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KGB im Hintergrand

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Die Kontroverse zwischen russisch-orthodoxer Kirche und der mittlerweile legalisierten ukrainisch-katholischen Kirche ist nur die Spitze einer Auseinandersetzungsebene. Jetzt ist die früher mächtige, von Stalin liquidierte ukrainisch-orthodoxe Kirche als neuer Streithahn auf den Plan getreten, die als ,,autokephale" Kirche nicht anerkannt ist. Die KP fördert diese Kirche als Spaltpilz. Das Moskauer Patriarchat befürchtet aus der Anerkennung wirtschaftliche Einbußen. Weihbischof Irinej Bilyk von Iwano-Frankiwsk, einer von zehn früheren Geheimbischöfen, schildert die Lage der unierten Ukrainer.

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Die Kontroverse zwischen russisch-orthodoxer Kirche und der mittlerweile legalisierten ukrainisch-katholischen Kirche ist nur die Spitze einer Auseinandersetzungsebene. Jetzt ist die früher mächtige, von Stalin liquidierte ukrainisch-orthodoxe Kirche als neuer Streithahn auf den Plan getreten, die als ,,autokephale" Kirche nicht anerkannt ist. Die KP fördert diese Kirche als Spaltpilz. Das Moskauer Patriarchat befürchtet aus der Anerkennung wirtschaftliche Einbußen. Weihbischof Irinej Bilyk von Iwano-Frankiwsk, einer von zehn früheren Geheimbischöfen, schildert die Lage der unierten Ukrainer.

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FURCHE: Wie ist die politische und kirchenpolitische Situation in der Westukraine?

IRINEJ BILYK: Die politischen Entwicklungen in der Westukraine ergeben zunehmend günstigere Be-dingungen für die kirchlich-staat-lichen Beziehungen. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat wird deutlich direkter und objektiver. Noch wichtiger: wenngleich be-hördliche Entscheidungen nicht immer auf Zustimmung seitens der ukrainisch-katholischen Kirche stoßen, ist eine Vertrauensbasis ge-schaffen worden. Wir können den Behörden gegenüber unsere Vorbe-halte äußern sowie deren Begrün-dung für oder gegen die eine oder andere Entscheidung zur Kenntnis nehmen. Es herrscht ein Klima des behördlichen Wohlwollens.

Die Oppositionspolitiker, die an die Macht gekommen sind, haben das Potential der ukrainischen Ka-tholiken, die Wahlen zu entscheiden, nicht verkannt. Entweder aus Überzeugung oder aus politischer Opportunität traten sie für die Legalisierung der ukrainisch-ka-tholischen Kirche und das Ende ihres Katakombendaseins ein. Daß sie deshalb bei den Wahlen über-zeugend siegten, daran zweifelt niemand. Dennoch fehlt ihnen die politische Reife und die nötige prak-tische Erfahrung, Ruhe zu bewahren und wohlüberlegte Sachent-scheidungen zu treffen.

Ich bin aber zuversichtlich, daß sie langfristig den konfessionellen Frieden herbeiführen werden. Das eigentliche Problem der neugewähl-ten Volksvertreter ist, die Mitte zwischen historisch begründeten Forderungen der ukrainischen Katholiken einerseits und den ak-tuellen Bedürfnissen der anderen Konfessionen andererseits zu fin-den. Die ukrainisch-katholische Kirche strebt nach dem Ideal der konfessionellen Toleranz, kann aber in prinzipiellen Fragen nicht klein beigeben. Das bezieht sich beson-ders auf die wichtigsten Gottes-häuser und Bauten, die mit dem ge-schichtlichen Werdegang unserer Kirche untrennbar verbunden sind. Mit Bedauern stellen wir fest, daß manche behördlichen Entscheidun-gen hinsichtlich der autokephalen ukrainisch-orthodoxen Kirche unannehmbar sind.

FURCHE: Können Sie einen konkreten Fall schildern?

BILYK: Praktisch in allen Dorf-und Rayonräten, wo der kommunistische Parteiapparat noch vertreten ist, werden Entscheidungen zugunsten der Autokephalisten getroffen. Sogar mehrere reform-orientierte Allunionszeitungen haben auf die Nähe des KP-Apparats zu den Autokephalisten hingewiesen. Das muß nicht bedeuten, daß die Partei mit dieser Religionsge-meinschaft paktiert.

Zutreffender ist die Beobachtung, daß die KP Ausschau nach Konfes-sionen hält, die möglicherweise mit den Katholiken in Konflikt kommen könnten. In den Rayons von Snjatyn und Werhowina, wo der Apparat fest im Sattel sitzt, er*-hielten die Autokephalisten die sofortige Registrierung ihrer Ge-meinden. Anträge von unierten Gemeinden werden aber nicht be-arbeitet.

FURCHE: Wird das Gebäude des Priesterseminars in Iwano-Fran-kiwsk erst zurückgegeben, wenn die sowjetische Armee in Heereseinheiten der jeweiligen Republiken de-zentralisiert wird?

BILYK: Das sowjetische Vertei-digungsministerium kämpft gegen den Machtverlust, den es durch die Zerteilung der Roten Armee erleiden würde. Wenn die sowjetische Armee unter die Verfügungsgewalt der republikanischen Regierungen unterstellt werden könnte, würde eine neue Verhandlungsbasis für die Rückgabe des Priesterseminars entstehen. Die Armee ist vorerst aber keiner örtlichen oder republi-kanischen Instanz Rechenschaft schuldig. Außerdem muß man in Betracht ziehen, daß das KGB unter Gorbatschow seinen Einfluß in der Armee ausgebreitet hat. Das KGB ist kein Freund der ukrai-nisch-katholischen Kirche. Unsere Forderungen nach unserer Rehabi-litierung sowie die allgemeine Debatte über die Aufklärung der Vergangenheit kommen dem KGB äußerst ungelegen. Das KGB ist schließlich bemüht, die Religions-gemeinschaften sowie alle bürger-lichen Bewegungen weiter zu infil-trieren. Ein parlamentarischer Gesetzesentwurf zur Einschränkung der Macht des KGB erfährt bekanntlich große Hindernisse.

FURCHE: Können Sie aktuelle statistische Angaben über die Diö-zese von Iwano-Frankiwsk machen ?

BILYK: Die Situation hat sich seit März dieses Jahres, als erstmals statistische Angaben veröffentlicht wurden, wenig geändert. Registrierungsanträge werden sehr langsam gebilligt. Wir sind dabei, die Gemeinden der Eparchie in De-kanate einzuteilen. Wenn wir mehr Priester hätten, würden wir mehr Gemeinden haben. Gläubige werden in Iwano-Frankiwsk täglich mit der Bitte vorstellig, ihnen einen Priester in eine Ortschaft, wo keine Gemeinde gegründet wurde, zu entsenden. Die Statistik vom März wird wohl vom päpstlichen Jahr-buch für 1990 übernommen. In der darauffolgenden Ausgabe werden genaue Angaben vorliegen. Alles ist vorerst sozusagen im Fluß. Ordi-nariatsabteilungen sowie andere fe-ste Diözesanstrukturen können ebenfalls erst zum späteren Zeit-punkt eingerichtet werden. Obwohl ich für den Medienbereich zuständig bin, gilt meine volle Aufmerk-samkeit der Priesterausbildung, die mir ebenfalls anvertraut wurde.

FURCHE: Wie gestaltet sich der Religionsunterricht in Ihrer Diözese?

BILYK: Zunächst haben wir den Religionsunterricht meist in der Form von Sonntagsschulen erteilt. Auf Verordnung der Bildungsab-teilung der Gebietsbehörden gehört der konfessionelle Religionsunter-richt zum Lehrprogramm und er muß in Grund- und Mittelschulen erteilt werden, wo ihn die Eltern fordern. Unser Klerus, unsere Schwestern sowie Mitglieder des Frauenbundes "Union der Ukrai-nerinnen" erteilen den Religions-unterricht. Jeder von den 400 Se-minaristen hat die Pflicht, samstags in den Dörfern Religion zu un-terrichten. Sonntagsschulen ein-schließlich der Erwachsenenkurse bestehen in unveränderter Form weiter.

FURCHE: Hat sich das Verhältnis zur russisch-orthodoxen Kirche verbessert?

BILYK: Leider nicht. Die Katho-liken werden immer noch der Ge-waltanwendung beschuldigt. Jüngst meldete diese Kirche Überfälle auf "orthodoxe" Geistliche, die längst in die unierte Kirche über-getreten sind. Wir bedauern alle Zwischenfälle und sagen unseren Gläubigen, daß Gewalt, woher sie auch immer kommt, keine Lösung bringt. Wir können aber Fälle bele-gen, wo orthodoxe Geistliche, seien sie vom Moskauer Patriarchat oder von der autokephalen ukrainischen Kirche, zur Gewaltanwendung auf-rufen.

FURCHE: In diesen Tagen feierte die ukrainisch-orthodoxe autoke-phale Kirche die Rückkehr ihres Oberhaupts, Patriarch Mstyslaw (Skrypnyk), in die Ukraine. Können Sie damit rechnen, daß Potriarch Mstyslaw, der im Ausland für seine Offenheit für eine Verständigung mit der ukrainischen katholischen Kirche bekannt ist, dazu beitragen kann, daß Spannungen zwischen Ihrer und den Anhän-gern der autokephalen Kirche vermindert werden?

BILYK: Die Autokephalisten in der Westukraine sind ein großes in-nerukrainisches und ökumenisches Problem. Grundsätzlich ist es eine gereizte Situation, weil die Auto-kephalisten für sich unter unseren Gläubigen werben, sich als eine echte ukrainische Nationalkirche und die Unierten als ein polnisches Geschöpf darstellen. Des weiteren werden ihre Erfolge in der West-ukraine übertrieben. Im Gebiet von Iwano-Frankiwsk haben sie nicht mehr als zehn Geistliche einschließ-lich des autokephalen Bischofs. Im t ranskarpatischen Gebiet haben sie noch weniger Priester und Gläubige als bei uns, sie fordern aber zugleich eine Kirche in Uzhorod als Kathedrale und haben einen Bi-schof für dieses Gebiet ernannt. Ab-gesehen von den wenigen römisch-katholischen Kirchenbauten gehör-ten die Gotteshäuser der ukrai-nisch-katholischen Kirche. Wenn die Behörden irgendeine Kirche den Autokephalisten zur Verfügung stellen, geht das zu Lasten der unierten Kirche, die auf volle Wie-dergutmachung beharrt. Von der ökumenischen Ebene her sind wir veranlaßt, unsere Beziehungen mit orthodoxen Kirchen entsprechend den gesamtkatholischen Richtlinien zu pflegen. Die Autokephalisten sind unter den etablierten orthodoxen Kirchen nicht anerkannt und stellen weder für den Vatikan noch für uns einen Dialogpartner dar.

FURCHE: Wie steht es mit dem Bevollmächtigen für religiöse An-gelegenheiten in Iwano-Frankiwsk. Vertritt er allein katholische Inter-essen, wie die orthodoxe Seite be-hauptet, oder fordert er religiösen Frieden?

BILYK: Als ich von der politi-schen Unreife der neuen Behörden sprach, meinte ich auch dieses Amt. das oft rasch und unüberlegt han-delt, wenn es unter Druck gesetzt wird. Den Akt der Rückgabe der unierten Kathedrale dürfen die Orthodoxen so auslegen, wie wir dessen jüngste Entscheidungen zu-gunsten der Autokephalisten beur-teilen. Das unüberlegte Handeln geht auf den Hintergrund zurück, daß die zentralen Ämter für religiöse Angelegenheiten kein Konzept für einen dauerhaften konfessionellen Frieden haben und daß die örtlichen Stellen improvisieren müssen. Wir sind in den letzten Tagen auch alarmiert worden, da der Bevollmächtigte in Iwano-Frankiwsk, Derewjanko, uns schriftlich aufforderte, unsere Geistlichen gemäß der vom neuen Religionsgesetz außer Kraft gesetz-ten Registrierungsweise anzumelden. Das bedeutet, wir sollen ihn nicht bloß über unsere Geistlichen informieren, sondern auch um Ar-beitsbewilligung für sie ansuchen.

Mit Weihbischof IRINEJ BILYK sprach IHOR ZAWERUCHA

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