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,Kennen mich nit für Gott‘

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Seit Beginn der Salzburger Festspiele 1920 ist Hugo von Hofmannstlials „Jedermann" eine ihrer wichtigsten Attraktionen. Wie aktuell ist der religiöse Inhalt des Werkes?

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Seit Beginn der Salzburger Festspiele 1920 ist Hugo von Hofmannstlials „Jedermann" eine ihrer wichtigsten Attraktionen. Wie aktuell ist der religiöse Inhalt des Werkes?

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Nach, der durch NS-Kulturpoli-tik und Krieg bedingten Unterbrechung erfreut sich „Jedermann" seit 1945 beim Publikum und bedeutend weniger bei der Kritik der Beliebtheit. Was macht heute die Faszination dieser Aufführungen aus? 1st es die Beliebtheit der Schauspieler, die auftreten? 1st es die monumentale Kulisse des Salzburger Domes, vor deren Hintergrund sich das „Sterben des reichen Mannes" abspielt? Oder ist es die ungebrochene religiöse Naivität des Stoffes, der ja auf eine englische Vorlage „Everyman, a morality play" (London 1490) zurückgeht? Diese Fragen sind der Anlaß, daß das Stück aus theologischer Sicht etwas genauer untersucht werden soll.

Die delikate Frage eines jeden Theaterstückes mit religiösem Inhalt ist die nach dem Gottesbild, das dem Drama zugrunde liegt, vor allem dann, wenn, wie im Fall des „Jedermann", Gott selbst als handelnde Person auftritt. Gott, der Herr, wird nach der szenischen Anweisung Hofmannsthals im Anschluß an den Prolog sichtbar und klagt die Menschen der Gottvergessenheit und der Undankbarkeit gegenüber Gott an. Daher wird er ein Gericht abhalten und über „Jedermann" das Urteil fällen.

„Und kennen mich nit für ihren Gott/ Ihr Trachten geht auf irdisch Gut allein I Und was darüber, das ist ihr Spott."

Etwas weiter unten heißt es:

„Soviel ich vermocht, hab ich vollbracht/ Und darum wird meiner schlecht geacht./ Drum will ich in rechter Eil/ Gerichtstag halten über sie/ Und Jedermann richten nach seinen Teil."

Es ist der durch die Undankbarkeit der Menschen beleidigte Gott, der mit Hilfe des Todes den Menschen vor sein strenges Gericht vorlädt.

„Geh du zu Jedermann und zeig in meinem Namen an/ Er muß eine Pilgerschaft antreten/ Mit dieser Stund und heutigem Tag,/ Der er sich nicht entziehen mag./ Und heiß ihn mitbringen sein Rechenbuch/ Und daß er nicht Aufschub, noch Zögerung such",

befiehlt Gott dem Tod.

Zum Gericht am Ende des Stük-kes tritt Gott nicht mehr persönlich auf. Er überläßt es den beiden allegorischen Gestalten „Glaube" und „Gute Werke", daß sie im Disput mit dem Teufel die Seele Jedermanns auf das Gericht vorbereiten und ihn so zu guter Letzt zum Himmel geleiten.

,Heil ihm, mich dünkt es ist an dem,/ Daß ich der Engel Stimm vemehmj Wie sie in ihren himmlischen Reihen/ Die arme Seele lassen ein."

Mit diesen Sätzen des „Glaubens" endet das Stück.

Dieser Wandel vom strafenden zum rettenden Gericht scheint mir das interessanteste theologische Problem des Stückes zu sein. Als ihn der Tod überrascht, klammert sich Jedermann an den Mammon, er möge ihn auf dem Weg zum Gericht begleiten, der Mammon aber lehnt diesen Beistandsdienst ab.

„War dir geliehen für irdische Tag/ Und geh nit mit dtcf deinen Weg./^Geh nit, bleib hier, laß dich allein) Ganz bloß und nackt in Not und Pein."

Da taucht die ziemlich schwächliche Gestalt der „Guten Werke" auf, sie geht mit Krücken, aber sie bietet sich Jedermann an, ihn auf dem Weg zum Gericht zu begleiten. Er sieht sie zunächst überrascht und verwundert an, dann aber bedauert er allmählich, daß er die „Werke" in seinem Leben verschmäht hat und beginnt zu bereuen. Er bittet sie, daß sie ihm bei Gericht helfe, aber sie fühlt sich zu schwach für eine solche Hilfe, sie kann nur auf ihre Schwester „Glaube" verweisen.

Diese kommt auch, bleibt aber zunächst mißtrauisch, weil Jedermann sie ja während seines Lebens verspottet hat. Schließlich geht sie. auf Jedermann zu und ist bereit, seine stammelnden Glaubensbeteuerungen aufzugreifen und an ihn die Frage nach dem Glauben an Jesus Christus, dem Retter der Menschen, zu richten. Jedermann bekennt diesen Glauben. Nun kann Jedermann in Begleitung der beiden Gestalten „Glaube" und „Gute Werke", die nach den Glaubensbeteuerungen Jedermanns die Krücken weggeworfen hat, den Gang zum Gericht antreten.

„Nun sollst du weinen und trauern nimmermehr, / Nein, freuen dich und fassen einen frohen Mut J Gott sieht dich von seinem Thron recht gut!"

Da tritt als retardierendes Moment der Teufel auf. Er fordert die Seele Jedermanns, aber „Glaube" und „Werke" hindern ihn daran, und Jedermann kann, begleitet von den „Guten Werken", ins Grab hinabsteigen:

„Weil du mich hast zurückgekauft,/ So wahre jetzt der Seele mein. Daß sie nit mög verloren sein/ Und daß sie am Jüngsten Tag auffahr/ Zu dir mit der geretteten Schar" sind die letzten Worte Jedermanns im Drama.

In den Szenen zwischen Jedermann und den beiden allegorischen Gestalten „Glaube" und „Gute Werke" wird deutlich, daß das Werk vorreformatorischen Ursprungs ist. Das heißt, es kennt nicht die lutherische Position in der Rechtfertigungslehre, daß der Mensch allein aus dem Glauben gerechtfertigt wird, vielmehr steigen die „Werke" mit Jedermann ins Grab hinab. Die Verbindung zwischen Glauben und Werken wird als so eng gesehen, daß die „Werke" nach den Glaubensbekenntnissen Jedermanns so erstarken, daß sie die Krückeri wegwerfen können. Diese Szenen erscheinen mir als echtes religiöses Theater, wo die äußere Spannung und Dynamik des Dialoges mit der theologischen Konzeption übereinstimmen und nicht durch komödiantisches Beiwerk überlagert werden. Die Szenen atmen eine biblische Menschenfreundlichkeit und eine zurückhaltende Belehrung.

Der heikelste Punkt des Stückes scheint mir die Glaubwürdigkeit der Umkehr und der Reue Jedermanns zu sein. Sie ist einerseits an die Darstellungskunst des Protagonisten gebunden, von seiner Wandlungsfähigkeit hängt es ab, inwieweit er die innere Wandlung Jedermanns vermitteln kann, so daß seine Glaubensbekenntnisse nicht leeres Pathos und Phrasen werden. Andererseits lebt das Theater - und vor allem das Festspieltheater - von der Freude am Spielerischen, auch am äußeren Aufwand.

Der theologische Anspruch an ein Theaterstück, das religiöse Themen behandelt, ist allerdings unverzichtbar der, daß es zu einer Entscheidung herausfordern soll, daß es das kulinarische Genießen der ästhetischen Leistungen übersteigen und eine Umkehr auslösen soll. Wenn dieser An^-Spruch nicht erhoben wird, dann wird der marxistischen Kritik des christlichen Glaubens Vorschub geleistet. Dann kann das Spiel vom Sterben des reichen Mannes gedeutet werden als eine religiöse Legitimation der bestehenden Ungerechtigkeit, daß Reiche auf Kosten der Armen rücksichtslos ihren Lebensgenuß auskosten können und trotzdem auch Anteil am Himmel erhalten.

Anlaß zu einer solchen Interpretation des Stückes kann die Rolle des Teufels durchaus bieten. Sie ist vielschichtig, denn sie enthält neben der theologischen Idee des Widersachers und Versuchers, wie sie in den Versuchungsgeschichten Jesu und im Buch Hi-ob zu finden ist, auch reichlich komödiantischen Aufputz, der seit jeher diese Rolle für Komödianten reizvoll erschienen ließ. Der Teufel ist sowohl der erbarmungslose Ankläger Jedermanns, der das Gericht über ihn und die Menschheit fordert, als auch der um die Seele Jedermanns Geprellte, der seiner Enttäuschung mit derben Ausdrük-ken Luft macht:

,Ich wollt, daß er im Feuer lag./ Und kommt in einem weißen Hemd/ Erzheuchlerisch und ganz verschämt./ Die Welt ist dumm, gemein und schlecht/ Und geht Gewalt allzeit vor RechtJ Ist einer redlich treu und klugj Ihn meistern Arglist und Betrug" sind des Teufels letzte Worte..

In dieser Gestalt wird die Schwierigkeit der Darstellung theologischer Gehalte insgesamt sichtbar. Neuzeitliche Bibelkritik hat uns die Naivität im Umgang mit religiösen Symbolen und Symbolfiguren geraubt, zeitgenössische Religionskritik hat die Praxis auf den Prüf stand gerufen. Darstellungen religiöser Inhalte, die diese Kritik nicht verarbeiten, müssen damit rechnen, daß sie entweder in die Kulturgeschichte abgeschoben und als Zeugnisse der Frömmigkeit vergangener Epochen angesehen werden oder aber dem Fegefeuer der Religions- und Praxiskritik ausgesetzt werden.

Im Falle des „Jedermann", der zweifellos ein wichtiges Stück österreichischer Kultur- und Geistesgeschichte darstellt, bedeutet dies, daß es vor allem seiner literarischen Qualität wegen, die immer wieder Schauspieler herausfordert, bedeutsam ist. Ob er die Zuschauer zu ethischen und religiösen Entscheidungen anleitet, kann sicher nicht generell beantwortet werden. Aus der Sicht des Theologen wäre es wünschenswert.

Der Autor ist Seelsorger der Laientheologen in der Erzdiözese Salzburg. Die Original-TextziUte sind kursiv gesetzt

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