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Keine Weltflucht in die Sakristei

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Die Kirchen dürfen sich nie wiedervon politischen Parteien vereinnahmen lassen - aber auch umgekehrt. Das ändert allerdings nichts am Weltauftrag der Kirchen.

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Die Kirchen dürfen sich nie wiedervon politischen Parteien vereinnahmen lassen - aber auch umgekehrt. Das ändert allerdings nichts am Weltauftrag der Kirchen.

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Wahlkampfzeiten bringen es mit sich, daß mit plumpen Anbiederungen und Vereinnahmungen zwischen Parteien und Bevölkerungsgruppen nicht gerade zimperlich umgegangen wird. Sie gehören zum üblichen Mobilisierungsrummel; was und wem sie nützen, bleibt dahingestellt.

Es gibt jedoch darunter auch Anbiederungen, Vereinnahmungen oder Wahlempfehlungen, die dem politischen und geistigen Gesamtklima großen Schaden zufügen können und daher von vornherein ausgeschlossen werden sollten, weil sie unangenehme Reminiszenzen wachrufen könnten: Kunst kann nicht Partei-Kunst sein, Wissenschaft nicht Partei-Wissenschaft, Religion nicht Partei-Religion.

Es ist daher nicht egal, wen eine Partei vereinnahmt und von wem sie sich dem Wähler empfehlen läßt; es können sogar die ehrenwertesten Institutionen und Personen sein, die durch plötzlich zur Schau gestellte Parteilichkeit dem Ansehen der Demokratie (und ihrem eigenen) durch den dabei aufkommenden Verdacht gegenseitiger Abhängigkeiten nur schaden könhen.

Als Parteiobmann der Wiener Volkspartei, als bewußter Österreicher der Zweiten Republik und als Katholik begrüße ich mit allem Nachdruck, daß die Zeit offizieller oder versteckter Wahlempfehlungen der katholischen Kirche und ihrer Gliederungen endgültig vorbei ist.

Ich betone das umso nachdrücklicher, als auf Grund allzu simpler Gedankengänge vereinzelt immer wieder solche Erwartungen entstehen, die nur enttäuscht werden können.

Vor zwanzig Jahren erteilte der damalige Generalsekretär und Klubobmann der ÖVP, Hermann Withalm, allen historischen Formen des Politischen Katholizismus in Österreich eine eindeutige Absage. Auch diese Absage war nur die deutliche Ratifizierung jener Haltung, die spätestens seit dem „Mariazeller Manifest“ 1952 erklärter Standpunkt der Kirche und auch offizieller Standpunkt der ÖVP war.

1976, am Höhepunkt der Ära Kreisky und nac“h dem verlorenen Kampf gegen die „Fristenregelung“, fragte Weihbischof Helmut Krätzl in einem Referat auf einer

Studientagung der Katholischen Aktion, ob „zwischen Kirche und ÖVP ein gestörtes Verhältnis“ bestehe. Das Referat wirbelte einige Emotionen und auch Staub auf, zeigte aber wiederum deutlich, daß es für die einmal eingenommenen distanzierten Positionen von ÖVP und Kirche keine Alternative gibt.

In der Tat würde ein „politischer Katholizismus“ (ob schwarz, rot oder grün) einerseits die Kirche in der Erfüllung ihres Auftrages hindern und andererseits die autonome programmatische Selbstbestimmung der Partei unterlaufen.

Im übrigen sei daran erinnert, daß das für die Ära König immer verwendete Schlagwort von der „Äquidistanz“ der Kirche zu den Parteien vom Wiener Kardinal gerade umgekehrt gebraucht wurde: Franz König hat selbst deutlich ausgesprochen, daß die Kirche nicht äquidistant zu den Parteien sei, sondern daß es an der autonomen Politik und Programmatik der Parteien selbst liege, ihre Distanz zur Kirche festzulegen.

Die Parteien haben daher zu den kultur- und bildungspolitischen, rechts-, sozial- und wirtschaftspolitischen Positionen der Kirche durchaus verschiedene Distanzen. Wichtig dabei ist, daß die Kirche selbst die Gabe der „Unterscheidung der Geister“ pflegt und sich naiver Anbiederung und Vereinnahmungen entzieht.

Ich meine daher, daß es in diesem Fragenkomplex grundsätzlich keine andere Antwort geben kann als die bisherige: • Die ÖVP bekennt sich programmatisch zu einem christlichen Menschen- und Weltbild. Der Mensch ist für sie Geschöpf und Ebenbild Gottes und daher in seiner Würde unantastbar und unverfügbar.

• Für die ÖVP ist das Christentum nicht nur irgendeine Sozialethik, sondern eben eine Religion. Als Religion muß das Christentum mit seiner Frohbotschaft für alle da sein, daher darf keine Partei die Kirche für sich vereinnahmen und die Kirche keine Partei.

• Wenn sich die ÖVP daher in Staat und Gesellschaft für christliche Wertvorstellungen einsetzt, dann macht sie das aus eigener Uberzeugung und autonomem Entschluß, mit der Kirche oder ohne die Kirche. Sie kann dafür keine „Gegenleistung“ erwarten.

Sie tritt für diese Werte ja nicht um der Institution Kirche willen ein, sondern um der Sache willen, von der sie als Partei überzeugt ist.

• Es kann also zwischen der Kirche und der ÖVP kein „do ut des“ geben, auch keine Einladung, „ein Stück Weges miteinander zu gehen“. Die ÖVP muß den Weg ihrer eigenen programmatischen Selbstverpflichtung gehen, wobei sich Koinzidenzen und Distanzen zu kirchlichen Positionen ergeben werden.

Das ist nach wie vor der offiziel-. le und programmatisch festgeschriebene Standpunkt der ÖVP. Er ist vor allem von den bewußten Christen in der ÖVP durchgesetzt und aufrechterhalten worden — gegen alle Rückfallsversuchungen in einen unzeitgemäßen politischen Katholizismus und gegen alle Versuchungen, sich als weltlicher Arm der Kirche aufzuspielen und diese selbst in die Sakristei zu verweisen, damit der Weltauftrag der Kirche auf eine kleinliche Sittenwächter-Rolle reduziert wäre.

Die Kirche hat eine Frohe Botschaft an alle Menschen zu verkünden; sie muß daher offen sein für alle. Jedes Bündnis mit einer politischen Gruppierung würde die Kirche nur in unnötige Frontstellungen zu konkurrierenden politischen Gruppen bringen und sie daran hindern, ihren Auftrag zu erfüllen.

Wer an christlichen Werten in der Gesellschaft, wer an der Kirche als öffentliches Gewissen interessiert ist, vereinnahmt Kirche und Christen nicht.

Die Kirche wieder tut gut daran, sich nicht als Behübschung oder für ein finanziell noch so gut dotiertes Foto herzugeben - sie muß frei werden können: „sei es gelegen oder ungelegen“.

Der Autor ist Vizebürgermeister in Wien.

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