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Kennen Sie Musik?

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„Kennen Sie Schönberg?“ fragte im Studioprogramm von FS 1 Luc Ferrari einige der recht zufälligen jungen Damen. Sie kannten ihn nicht. Eines der Mädchen hielt ihn tatsächlich für den Hausbesorger. Eines der Mädchen schließlich lauschte in minutenlanger Großaufnahme, jener „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“, die Schönberg 1930 mit dem vorgegebenen Programm „drohende Gefahr — Angst — Katastrophe“ schrieb.

Vorher aber reproduzierten die anderen, recht zufälligen jungen Damen in Gesprächsfetzen jene beiläufigen Wortfolgen, die aus den Schablonen der amerkanisch inspirierten Nachrichtenmagazine in die Lebensgewohnheiten einer Generation eingedrungen sind, für die Sprache nicht mehr Mitteilungswert besitzt, sondern der Steigerung des allgemeinen Geräuschpegels dient.

Des Geräuschpegels, der von Luc Ferrari kontrapunktisch ins chaotische Geschwätz des ersten Teils seines Streifens eingeblendet wurde, in der Absicht offenbar, den Unterschied zwischen Musik und Pop zu unterstreichen. Das ein großer Teil der Zeitgenossen irrtümlich unter „Musik“ jene Droge versteht, die er in Form von Pop als bloßen Auslöser für chthonische Trance benützt, wurde jedenfalls evident: Pop als Bestandteil des Ritus, zu dem auch das Rundschwingen des Kopfes zwecks Ausschaltung der Großhirntätigkeit, das rhythmische Zucken des Körpers und das sich-selbst-Peitschen mit dem schulterlangen, sichtbehindernden Haar gehört — Magie, nicht wie bei den Primitiven als Beschwörung, sondern,, wie stets in Phasen der Degeneration, als Selbstzweck.

Von Musik ist der meist heftig skandierte, manchmal breiig verschmierte, immer virtuos improvisierte, für den Unbeteiligten jedoch tödlich langweilige Pop so weit entfernt wie jene zuckersüße Beplätscherung mit Terzen und Längstgewohntem, die der Konsumbürger seinerseits dafür hält. Auch er wäre nämlich außerstande, zu lauschen, und auch er kennt nur den Lustgewinn aus Klänffen: keine Droge zwar, aber doch Sirup. Auch er „kennt nicht Schönberg“ und will ihn nicht kennen. Er nimmt sich gar nicht erst die Mühe. Alles Ungewohnte gilt ihm, weil anstrengend, als böse. So hält er zweifellos heute noch Zwölftonmusik für neu und ist auch nie auf den Gedanken gekommen, zu wählen und zu unterscheiden in einem Bereich und in einer Klangwelt, die längst Geschichte geworden sind. Zu unterscheiden etwa zwischen der bewegten Formen- und Farbenpracht eines Alban Berg und Arnold Schönbergs steinigen, flachen Hochebenen mit ihrer klaren, dünnen Luft — zu unterscheiden schließlich auch zwischen der strengen Systematik der nach 1910 beginnenden Dodekaphonie und den vielfach willkürlichen Versuchen, die erst viel später einsetzten...

Hätten Pop-Fans und Konsumbürger an jenem Donnerstagabend auf die Frage „Kennen Sie Schönberg?“ mit legitimer Neugier geantwortet und das Studioprogramm des ORF nicht abgeschaltet, sie hätten ein Stück interessanter, gar nicht schwieriger Musik gehört, gestaltet und filmisch umrahmt von einem musikalisch Hochbegabten, der bei Alfred Cortot und Arthur Honegger studierte, der heute viel mit Texten, Filmen und Collagen zu tun hat und dem daher mit „Kennen Sie Schönberg?“ etwas total Fernsehgerechtes, in keinem anderen Medium Reproduzierbares gelang. Freilich — wie viele fragen danach?

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