darüber."

Ob jene, die auf eine bedingungslose Vergangenheitsbewältigung drängen, auch unbedingt mit Rom auf einer Wellenlänge liegen, ist offen. Denn im Vorjahr forderte Johannes Paul II. in seiner Botschaft an die deutschen Katholiken anläßlich des Karlsruher Katholikentages, allen, die sich schuldig gemacht haben, eine Chance zu geben. Ähnlich tönte es vor kurzem im Baltikum aus dem Mund des Papstes.

Die zur Zeit noch anhaltende antikatholische Propaganda hat einen tieferen Grund. Sehr gern identifiziert man in den neuen Bundesländern - so auch im sächsischen Raum - die katholische Kirche mit der regierenden CDU. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in den evangelischen Kirchen wurde zwar zur Kenntnis genommen, aber publizistisch keinesfalls in dem Umfang ausgewertet. Dabei haben diese Kirchen eine größere Altlast zu tragen als die katholische Kirche.

In der Honecker-Ära bekannten sich die evangelischen Kirchen zum Stand einer „Kirche im Sozialismus". Sie waren liiert mit der Christlichen Friedenskonferenz, sie hatten ihren Pfarrerbund. Es wird immer wieder vergessen, daß die katholische Kirche in der DDR-Ära eine distanzierte Haltung zum SED-Staat einnahm, seit Bischof Schaf-fran besuchte kein katholischer Bischof den Staatsratsvorsitzenden. Die Verhandlungen auf Regierungsebene waren nur auf Sachfragen bezogen. Grundanliegen der Kirche war und blieb die Sicherung der Pastoral und gewisser Freiheiten, von denen die Kirchen der Nachbarstaaten nur träumen konnten.

Natürlich hielt sich die katholische Kirche auch zurück bei Friedens- und Öko-Gruppen, deren Aktivitäten vorwiegend politischer Natur und die im Prinzip wenig religiös motiviert waren. Die evangelischen Kirchen rühmen sich, diesen Gruppen ein Obdach gewährt zu haben (siehe Interview mit Lutz Rathenow). Jene Oppositionellen von damals sind es nun, die die katholische Kirche beschuldigen, mit dem Staat kollaboriert zu haben.

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