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FURCHE: Was würden Sie, wenn Sie ein US-Regierungsfunktionär wären, zur Verhinderung einer Nuklearkatastrophe tun?

HENRY KISSINGER: In den letzten Jahren ist die Zahl der Nuklearwaffen größer geworden, aber ich glaube nicht, daß die Gefahr eines Nuklearkrieges damit gewachsen ist. Eine solche Automatik besteht nicht — außer Atomwaffen geraten in die Hände von weniger verantwortungsvollen Führern als die der Länder, die sie bereits besitzen.

Kriege entstehen aus politischen Spannungen und nicht durch das Vorhandensein von Waffen. Was mich beunruhigt, ist nicht der Aufbruch eines Aggressors mit großen Armeen wie vor dem Zweiten Weltkrieg, sondern die Ausnützung lokaler Konflikte durch eine Großmacht, die dort interessiert, aber nicht direkt involviert ist. Ich würde meinen, daß die künftige Regierung der USA große Aufmerksamkeit der Schaffung eines politischen Rahmenwerks widmen muß, das die Voraussetzung für friedenserhaltende Maßnahmen ist.

FURCHE: Schließen Sie aus, daß Sie im Falle einer Wiederwahl Reagans seiner Regierung angehören werden?

KISSINGER: Was immer ich sage, werden Sie belächeln. Weder ein Ja noch ein Nein würden Sie als letzte Weisheit akzeptieren. Immerhin habe ich in den letzten sechseinhalb Jahren ein Haus in Washington besessen, aus dem wir jetzt ausziehen, und meine Frau würde mir sehr drohen, wenn ich gleich wieder eine RückÜbersiedlung vorschlüge!

Ich möchte eine Regierungszugehörigkeit trotzdem nicht ausschließen, erwarte sie aber nicht und glaube, daß mein derzeitiges Verhältnis einer sympathisierenden Unterstützung von außen und der gelegentlichen Übernahme direkter Aufträge von innen das Beste ist.

Warum glauben Sie, daß immer weitere Teile der amerikanischen enbenso wie der europäischen Öffentlichkeit eine negative Bilanz der gegenwärtigen US-Außenpolitik ziehen?

KISSINGER: Ich teile dieses Urteil nicht. Auch die Regierung Nixon, der man heute eine einigermaßen erfolgreiche Außenpolitik zugesteht, hatte nach drei Jahren noch wenig vorzuweisen. Die derzeitige Regierung Reagan hat zwei Handicaps zu bewältigen: die allzu muskelfletschende Sprache des ersten Jahres und eine gewisse Lässigkeit beim Organisieren des außenpolitischen Entscheidungsprozesses.

Dazu kam, daß die jetzige US-Regierung in drei Jahren bereits drei Sowjetführern gegenüberstand und die fast permanente Nachfolgerkrise in Moskau die dortige Politik erstarren ließ. Meiner Meinung nach sind die Hauptrichtungen der Reagan-Politik richtig.

Die Kritik in Europa hat damit zu tun, daß Reagan eine Gruppe der Republikanischen Partei von der Macht verdrängte, der auch ich angehöre und der die Sprache der Intellektuellen der US-Ostküste vertraut ist. Aber es ist wohl so, daß in der gegenwärtigen Zeit Reagan mit seiner Redeweise breite Zustimmung im amerikanischen Volk findet.

Wird der Olympia-Boykott durch die UdSSR den Wahlkampf und die Politik der USA beeinflussen?

KISSINGER: Ich glaube, daß die UdSSR derzeit ein unkluges und gefährliches Spiel treibt. Sie will offensichtlich eine Situation schaffen, in der man der Regierung Reagan Erfolglosigkeit in der Ost-West-Politik nachsagen und sie zur Hauptquelle der Spannungen erklären soll. Dieser Versuch kann aber zum Bumerang werden, weil er zu durchsichtig ist.

Nach einer übertrieben drastischen Rhetorik im ersten Jahr hat die US-Regierung in den letzten Jahren so viele Zeichen gesetzt, um Dialogwilligkeit zu signalisieren, daß dieser Vorwurf nicht greift. Je verbindlicher die Sprache der USA geworden ist, um so größer wurde die Aggressivität in der sowjetischen Sprache. Ich schließe daraus, daß es sich um ein Manöver in einem Wahljahr handelt. Spätestens nach den Wahlen werden die objektiven Notwendigkeiten der internationalen Situation beide Seiten zu Verhandlungen zwingen.

Teilen Sie den Vorwurf einiger Persönlichkeiten der Regierung Reagan,österreichs Neutralitätspolitik gleite zu sehr in eine neutralistische Linie ab?

KISSINGER: Mein Eindruck war. immer, daß Österreich aus dem Herzen heraus mit dem Westen sympathisiert und in Worten das sagt, was seine internationale Position erforderlich macht. Ich glaube, wir haben keine Gegner in Österreich, und fühle mich ganz beruhigt.

Glauben Sie, daß Sanktionen im Welthandel für den Ost-West-Dialog förderlich sind?

KISSINGER: Das ist immer die Frage: Soll man vorher Konzessionen machen und dann verhandeln oder zuerst Sanktionen verhängen und darauf verhandeln. Meiner bisherigen Erfahrung nach zahlt die Sowjetunion schon freiwillig erhaltene Konzessionen und Vorleistungen niemals zurück.

An dem von „Forum Schwarzenbergplatz" und „Forum CA" veranstalteten Pressegespräch mit dem ehemaligen US-Außenminister in Wien am 14. Mai nahm Hubert Feichtl-bauer teil.

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