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Kepler und die Gegenwart

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Die folgenden Betrachtungen anläßlich des 350. Todestages von Johannes Kepler (1571 - 1630) am 15. November knüpfen an einem vielleicht noch weniger bekannten Forschungsergebnis an, nämlich seinem Beweis der Existenz einer „Weltharmonie”. Diese Weltharmonik, wie man besser sagen sollte, betrachtete er selbst als seine Hauptaufgabe, und seine astronomische Tätigkeit, ja sogar die Entdeckung der berühmten drei Planetengesetze, waren für ihn eigentlich etwas Beiläufiges - so merkwürdig das heute scheint.

Das ist aber alles längst erforscht und mit Zitaten Keplers gut belegt, auch der Beweis selbst, den er 1619 in Linz in den „Harmonices mundi libri V” veröffentlichte, ist natürlich längst bekannt.

Wir wollen daher nur kurz angeben, worum es sich handelt. Kepler ging aus von der legendären Lehre der Pythago-reer, daß es auch in der Natur bzw. den Planetenbahnen musikalische Gesetze geben solle (Sphärenharmonie), die andererseits in der Seele des Menschen veranlagt seien. Keplers Bemühungen führten schließlich zum Beweis dieser Vorstellung, wenn auch in anderer Weise als in der antiken Auffassung.

Der Kern seines Nachweises ist die Feststellung von solchen Zahlenverhältnissen in den Planetenbahnen, aus denen sich auch unsere musikalischen Intervalle konstituieren. Und zwar fand er sie als Winkelgeschwindigkeiten an den Extremstellen der Bahnen (Aphel und Perihel), also den sonnenfernsten und sonnennächsten Punkten. Das Ergebnis ist in der nebenstehenden Tabelle zusammengefaßt, in der wir die von Kepler errechneten Winkel der Einfachheit halber durch die Buchstaben A bis M ersetzt haben.

Erstaunlich ist, daß diese Werte bis heute nahezu völlig konstant geblieben sind, obwohl sich, wie wir wissen, die Bahnen der Planeten zufolge der gegenseitigen Gravitationsbeeinflussung laufend ändern. Auf die Begründung dieses Phänomens müssen wir hier leider verzichten und können nur festhalten, daß Kepler, ohne dies zu ahnen, offensichtlich auf ein System von Naturkonstanten gestoßen ist.

Diese knappen Angaben sollten nur die Ausgangsposition unserer Betrachtungen skizzieren; denn diese gelten den von Kepler verwendeten Methoden. Kepler kannte natürlich schon die kausale Betrachtungsweise der Physik, war er doch einer der Begründer des naturwissenschaftlichen Denkens. Aber das Suchen nach einer Wirkursache steht für ihn in diesem Zusammenhang nicht zur Debatte, vielmehr bedient er sich vorwiegend zweier anderer Denkstile, des Analogiedenkens und der Analen Denkweise.

Das Denken in Analogien oder Entsprechungen war damals noch verbreitet, doch war sich Kepler seiner Bedeutsamkeit bewußt; er sagte einmal:

„Ganz besonders liebe ich die Analogien als meine zuverlässigsten Lehrmeister, die um alle Geheimnisse der Natur wissen”.

Tatsächlich sind seine fünf Bücher von der Weltharmonik gänzlich nach dem Analogieprinzip angelegt. Es handelt sich um zwei mathematische, ein musiktheoretisches, ein astrologisches und um ein astronomisches Buch, und in allen stellt er analoge Gesetze zusammen, nämlich jene einfachen Zahlenverhältnisse, die die Grundlagen der musikalischen Intervalle bilden und die dann eben auch in den Planetenbahnen nachgewiesen werden. Eigentlich wäre diese allgemeine Analogie bereits eine Weltharmonie!

Kepler geht es aber um einen noch spezielleren Beweis, und auch dabei spielen wiederum Analogien eine wichtige Rolle. Er stellt nämlich fest - was wir bereits vorwegnehmen mußten daß Analogie zwischen jenen „Planetenharmonien” (so nennt Kepler sie) und den Intervallen der Musik besteht, und er nimmt ferner an, daß beide sich auch in Analogie zur psychischen Empfindung des Menschen befinden. Dazu sagt er: „Eine geeignete Proportion in den Sinnendingen (= in der Natur) auffinden, heißt die Ähnlichkeit der Proportion in den Sinnendingen mit einem bestimmten, innen in der Seele vorhandenen Urbild einer echten und wahren Harmonie aufdecken.”

Schwieriger ist es, die finale bzw. teleologische Denkweise Keplers klarzumachen, also sein Bemühen, die dargestellten Ergebnisse nicht physikalischkausal zu begründen, sondern Ihr Sosein mit einem Zweck oder Ziel (causa flnalis) zu erklären.

Typisches Beispiel dafür ist schon die Uberschrift des fünften Buches der Weltharmonik (in dem der eigentliche Beweis enthalten ist): „Die vollkommenste Harmonie in den himmlischen Bewegungen und die daher rührende Entstehung der Exzentrizitäten, Bahnhalbmesser und Umlaufszeiten”. Das heißt nichts anderes, als daß Kepler die von ihm selbst erkannte Ellipsenform (=Exzentrizität) und andere naturwissenschaftliche Fakten zurückführt auf das Erstreben einer himmlischen (musikalischen) Harmonie! Dieses von Gott gesetzte Ziel ist die Ursache von allem anderen, auch der Ellipsenform (denn bei kreisförmigen Bahnen kämen keine Intervalle zustande).

Man hat Kepler später zum Vorwurf gemacht, daß er Gott in seine naturwissenschaftlichen Überlegungen einbezieht. Doch muß eines festgehalten werden: Hätte er nicht die feste Uberzeugung von der Existenz eines göttlichen Planes für die Welt gehabt, so hätte er sich mit der Feststellung von Rechenergebnissen begnügt und nicht weiter gefragt.

Gott war für ihn also das, was wir heute eine Arbeitshypothese nennen würden (man verzeihe diese Profanierung), und dadurch erst gelang ihm eine geistige Begründung seiner Entdeckung - während er bezeichnenderweise eine materielle (causa efficiens) für diesen Zusammenhang gar nicht suchte.

Uns sollten diese weniger bekannten Denkmethoden Keplers nachdenklich machen. Nicht nur, weil sie ihm bei dem Nachweis der Weltharmonik helfen, die - um es nochmals nachdrücklich zu sagen - genau so wahr ist wie seine Planetengesetze, ja sogar noch wesentlich konstanter. Demgegenüber bedient sich die Naturforschung überwiegend der kausalen Methode, sucht also Wirkursachen im materiellen Bereich und hat damit entscheidend zur Uberbetonung materieller Aspekte beigetragen.

Vielfach wird noch heute geglaubt, diese Denkweise sei die einzig mögliche, und dem muß entschieden widersprochen werden. Das Leben, die Formen, Ganzheiten u. a. lassen sich nicht kausal erklären, und die bloße Angabe materieller Herkunft ist für eine Wesenserfassung der meisten Dinge ganz unzureichend. Keplers analogische und finale Denkweise ist heute noch genau wie seinerzeit sinnvoll anwendbar.

Die harmonikale Forschung liefert dafür eine Vielzahl von Beweisen; denn die Existenz von musikalischen Proportionsgesetzen ist keineswegs auf die Astronomie beschränkt, vielmehr lassen sich diese in allen Wissenschaften an wichtigen Stellen nachweisen. Und daraus folgt logisch ein Nachdenken über den offensichtlich vorhandenen Plan, der alledem zugrundeliegen muß und der für Kepler eine Selbstverständlichkeit war.

Aber die sich immer weiter verbreitenden Ergebnisse der harmonikalen Grundlagenforschung müßten nicht allein dastehen; denn wir sind überzeugt davon, daß es nicht bloß harmonikale Analogien gibt und daß auch das finale Denken allgemein anwendbar ist. Vor allem in der Biologie gibt es schon ähnliche Betrachtungsweisen, doch könnte in einer Zeit zunehmender geistiger Ratlosigkeit gewiß noch weit mehr mit Keplers Methoden erreicht werden.

Prof Dr. Rudolf Haase leitet das Hans-Kayser-Institut Tür harmonikale Grundlagenforschung an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien. Er organisierte heuer das internationale Kepler-Symposion in Linz (25. bis 28. 9. 1980). Der Beitrag ist die Kurzfassung seines dort gehaltenen Referates.

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