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Kenias gewundener Weg aus der Krise

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Kenia scheint den Weg aus seiner Strukturkrise wie so manches andere der einst als vorbildlich gepriesenen Länder Afrikas, nicht recht schaffen zu können. Die Gründe sind sehr wohl politisch, wenn auch das wirtschaftliche Umfeld alle vorstellbaren Lösungen erschwert. Wie in so vielen afrikanischen Ländern wurde auch hier der Großteil des ursprünglichen Kapitals in den guten Zeiten vergeudet.

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Kenia scheint den Weg aus seiner Strukturkrise wie so manches andere der einst als vorbildlich gepriesenen Länder Afrikas, nicht recht schaffen zu können. Die Gründe sind sehr wohl politisch, wenn auch das wirtschaftliche Umfeld alle vorstellbaren Lösungen erschwert. Wie in so vielen afrikanischen Ländern wurde auch hier der Großteil des ursprünglichen Kapitals in den guten Zeiten vergeudet.

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Lange Zeit hindurch galt Kenia als demokratisches Musterland. Das war zu einer Zeit, als ein Land bereits dann als „demokratisch" eingestuft wurde, wenn der lokale Diktator seine sowieso machtloseOppositionnicht von vorneherein einsperrte.

Dementsprechend findet der kenianische Präsident Daniel arap Moi Vorwürfe äußerst ungerecht, er sei kein Demokrat. Hat er nicht wählen lassen, und hat seine Partei die Wahlen nicht gewonnen? Man muß ihm zugute halten, daß die Opposition insofer-ne wenig Chancen hatte, als sie sich gegenseitig fast mehr bekämpfte als die Regierungspartei KANU. Aber natürlich hat Moi noch das Seinige dazugetan, um mit vielerlei üblen Tricks seiner KANU den Sieg bei den Wahlen zu sichern.

Nun ist jedenfalls die KANU weiterhin an der Macht und damit ist keines der brennenden Probleme gelöst. Denn ein guter Teil der anhängigen wirtschaftlichen Probleme hängt mit den Grundlagen der Macht der KANU zusammen. Wie in so gut wie allen afrikanischen Ländern verband die KANU ihre auf Stammesaffinitäten gründende Machtbasis mit der Vermittlung von Arbeitsplätzen für die politisch wichtigen Vertreter des jeweiligen Stammes. Das sind vor allem Kikuyus und von diesen vor allem die Kalenjines, der Klan des Präsidenten, die eigentliche Machtelite innerhalb der KANU. Kikuyus erhielten Zehntausende von Anstellungen in der Verwaltung und in den halbverstaatlichten Betrieben, Anstellungen, für die keinerlei Bedarf bestand.

Jetzt verlangt die Weltbank die Kündigung aller dieser „Politparasi-ten". Wie man die überschüssigen 45.000 Staatsangestellten und ungefähr ebensovielen Arbeiter der halbstaatlichen Betriebe los wird, weiß niemand. Auch die Opposition wagte nicht, dieses heiße Eisen aufzugreifen und zog gemeinsam mit der KANU die demagogische Polemik gegen die Weltbank vor. Aber der Staat hat einfach nicht die notwendigen Einnahmen, alle diese „nichtarbeitenden Angestellten" zu bezahlen.

Die Eingänge aus dem Tourismus sind im vorigen Jahr um ein rundes Fünftel zurückgegangen. Kaffee wäre eine andere der wichtigen Einnahmequellen Kenias. Weltweite Überproduktion sowie Rückgang des Konsums im Zeichen der allgemeinen Wirtschaftskrise haben die Preise in den Keller fallen lassen. Kaum ein Dollar wird für den hochwertigen kenianischen Arabica bezahlt, vor einigen Jahren brachte er noch das Doppelte.

Die kleine einheimische Industrie, die immerhin einen lokalen Absatzmarkt hätte, kann kaum produzieren, es fehlt ihr an Rohmaterial und Ersatzteilen. Aber wie oben erwähnt, die selbst bei Vollauslastung der Betriebe überzähligen Arbeitskräfte können nicht entlassen werden.

Vor diesen Schwierigkeiten steht die Regierung weitgehend ratlos da. Der „Club de Paris", die Konferenz der Gläubiger, mit ausständigen Krediten in Afrika, weigert sich, die 1991 eingestellte Finanzhilfe wiederaufzunehmen. In steigendem Maß scheint die Regierung Probleme mit dem Drucken ungedeckter Banknoten zu

„lösen". Die Inflation ist auf 50 Prozent gestiegen, die Geldmenge dagegen um 60 Prozent. Das gibt Aussicht auf mehr Inflation.

Die Gehälter dagegen sind eingefroren worden, was auf eine Art, mit dem Problem umzugehen deutet, die sich auch anderswo steigender Beliebtheit erfreut. Durch Maßnahmen wie der oben angedeuteten Steigerung der Inflation und Lohnstop oder gar Senkung von Löhnen und Gehältern soll die politisch schwierige Entscheidung für massive Entlassungen umgangen werden. Doch in Ländern wie Zaire (FURCHE 7/1993) hat man gesehen, wohin das führt. Staatsangestellte, ja sogar Lehrer verlangen extra Bezahlung von den Betroffenen, bei Lehrern von den Eltern der Schüler, um ihre Aufgabe auszuführen.

Bei Entwicklung privater wirtschaftlicher Tätigkeit könnte theoretisch eine Situation entstehen, wo Staatsangestellte freiwillig auf ihren Posten verzichten, weil sie anderswo besser bezahlte Tätigkeiten finden. Davon sind wir in Kenia und anderswo weit entfernt, im Gegenteil. Besonders Geschäftsfrauen finden es praktisch, aus einem offiziellen Job so etwas wie eine gehaltmäßige Rückversicherung herauszuholen. Wenn sie überhaupt ins Büro kommen, dann meist mit einem vollen Koffer mit Waren, die sie den „Kollegen" zum Kauf anbieten.

Dazu läßt sich auch sagen, daß trotz aller Katastrophenstimmung und neuen, täglichen Schreckensnachrichten von Weltbank, „Club de Paris", Weltmarktpreisen und letzten OECD-

Statistiken die kenianische Wirtschaft weiter funktioniert - auf ihre Art. Auf sehr reduzierte Art und Weise die offizielle Wirtschaft, denn sie besonders ist es, die von Faktoren außerhalb der Reichweite der kenianischen Bevölkerung abhängt, gleichgültig ob Weltmarktpreisen oder GATT-Ab-kommen. Daneben aber läuft das, was man als die moderne Form der traditionellen Wirtschaft bezeichnen müßte, was aber in der Diktion der westlichen Ökonomie als Schattenwirtschaft bezeichnet wird.

In diesem Schatten jedenfalls leben und überleben die Kenianer. Die offizielle Wirtschaft, die bringt etwas in Zeiten der Konjunktur und ist im übrigen sowieso nur einem kleinen, politisch privilegierten Teil der Bevölkerung zugänglich, siehe oben die Bemerkung über die Art, Staatsangestellte zu engagieren. Die Masse der Bevölkerung geht kleinen, unscheinbaren Tätigkeiten nach und überlebt. Der damit in den Städten erreichbare Lebensstandard ist verständlicherweise niedrig. Aber im großen und ganzen entspricht er dem in den Dörfern erreichbaren Standard, ja er liegt trotz allem meist noch ein wenig darüber.

Wir mögen hoffen, daß es in näherer Zukunft die offizielle Wirtschaft sein wird, die für das Leben und Überleben der gesamten kenianischen Bevölkerung garantiert. In der Zwischenzeit allerdings ist es die Schattenwirtschaft, welche nicht nur für das Überleben sorgt, sondern auch und vor allem für die Erziehung der Kenianer. Wie oft und überall in Schwarzafrika leben die Menschen auch in Kenia eine jederzeit schizophrene Situation. Auf der einen Seite eine Welt und ein täglich ihnen vorgeführter Lebensstandard, der nur einer winzigen Minorität von Kenianern zugänglich ist. Schlimmer, von den wenigen, die es schaffen, zur „westlich wohlhabenden" Elite dazuzugehören, können gute 80 Prozent nur durch Korruption und dem Verletzen moralischer und juristischer Gesetze reüssieren.

Dagegen lernt der junge Kenianer in der Schattenwirtschaft, seinen Lebensstandard durch harte Arbeit abzusichern. Er lernt, wenn auch auf ganz einfachem Niveau, die ganze Bandbreite wirtschaftlicher Beziehungen kennen und beherrschen. Immer wieder läßt sich feststellen, daß junge Leute, die aus Familien mit solchem Hintergrund kommen, nach entsprechender schulischer Ausbildung auch in der modernen Wirtschaft ihren Mann stehen. Das im Gegensatz zu jungen Leuten, die von der Familie her keinerlei Bekanntschaft mit einem freien Markt hatten. Diese flüchten sich, selbst nach guter schulischer Ausbildung, sehr häufig in bürokratische Tätigkeiten.

Es ist eine" äußerst harte Gesellschaft, die hier heranwächst. Von wirtschaftlichem Aufschwung wird man in den nächsten Jahren nicht viel sehen. Vor allem muß viel geistiger Schutt aus der Zeit der verantwortungslosen Halbdiktatur aus den Mentalitäten beseitigt werden. Wenn eine Gesellschaft durch Jahrzehnte von Pump gelebt hat, dann kann man nicht eine Selbstreinigung in wenigen Jahren erwarten.

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