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KGB: die größte Fabrik fiir Spione

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Die Kette der geplatzten Spionagefälle und der Überführung von freiwilli-gejn oder erpreßten Mitarbeitern reißt nicht ab. Stets führt die Spur zurück zum Moskauer Dserschinski Platz, dem Standort und Zentrum des sowjetischen Geheimdienstes KGB - zu deutsch: Komitee für Staatssicherheit.

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Die Kette der geplatzten Spionagefälle und der Überführung von freiwilli-gejn oder erpreßten Mitarbeitern reißt nicht ab. Stets führt die Spur zurück zum Moskauer Dserschinski Platz, dem Standort und Zentrum des sowjetischen Geheimdienstes KGB - zu deutsch: Komitee für Staatssicherheit.

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In Westdeutschland ging den Sicherheitsbehörden vermutlich der größte Fisch aus dem KGB-Reservoir ins Netz. Italien stellte nacheinander zwei sowjetische Bürger als Industriespione bloß.

In London, ohnedies Hauptstadt mit einer turbulenten Spionage-Geschichte, ging das letzte Jahr mit vier Aufsehen erregenden Fällen zu Ende: Ausweisung eines Sowjetdiplomaten und eines tJbersetzers wegen Spionage. Verurteilung von zwei überführten Spionen im Dienste des KGB: der eine, Geoffrey Prime, versorgte die Zentrale am Dserschinski Platz zwölf Jahre lang mit heißem Material aus dem Kommunikationszentrum in Cheltenham, dem höchst sensiblen Ohr in den Weltraum; der andere, Professor Hambleton, belieferte jahrelang den sowjetischen Geheimdienst mit NATO-Dokumenten der Kategorie „Top Secret".

Kein anderer Geheimdienst der Welt hat in seiner blutigen Geschichte so viele Pannen und

Skandale verursacht, wie das KGB, keiner hat aber auch solche Rückschläge unbeschadet überstanden. Es ist der größte Sicherheitsapparat der Welt, eine Dreiviertelmillion Sowjetbürger steht in seinen Diensten, nicht gerechnet die zeitweiligen und freien Mitarbeiter im inneren und im äußeren des Landes.

Auch in einer Zeit, da der vormalige KGB-Chef Juri Andropow vom Wächter zum Herren des Sowjetstaates aufgestiegen ist, haben die drei Buchstaben nicht den Charakter des Schreckens im riesigen östlichen Reich verloren. Nunmehr ist der Geheimdienst an die Spitze des Sowjetstaates und seiner Partei getreten. Andropow zog dfen einstigen KGB-Chef der Republik Aserbeidschan, Gaidar AUiew nach, machte ihn zum Vollmitglied des allmächtigen Politbüros und zum Stellvertretenden Premier. Der Nachfolger im Präsidium des KGB, Vitali Fe-dortschuk, wird als Innenminister Herr über die „sichtbare Konkurrenz": die Polizei — oder wie sie in der Sowjetunion genannt wird: die Miliz.

Der gigantische Sicherheitsapparat ist die Basis des Systems, ohne ihn würde das Regime seinen Wesenszug der Gewalt und Unterdrückung verlieren, also sich selbst auflösen. Der KGB-Mann—oder wie er von der Bevölkerung genannt wird: der Tsche-kist - hat sich unter der Führerschaft Andropows verändert. Nicht daß der Dienst auf Methoden handfester Tätlichkeit verzichtet, immer noch heißt er im Populär j argon „Kontora Gru-bych Bandidow" (Büro der rauhen Banditen). Aber aus dem Schlächter der Säuberungen in unseligen stalinistischen Tagen ist ein gebildeter, wenn es sein muß manierlicher Zeitgenosse geworden.

Der „Tschekist" schlägt weniger und tötet nicht mehr im großen Ausmaß. Er zerbricht den Charakter - wenn es sein muß -durch die Spritze des Nervenarztes.

Im Ausland vermag der KGB-Mann mit Spionageaufgaben in Auftritt und Gebahren zu bestechen. Der klobige Schwerenöter mit den rauhen Trinksitten ist verschwunden. Kein Wunder: Andropow und seine Nachfolger rekrutieren ihr Personal aus den besten Lehranstalten des Landes.

Der Geheimdienst, seit den Tagen des Gründers Felix Dserschinski „Schwert und Schild der Revolution", bekämpft im Innern, wo die klassenlose Gesellschaft so gut Wie errichtet ist, den Klassenfeind. Im Ausland versucht er unter Mitarbeit der „brüderlichen" Nationen, den ideologischen und militärischen Gegner zu schwächen und zu unterminieren.

Die Schaltzentrale für die Operationen außerhalb der Grenzen liegt 35 Kilometer vom Stadtkern Moskaus entfernt im südwestlichen Topli Stan: die erste Hauptverwaltung kontrolliert die über 6000 Agenten in Ubersee und Europa. Nach vorsichtigen Schätzungen sind etwa 40 Prozent aller sowjetischen Diplomaten und Handelsvertretungen im Ausland, der Mitglieder der Fluggesellschaft Aerof lot und von Intou-rist vollamtlich in die zentrale Aufgabe eingespannt. Sicherlich trägt jeder Sowjetbürger im Westen, welcher Mission er immer angehört, seinen Teil für die Zwecke der Organisation bei.

GRU ist der kleine Bruder des KGB, der militärische Geheimdienst mit etwa 5000 vollamtlichen Agenten. Dem Dienst, nichts weiter als einer Sondersparte der Organisation, obliegt es, alle militärischen Geheimnisse des Gegfters zu entschlüsseln — Defensive wie Offensive. Die zwei größten Ausbildungsstätten der militärischen Aufklärung liegen in Sanprobal an der Krim und in Odessa: die höhere Infanterieschule. GRU trainiert unter anderem die verschiedenen Terrororganisationen im Westen.

GRU kontrolliert die Ablen-kungs- und Täuschungsmanöver, die der sowjetische Uberläufer Suworow eingehend beschreibt: Jedesmal wenn ein US-amerikanischer Himmelsspion in Reichweite über sowjetischem Territorium fliegt, ändern sich schlagartig die Truppenbewegungen und sogar die einschlägigen Radioprogramme für das Militär.

Das zentrale Ziel sowjetischer Agententätigkeit im Westen ist der legale oder illegale Erwerb höchster westlicher Technologie, um den Rückstand aufzuholen. Das KGB macht es möglich, daß sowjetische Kernwaffen auf den Westen gerichtet sind, ein Vernichtungsarsenal ausgestattet mit Computern und Mikrochips aus der anderen Hemisphäre. Nichts könnte auffälliger an die Worte Lenins erinnern, daß der Kapitalismus den Strick liefert, an dem er von den Sowjets aufgehängt wird.

Die ausgedehnte Kampagne zum Erwerb hochkomplizierter Technik obliegt dem Staatskomitee für Technologie in Moskau, das von Kossygins Schwiegersohn Dschermen Gwischiani, einem ständigen Wien-Besucher, präsidiert wird.

Mikroelektronik ist einer der höchst geheimen Industriezweige in der Sowjetunion mit dem Hauptquartier im nordwestlich von Moskau gelegenen „geschlossenen" Selenograd. (Gwischiani betont bei jeder sich bietenden Gelegenheit, sein Land sei in der Lage, die komplizierten Geräte selbst zu produzieren.

Der verdeckte Export in die Sowjetunion verursacht dem Pentagon wachsende Sorgen. Washington versucht seine NA-TO-Alliierten von der Notwendigkeit zu überzeugen, die KGB-Offensive zu kontern. Diesem Zweck dient das NATO-Quartier mit dem Namen COCOM in Paris, das sich mit dem Transfer von West nach Ost auseinandersetzt.

Die Treffen von COCOM sind so geheim, daß sie nicht einmal von der französischen Regierung zugegeben werden. Washington hat seinen speziellen Delegierten nach Paris geschickt, den „Prinzen der Dunkelheit" Richard Paul. Er bekennt: „150 sowjetische Waffensysteme enthalten westliche Technologie. Wir exportieren sie buchstäblich in die Sowjetunion, weil wir nicht fähig sind, die sowjetische Spionage zu stoppen."

Das KGB hat beste Verbündete: zum einen ist es die offene Gesellschaft, die es dem Ost-Spion äußerst leicht macht, ?eine Aufgabe zu erfüllen. Dann besteht sie in westlicher Habgier, die im lukrativen Osthandel auf illegalem Weg ihre Chance sieht.

Von den zahlreichen aufgeflogenen Fällen sei einer herausgegriffen, der einen westdeutschen Unternehmer zum Multimillionär gemacht hat: Werner Jürgen Bruchhausen hat mit dem Osthandel von westlicher Elektronik in einem Jahr 18 Millionen Dollar verdient. Sein Kontaktmann in Moskau war der GRU-Oberst Viktor Nikolajewitsch Kedrow, Nummer zwei in der sowjetischen Elektronikindustrie. X

Der Weg der heißen Ware führte von den USA über Westdeutschland nach Österreich oder in die Schweiz, um von- dort per Flugzeug in die Sowjetmetropole expediert zu werden. Die komplizierten technischen Geräte wurden von einem gewissen Maluta in Kalifornien erworben und unter falschen Angaben nach Europa verschifft. Nahe der österreichisch-deutschen Grenze besorgte der österreichische Geschäftsmann Dietmar Ulrichshofer den Weitertransport.

Der Rmg flog auf, als Maluta em Hochdrucks-Oxydations-System kaufte. Maluta wanderte für fünf Jahre ins Gefängnis, Bruchhausen und Ulrichshofer sind frei, weil kein Auslieferungsabkommen auf diesem Gebiet besteht.

Dem KGB steht eine Reihe von Frontorganisationen zur Verfügung, unter deren Deckmantel die Wühl- und Spionagetätigkeit abläuft; so etwa der Weltfriedensrat in Helsinki, das internationale Friedensinstitut in Wien, die afroasiatische Volksorganisation in Kairo und viele andere.

Am nützlichsten für die Sowjets hat sich allerdings die UNO erwiesen. Mit Arkadi Schewtschen-ko, dereinst Berater Breschnews und Gromykos, zuletzt Stellvertreter von UN-Generalsekretär Kurt Waldheim, der 1977 in den Westen abgesprungen ist, gelang Washington der größte Coup: Der höchstrangige Sowjetdiplomat wechselte das Lager.

Nach Schewtschenko sind mindestens die Hälfte aller bei der UNO beschäftigten sowjetischen Diplomaten und Korrespondenten Agenten des KGB, die UNO ist nach Schewtschenkos Worten die wichtigste Basis für alle sowjetischen Geheimdienstoperationen in aller Welt".

In der UNO agierte der sowjetische Funktionär mit Codenamen Fedora, dem selbst Washington lange Jahre aufgesessen war, bevor er 1981 an die Moskwa zurückkehrte. Fedora war Produzent von falschen Informationen für die Gegenseite. Denn Desinformation ist eine der zentralen Aufgaben des KGB beziehungsweise GRU. Ein geschmuggeltes KGB-Handbuch formuliert: „Strategische Desinformation zielt darauf, den Feind in die Irre zu führen über die grundlegenden Fragen der Staatspolitik, des militärischen und wirtschaftlichen Standes und die wissenschaftlichen wie technischen Errungenschaften der Sowjetunion."

Wie wichtig dieser Zweig nacfi"~ sowjetischer Auffassung ist, beweist die Tatsache, daß 1978 die internationale Informationsabteilung beim Zentralkomitee ins Leben gerufen worden ist, geleitet vom vormaligen TASS-Chef Leonid Samjatin.

Diese Aktionen vorsätzlicher Irreführung wirken in den internen Bereich zurück. In den letzten Lebenstagen Breschnews wurde Desinformation in den Machtkampf der Anwärter auf die Nachfolge eingespannt. Das Gerücht wurde verbreitet, Kirillen-kos Sohn sei in den Westen geflüchtet. Allein die Fama kostete Kirillenko den Sitz im Politbüro.

Die Partei verwöhnt und privilegiert ihre Handwerker der Spionage und Unterdrückung. Die Gegenleistung ist zynischer und bisweilen auch überzeugter Vollzug des Befehls. Wehe aber dem, der sich absetzt. Uberläufer in den Westen unterschreiben praktisch, ihr Todesurteil, falls sie wieder in die Hände der Partei gelangen. Den Anverwandten droht Verfolgung und Demütigung.

Einer hat bisher versucht, nach sechsjähriger Tätigkeit im KGB in der Heimat ohne Protest und Skandal auszuscheiden, weil er die Methoden nicht mehr ertragen konnte: Wladimir Titow. Damit wurde er zum Staatsfeind. Der Leidensweg in Gefängnisse und Arbeitslager begann 1964 und ist bis heute noch nicht abgeschlossen.

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