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Keine Zukunft unter Saddam Hussein

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Am Aufstand der Kurden gegen Bagdad nahmen auch assyrische Christen teil. Kurdenführer Talabani versicherte sich unlängst ihrer Solidarität. Der einzige Christ in der Bagdader Regierung, der Assyrer Tarik Aziz, schert sich jedoch nicht um das Schicksal seiner Brüder.

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Am Aufstand der Kurden gegen Bagdad nahmen auch assyrische Christen teil. Kurdenführer Talabani versicherte sich unlängst ihrer Solidarität. Der einzige Christ in der Bagdader Regierung, der Assyrer Tarik Aziz, schert sich jedoch nicht um das Schicksal seiner Brüder.

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„Saddam Hussein zerstörte mehr als 200 Christendörfer, machte Kirchen und Klöster dem Erdboden gleich. Die Einwohner wurden zwangsumgesiedelt, vor allem nach Bagdad." In Dohuk erzählt der Ingenieur Yacob Youssef, Parteiführer der Assyrischen Demokratischen Bewegung, über das Schicksal seiner G1 au -bensbrüder. Dort haben sich nicht nur die Führer des Kurden-Widerstandes, mit Jalal Talabani an der Spitze, eingefunden, sondern auch die obersten Würdenträger der assyrischen Christen. Kurz zuvor hatte in Zakho, ebenfalls im Schutze der Peschmergas, eine Begegnung mit armenisch-apostolischen Geistlichen stattgefunden.

Der Mut der Christen im Nordirak zur Rebellion und ihr tiefes Mißtrauen gegen das Regime im fernen Bagdad sind allzu verständlich. Wann immer Saddam Hussein einen Schlag gegen die Kurden führte, waren die Assyrer und Armenier gleichermaßen unter den Leidtragenden. Die Giftgasangriffe 1987/88, die Tausende Menschen töteten, forderten allein unter den Christen 2.000 Opfer. Die Dorfzerstörungskampagne der Jahre 1976 bis 1988, die etwa 4.500 Dörfer einebnete, rasierte auch Hunderte christliche Siedlungen. All das geschah unbeachtet von den Augen der Weltöffentlichkeit.

Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen soll sich das Baath-

Regime in Bagdad seit 1968 die Vernichtung von 200.000 Kurden und 20.000 Christen auf das Gewissen geladen haben. Wenn schon die Massaker an einer Millionen zählenden Minderheit kaum Aufmerksamkeit erregten, wie sollte dann das stille Sterben einer Minderheit in der Minderheit Erwähnung finden?

Der Golfkrieg, aus dem der Sunnit Saddam Hussein geschwächt hervorging, hat die Karten im Irak neu gemischt. Schiiten, Kurden und Christen vereinten sich im Kampf gegen den gemeinsamen Unterdrücker. Während der chaldäische Patriarch Rafael I. Bidawid in Bagdad den irakischen Staatschef als„Mann des Friedens" pries, um das Los seiner Schäfchen nicht zu verschlimmem, schlössen sich die Assyrer im Nordirak den Kurden-Rebellen an, als der Aufstand losbrach.

Drang gegen Westen

Und der war keine reine Kurdenrebellion. Im Widerstand gegen das Regime fanden sich außer assyrischen und armenischen Christen auch irakische Offiziere vermutlich sunnitischer Glaubensrichtung. Auffällig war die hohe Zahl an Assyrem in den Reihen der Kurdischen Kommunistischen Partei, die sich ebenfalls unter das Dach der Kurdistan-Front stellte.

Schätzungsweise mehr als 40.000 Christen aus dem Irak - Assyrer, Chaldäer und Armenier - haben nach dem Zusammenbruch der Volkserhebung in Notlagern im Grenzgebiet zur Türkei Aufnahme gefunden. Aus dem Iran liegen keine Angaben vor. Zu Hause hatten sie, meist Kaufleute, durchwegs der wohlhabenden und gebildeten Schicht angehört. Nun wollen sie fast alle, wie eine Bestandsaufnahme in den türkischen Camps ergab, in den Westen auswandern.

Yacob Youssef schätzt die Zahl der

Assyrer im Irak auf rund 1,5 Millionen. Fast die Hälfte von ihnen, etwa 700.000, lebte zuletzt in Bagdad. Die mit Rom unierten Chaldäer geben die Zahl ihrer Gläubigen mit insgesamt 700.000 an.

Politisch begannen sich die Assyrer in den späten siebziger Jahren zu formieren. 1979 wurde die Assyrische Demokratische Bewegung gegründet. Bereits 1982 wurde sie verboten. Immerwährende Verfolgung • und trotzdem ist der Name der Assyrer mit Wohl und Wehe der regierenden Baath-Partei eng verknüpft. Es war der Assyrer Michel Aflak, der für das Regime Saddam Husseins die ideologischen Weichen stellte. Er gründete Anfang der vierziger Jahre die Baath-Partei als eine „arabische Auferstehungsbewegung". Diese trug faschistische Züge, später bekam sie noch einen stalinistischen Anstrich. Aus der Verschmelzung von Arabertum und Sozialismus erwuchs eine neue Ideologie, die ihre Krönung 1963 erfuhr, als die Baath-Partei in Syrien und im Irak an die Macht kam.

Auf diesem Nährboden wurde Tarik Aziz groß, der langjährige Mitstreiter Saddam Husseins. Der assyrische Christ aus Mossul ging sogar noch einen Schritt weiter als sein geistiger Mentor und persönlicher, bereits verstorbener Freund Aflak, indem er sich verschämt einen arabischen Vornamen zulegte. Der einzige Christ in der von Sunniten dominierten irakischen Regierung war immer ein devoter Diener seines Herrn, auch wenn er als Außenminister forsch auftrat.

Aziz Abberufung vom Chefposten der Diplomatie wurde anfangs als Entmachtung gewertet. Doch spinnt er als stellvertretender Premier seine außenpolitischen Fäden weiter. Einen Fürsprecher haben die Assyrer in ihm freilich nicht.

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