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Kerngesunde Kernfusion

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Weder gefährlich noch durch Rohstoffknappheit gefährdet ist Experten zufolge die Kernfusion. In etwa 50 Jahren könnte dieses Verfahren alle Energieprobleme lösen.

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Weder gefährlich noch durch Rohstoffknappheit gefährdet ist Experten zufolge die Kernfusion. In etwa 50 Jahren könnte dieses Verfahren alle Energieprobleme lösen.

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In vierzig bis fünfzig Jahren könnte es soweit sein: Bei zwei bis drei Millionen Ampere, hunderttausend Volt und hundert Millionen Grad Celsius wird mit Hilfe der Kernfusion Energie gewonnen. Als Energiealternative, vor allem zu konventionellen Kernkraftwerken, werden hier nicht Kerne gespalten, sondern zusammengeführt (Kernfusion). Dabei bleibt man selbst in nächster Umgebung des Reaktors „kernge-

sund“: Es entstehen bei diesem Verfahren keine langlebigen und gefährlichen radioaktiven Spaltprodukte. Eine Wiederaufbereitung ist unnötig, da keine Atomabfälle entstehen. Auch eine militärische Nutzung ist nach Ansicht der Wissenschafter ausgeschlossen. Noch dazu sind die Brennstoffvorräte beliebig groß.

Das Verfahren der Kernfusion funktioniert folgendermaßen: Schwere (Deuterium) und überschwere Wasserstoffatome (Tritium) befinden sich bei höchsten Temperaturen, Spannungen und Stromstärken als sogenanntes „Plasma“ im Fusionsreaktor und werden zum Gas Helium verschmolzen. Im Prinzip sind das die gleichen Reaktionen, wie sie auf der Sonne Vorkommen. Je höher die Temperatur wird, umso stärker vermehrt sich auch die Zahl der Fusionsprozesse. Die Energiegewinnung mit diesem Verfahren wird interessant, so-bald die frei werdende Energie größer ist, als die für die Erzeugung des Plasmas aufgewandte Energie.

Um welche Energiebeträge es sich dabei handelt, zeigen folgende Zahlen: Allein ein Gramm Deuterium setzt 100.000 Kilowattstunden Energie frei. Das ist das Vierfache der Energie, die in einem Gramm Uran steckt und das Zehnmillionenfache der Energie eines Gramms eines fossilen Brennstoffes. Dabei haben Deuterium und Tritium als Energielieferanten weitere Vorteile: Deuterium ist im Meerwasser reichlich vorhanden — ein Kubikmeter Meerwasser enthält 34 Gramm davon. Diese Vorräte im Meer würden für zehn Millionen Jahre zur Energieversorgung der Erde ausreichen.

Tritium ist radioaktiv und kommt in der Natur praktisch nicht vor. Man kann jedoch das Metall Lithium durch Beschuß mit schnellen Neutronen, wie sie beim Fusionsprozeß sowieso entstehen, in Tritium und Helium umwandeln. Dabei wird noch zusätzliche Energie frei. Der Fusionsreaktor braucht daher nur aus lithiumhältigem Metall gebaut werden. Das Tritium wird dann automatisch erzeugt. Das radioaktive Atom bleibt dabei im Inneren des Systems. Die Lithiumvorräte reichen für mehr als 10.000 Jahre aus.

„Die Brennstoffvorräte sind daher beliebig groß“, erklärt der Leiter des Instituts für Plasmaforschung der Universität Stuttgart, zugleich Präsident der wissenschaftlichen Wirkungsstätte, Univ.-Prof. Hartmut Zwicker.

All die Vorteile der Kernfusion erkannten die Europäischen Gemeinschaften (EG) schon 1957 und initiierten das „Euratom- Programm“ zur Entwicklung eines arbeitsfähigen Fusionsreaktors. Mittlerweile arbeiten rund 3000 Menschen, darunter 800 Wissenschafter in 13 Laboratorien im Rahmen dieses Programms. Auch Schweden und die Schweiz sind als neutrale Länder, die nicht den EG angehören, mit von der Partie. In Österreich hat man den rechtzeitigen Einstieg verpaßt.

Dabei geht es vor allem um die Weiterentwicklung der bislang erfolgreichsten Reaktortype „To- kąmak“. Diesen hat der sowjetische Physiker L. A. Artsimovitch 1968 erstmals vorgestellt. Auch im institutseigenen Labor in Stuttgart werden in einem sogenannten „konaxialen Plasmabeschleuniger“ Fusionen zu For schungszwecken durchgetuhrt.

Das Herzstück des Instituts funktioniert nach dem Prinzip des „Plasmafokus“. Dabei wird das Plasma auf einen Raum von einem Kubikmeter zusammengepreßt. Es existiert dort nur etwa eine Hundertmillionstelsekunde. In dieser Zeit finden eine Milliarde Kernfusionsprozesse statt. Mittels Röntgenstrahlen werden diese fotografiert und dann analysiert. Die Belichtungsdauer für die Aufnahme beträgt nur zwei Milliardstel Sekunden.

Das Plasma hat eine enorme Dichte und erreicht Temperaturen von drei bis fünf Millionen Grad. Die Stuttgarter Wissenschafter schafften im Rahmen ihrer Arbeiten eine Dichtesteige-rung des Plasmas auf das Zehnmillionenfache bisheriger Werte.

Von den für die Plasma-Erzeugung notwendigen extremen Stromstärken, Temperaturen und Stromspannungen sind die Wissenschafter dabei nicht mehr allzu weit entfernt. So soll ein Toka- mak des Max-Planck-Institutes für Plasmaphysik in Garching bei München bereits 1986 in Betrieb genommen werden. Er entspricht schon weitgehend den Bedingungen der rentablen Fusions-Energiegewinnung.

Trotzdem haben die Forscher noch genug knifflige Probleme zu lösen. Neben Materialien, die Temperaturen um hundert Millionen Grad Celsius aushalten, gibt es noch viele weitere Details zu erforschen. Geld steht dabei in großem Ausmaß zur Verfügung: Weltweit werden pro Jahr 14 Milliarden Schilling in die Fusionsforschung gesteckt. Ob später. einmal auch Österreich dabeisein wird, wenn es jetzt nicht mitzieht?

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